
Unter Platzangst sollte nicht leiden, wer Haßfurts wohl kleinste Ladenfläche betritt. Kaum über zehn Quadratmeter groß ist der Raum, der sich hinter Schaufenster und Eingangstüre von Hausnummer 64 in der Hauptstraße verbirgt. Draußen, an der Fassade zwischen Erdgeschoss und erstem Stock, hängt ein Schild mit einem großen "R" über dem Wort "Galerie", darunter in kleinerer Schrift der Name des Inhabers. Drinnen machen sich mehrere Hundert nebeneinander geschlichtete und meist gerahmte Bilder so breit, dass es eigentlich zu eng wird, um sich auf den einzigen Stuhl an dem kleinen Tisch zu setzen, der irgendwo zwischen Eingang und Regalwand eingepfercht ist.
"Man muss schon Mut haben, den Laden zu betreten", sagt Roland Merklein. Er ist der Galerist, und somit ist es sein Name, der auf dem Schild zu lesen ist. Merkleins Worte lassen sich in zwei Richtungen interpretieren: Da ist zum einen eben der allzu winzige, mit Kunstwerken überfrachtete Geschäftsraum, in dem man sich als Besucherin oder Besucher kaum umdrehen, geschweige denn einen Überblick über die Exponate erlangen kann. Und dann sind da noch ganz allgemein die Berührungsängste mit der Kunst, die Menschen in der Provinz eher haben als in großen Städten. Haßfurt ist nun einmal nicht Berlin, Bayreuth oder Bamberg.

Dabei hat es die Galerie in sich: Hier präsentiert der 61-Jährige nicht nur eigene Bilder, von denen er nach eigenen Angaben erst vor kurzem zwei an die britische Pop-Ikone Elton John verkauft hat; er bietet auch Werke international bekannter Künstlerinnen und Künstler feil. Darunter Drucke von Salvador Dalí oder das "Mädchen mit Herzballon" des britischen Streetart-Künstlers Banksy. Oder "Wort-Grafiken" von Saxa (Sascha A. Lehmann) wie die Porträts von Marilyn Monroe oder John Lennon. Oder Mickey-Mouse-Szenen aus der Feder von Tony Fernández, Art-Director bei Warner Bros. und weltbekannt als Comic-Zeichner.
Merklein hat zertifizierte Kunstdrucke im Angebot, aber auch Originale mit entsprechender Dokumentation. Im Schaufenster macht er auf ein kunterbuntes "Einzelstück" von Noble$$ aufmerksam, "vom Künstler nummeriert und in Schablone signiert." Das Bild zeigt vor kunterbuntem Hintergrund eine ziemlich relaxte Hasenfigur à la Bugs Bunny mit prallem Geldsack auf dem Bauch und Stapeln voller Münzen daneben. Daher das breite Grinsen.
Kunst, die es nicht in London oder Paris zu kaufen gibt
Merklein, der im Hauptberuf evangelischer Diakon ist, beschreibt sich als in der Kunstszene bestens vernetzt; und so gebe es manches Bild in Haßfurt zu kaufen, "das man in London, Paris oder Wien nicht bekommt" – und wenn doch, deutlich teurer. Teils kauft der gebürtige Nürnberger die Werke an, teils nimmt er sie in Kommission. Auf seinen wenigen Quadratmetern "Ausstellungsraum" lagert Kunst aller Art auf Papier, Karton oder Leinwand, für die potenzielle Käuferinnen und Käufer ein paar Hundert oder auch viele Tausend Euro ausgeben müssen. Etwa für ein Pop- und Streetart-Stück des deutschen Künstlers Caspa. So klein der Raum ist, er ist unter anderem durch eine Vielzahl von Kameras gut gesichert.
Im Juni 2021 hatte Merklein die Galerie noch unter dem Namen "Artmore" zusammen mit der Haßfurter Künstlerin Christine Welsch eröffnet. Auch, wenn er inzwischen Einzelkämpfer ist, so ist ihm doch klar: So beengt wie aktuell kann es auf Dauer nicht weitergehen, trotz treuer Stammkundschaft und guten Verkaufs via Internet. Er sucht nach neuen Räumlichkeiten. Und eigentlich sollte es die angesichts der Vielzahl an Leerständen in der Haßfurter Innenstadt auch geben, meint er. Doch seine Nachfragen hätten ihn gelehrt, dass die Mietpreise hier höher seien als beispielsweise in Schweinfurt. Das lässt ihn vor dem Wagnis zurückschrecken, die Sache mit der Galerie richtig groß aufzuziehen.

Dabei weiß der 61-Jährige genau, was er will: In seiner Idealvorstellung ruhen die heiligen Räume auf drei Säulen. Als da wären: Seine eigenen Bilder, deren Bestand schon jetzt in die Hunderte geht. Zweitens möchte er Platz schaffen für Kolleginnen und Kollegen aus der Region. Und drittes Standbein soll die (überwiegend) zeitgenössische Kunst von Stars oder Sternchen der Szene wie Banksy, Robert Scara, Csaba Markus oder James Rizzi sein.
Es darf in der Innenstadt nicht nur 1-Euro-Shops geben
Merklein wohnt in nächster Nähe zu seiner Galerie, "gleich um die Ecke rum", wie er sagt. Und das möchte er auch nicht ändern. Beim Blick auf die Innenstadt und die Erosion ihrer Geschäftswelt fragt er sich aber, ob es hier in Zukunft nur noch 1-Euro-Shops geben soll. Er würde gerne dazu beitragen, derlei Tendenzen zum Niedergang mit einem großen Treffpunkt für Kunst und Kultur entgegenzuwirken. Es besteht kein Zweifel: Merklein wünscht sich Unterstützung der Stadt, zumindest bei der Suche nach einer Bleibe.

Und die Stadt weiß das Engagement von Merklein zu schätzen, seine Galerie sei "hier sehr gerne gesehen", teilen Bürgermeister Günther Werner und Kulturamtsleiterin Silke Brochloß-Gerner auf Anfrage mit. Die beiden verweisen darauf, dass Stadt und Stadtmarketing in regen Austausch mit Merklein stünden und ihn bei der Suche nach neuen Räumlichkeiten behilflich seien, etwa durch das Herstellen von Kontakten zu potenziellen Vermieterinnen und Vermietern.
Die Erfolgsaussichten hängen von vielen Faktoren ab
Kann Merkleins Konzept funktionieren? So etwas lasse sich nicht genau vorhersagen, finden der Bürgermeister und die Kulturamtsleiterin. Der Erfolg hänge vom Engagement und der Ausdauer des Galeristen, von seinem Netzwerk und der Attraktivität der Ausstellungen ab. Und auch von der dazugehörigen Öffentlichkeitsarbeit, bei der Werner und Brochloß-Gerner Unterstützung in Aussicht stellen, in dem sie die Aktivitäten über die städtischen Kommunikationskanäle bewerben wollen.
Beide, Stadtoberhaupt und Kulturchefin, sind sich darin einig, dass sich der Angebotsmix in den Innenstädten perspektivisch verändern und sich unter das klassische Einzelhandelsangebot auch Kunst- und Kulturangebote mischen werden. "Insofern zahlt Herrn Merkleins Vorhaben auf die aktuelle Entwicklung ein und stellt damit eine Bereicherung für Haßfurts Innenstadt und deren Besucherinnen und Besucher dar", heißt es in der Antwortmail an die Redaktion.

Horst Hofmann ist Vorsitzender des Haßfurter Kulturforums, jenes Vereins also, der sich vor etwas mehr als zehn Jahren zur Förderung von Kunst, Kultur und Bildung in der Kreisstadt gegründet hat. Auch aus Hofmanns Sicht beflügelt die Galerie Merklein die Kunst- und Kulturszene in Haßfurt, biete sie doch "viele sehr ausgefallene Dinge". Umso dringender bräuchte sie größere Ausstellungsräume.
Doch das Kulturforum ist mit Blick auf die heimische Kulturlandschaft generell skeptisch. Anders als anderen Kommunen sei es der Kreisstadt noch immer nicht gelungen, feste Präsentationsräume für Kunst einzurichten. Dabei könnte sich Hofmann durchaus Modelle vorstellen, bei denen die Stadt und Galeristen Räumlichkeiten gemeinsam nutzten. Damit ist zuvorderst das "Kunsthaus" in der Hauptstraße 35 gemeint, das als Museum für das Lebenswerk des in Eschenau lebenden Künstlers Herman de Vries gedacht war, bis das Projekt 2017 im Haßfurter Stadtrat durchfiel.
"Seit viereinhalb Jahren haben wir als Kulturforum ein Konzept für eine vernünftige öffentliche Nutzung vorgelegt. Und nichts ist seither passiert", klagt Hofmann. Und jetzt scheint sich abzuzeichnen, dass das städtische Eigentum "Kunsthaus" künftig für die Gastronomie genutzt wird. So sehr auch diesbezüglich eine Bereicherung in Haßfurts Altstadt vonnöten wäre: Dann wäre wieder eine Großchance für Kunst und Kultur vertan, befürchten die Kulturförderer.
Wenige Jahre wird Roland Merklein noch in seinem Beruf als Diakon arbeiten. Danach könnte er sich ganz seinem Künstlerdasein widmen. Ob man dann als Kundin oder Kunde in seiner Galerie nach einer Zeichnung des Ratzeburger Lithografen A. Paul Weber, einem Druck des Surrealisten René Margritte oder etwa der besonderen Tigerente von Janosch wie nach der Nadel im Heuhaufen suchen muss oder die Kunstwerke gezielt und leicht finden kann, das muss sich also erst noch zeigen.