Zu den Kundinnen und Kunden, auf die Marleen und Hartwig Binder auch zählen, gehören die Flexitarier, auch "flexible Vegetarier" genannt. Das sind Menschen, die aus Gründen des Umweltschutzes und in der Ablehnung der Massentierhaltung bewusst wenig Fleisch essen, aber eben nicht ganz darauf verzichten wollen. Wenn schon Fleisch oder Wurst, dann soll es etwas Regionales und Besonderes sein.
Zum Beispiel Rehbratwürste oder Rothirschschinken, Rehschnitzel oder Wildschweinbraten. All das bietet die kleine Metzgerei, die das Ehepaar Binder vor einer Woche in der Pater-Kraus-Straße 7 in Aidhausen eröffnet hat. Hier gibt es fortan ganzjährig ausschließlich Fleisch und Wurst vom Wild.
Hohe Investition in unsicheren Zeiten
Es ist ein mutiger Schritt in Zeiten von sinkendem Fleischkonsum, von Billigmentalität vieler Konsumentinnen und Konsumenten, von Fachkräftemangel, steigenden Energiekosten und galoppierender Inflation. Denn so klein die Wildmetzgerei auch sein mag, die Ladenfläche beträgt nur rund 10 Quadratmeter, die gesamte Betriebsfläche etwa 75 Quadratmeter: Die Binders haben ordentlich investieren müssen. Sie sprechen von gut 200.000 Euro, die sie in Rauchanlage, Fleischkutter, Kühlräume, Spülmaschinen, Stiefelputzmaschine, Ladentheke und so weiter gesteckt haben, damit ihre Produktions- und Verkaufsstätte alle Anforderungen an einen fleischverarbeitenden Betrieb erfüllt.
Aber Hartwig Binder (43) und seine Ehefrau Marleen (40) wissen genau, was sie tun: Er ist Metzgermeister, der auch weiterhin in Teilzeit bei einem Betrieb in der Umgebung beschäftigt sein wird. Und sie ist Steuerfachangestellte, kennt sich also mit den Finanzen und dem ganzen Drumherum bestens aus. Zudem: Beide sind erfahrene Jäger, haben ihr eigenes Revier im Raum Maßbach und schon bisher kleinere Mengen an Wild vermarktet.
"Jäger, die Wild verkaufen, gibt es viele", erzählt Hartwig Binder beim Besuch der Redaktion in der Wildmetzgerei. Doch es gebe immer weniger Kundinnen und Kunden, die einen ganzen Hasen oder große Stücke vom Wildschwein oder Reh kaufen wollten. "Da haben wir uns gedacht, dann machen wir halt Bratwürste daraus", erinnert sich der Metzgermeister an die ersten Gedanken an die Selbstständigkeit in seinem Metier.
Aber Weißwürste, Fleischkäse, Presssack, Pfefferbeißer, Salami oder Schinken macht man nicht einfach so nebenher. "Da mussten wir uns dann irgendwann entscheiden: Gehen wir es richtig an oder lassen wir es", sagt Metzger Binder. Über das Ergebnis der Entscheidung freut sich auch Aidhausens Bürgermeister Dieter Möhring (Freie Wähler). "So eine Metzgerei im Ort, das ist schon was Besonderes", erklärt Möhring, als er dieser Tage mit einem Präsent der Gemeinde zur Geschäftseröffnung gratuliert. Weder der Bürgermeister noch das Metzgerehepaar kennen weit und breit Konkurrenz, die ausschließlich Wild verkauft.
Trotzdem muss die Frage erlaubt sein: Kann das funktionieren? Wild ist auch unter Fleischliebhabern nicht gerade jedermanns oder jederfraus Sache. Und sind Fleisch und Wurst von Hase, Fasan, Reh oder Wildschwein nicht außergewöhnlich teuer?
Wildgeschmack ja, aber nur sanft
Hartwig Binder ist sich bewusst, dass heute kaum mehr was auf den Teller kommen darf, das intensiven Wildgeschmack hat. Er spricht von der richtigen Zubereitung, mit der es ihm gelingen will, Wildfleisch und Wildwurst für die breite Bevölkerung und die Alltagsküche schmackhaft oder "richtig lecker" zu machen, wie es auf der Homepage der Metzgerei heißt. Nach dem Motto: Wildgeschmack ja, aber nur sanft. Zudem sei Wild in seiner Verwendung in der Küche und am Esstisch genauso vielfältig wie Hausschwein oder Rind.
Und was den Geldbeutel der Kundinnen und Kunden anbelangt: Obwohl Wildbret ein hochwertiges Fleisch sei, sollen es sich in der Pater-Kraus-Straße 7 auch "Normalsterbliche" leisten können. Kein Billigfleisch und keine Billigwurst, aber auch nicht überteuert, verspricht der Chef. Im Wochenangebot gibt es die Rehbratwürste gerade für 1,20 Euro, den Rothirschschinken für 3,00 Euro und die Wild-Wiener für 1,60 Euro jeweils pro 100 Gramm. Für das Steak vom Rehrücken muss man 2,60 Euro je 100 Gramm auf die Ladentheke legen, für den Wildschweinkammbraten 1,80 Euro. Das sind keine anderen Dimensionen als bei Schweine- oder Rindfleisch.
Alles stammt in der Wildmetzgerei aus eigener Produktion
"Selbstgemachte Wildspezialitäten aus Meisterhand, eigenem Jagdrevier und heimischen Revieren", damit wirbt die Wildmetzgerei Binder. Sie bezieht also auch Wild von anderen Jägerinnen und Jägern, aber nur aus dem näheren Umfeld. Damit wollen die Geschäftsleute ihr Umweltbewusstsein ebenso unterstreichen wie mit der Tatsache, dass sie Fleisch und Wurst nicht in Dosen abfüllen, sondern ausschließlich in wiederverwendbare Gläser. Übrigens: Der Betrieb kauft nach eigenen Angaben keinerlei Ware dazu, alles stammt aus eigener Produktion.
Wann die Wildmetzgerei in Aidhausen geöffnet hat
Vorerst hat ihr Laden nur an drei Tagen geöffnet. Montag und Samstag von 7 bis 13 Uhr, freitags zusätzlich von 14 bis 18 Uhr. Bis auf Weiteres bleiben Hartwig und Marleen in ihrem Betrieb Einzelkämpfer. Nur wenn die Geschäfte richtig gut laufen sollten, könnten sie sich vorstellen, Personal einzustellen.
Bürgermeister Dieter Möhring und die Hofheimer Allianz haben sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Binders für ihre Wildmetzgerei vom Amt für ländliche Entwicklung eine "ordentliche Förderung" als Kleinstunternehmen des täglichen Bedarfs erhalten. Für den Rathauschef ist das ein wichtiger Beitrag dafür, dass Aidhausen lebendig bleibt und seiner Bevölkerung die nötige Infrastruktur zur Versorgung bietet.
Eine Gastwirtschaft mit Wildspezialitäten in Aidhausen?
Und Möhring denkt schon weiter. Die Wildmetzgerei liegt keine drei Gehminuten vom Dorfladen entfernt. Und man braucht von hier nur ein paar Schritte zur einstigen Gaststätte der Familie Buhlheller in der Kaiserstraße. Die Gemeinde hat das Anwesen aufwendig sanieren lassen. Der Bürgermeister sucht nun Käufer für die Immobilie. Es soll nach seinem Willen aber kein reines Wohngebäude, sondern auch wieder Gaststätte sein. Da böte es sich doch regelrecht an, Wildgerichte auf die Speisekarte zu setzen, für die das Fleisch quasi von nebenan kommt, meint er.