Es ist hart, wenn man nach einer Covid-19-Erkrankung länger außer Gefecht gesetzt ist. Knallhart kommt es, wenn man wegen Post-Covid den Beruf aufgeben muss. Für Jochen Vogel ist dies eine bittere Konsequenz. Ende des Jahres endet seine Zeit als Bürgermeister in Bad Brückenau, er hat wegen seiner Post-Covid-Erkrankung den Ruhestand beantragt.
Vogel war jahrzehntelang kommunalpolitisch tätig. 2002 wurde er in seiner Heimatgemeinde Motten (Lkr. Bad Kissingen) zum Bürgermeister gewählt und zählte mit 29 Jahren zu den jüngsten Gemeindechefs in Bayern. 18 Jahre später holte die CSU ihn als Bürgermeisterkandidaten nach Bad Brückenau (Lkr. Bad Kissingen). Er war voller Tatendrang und wollte in dem Staatsbad im Naturpark Rhön viel bewegen.
Als Vogel im Mai 2020 den Amtseid als neuer Bürgermeister von Bad Brückenau schwor, war er 46 Jahre alt. Erst wenige Tage zuvor war der erste Corona-Lockdown in Deutschland zu Ende gegangen.
Als der Corona-Test des Bürgermeisters von Bad Brückenau plötzlich positiv war
Zwei Jahre später, als die Corona-Pandemie gerade auszulaufen schien, erkrankte Vogel selbst an Covid-19, obwohl er sich mehrfach hatte impfen lassen.
Das Datum hat sich bei Vogel quasi eingebrannt: Am 10. März 2022, einem Donnerstag, war sein Corona-Test am Morgen positiv gewesen. Ihn habe das zunächst nicht beeindruckt. "Ich hatte grippeähnliche Symptome und als ich mich eine gute Woche später freigetestet hatte, fing ich wieder an zu arbeiten."
An mögliche Langzeitfolgen dachte er nicht, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Warum auch, schließlich war er stets kerngesund gewesen, hatte auf dem E-Bike längere Runden gedreht. Als leidenschaftlicher Wanderer hatte er kurz zuvor noch, zusammen mit einem Bergführer, die Ostwand des Watzmanns erklommen.
Die ersten drei Arbeitstage belehrten ihn dann jedoch eines Besseren. Er sei mittags bereits "völlig fertig" gewesen und musste nach Hause gehen, sagt Vogel. Sein Arzt schrieb ihn bis Ende April krank. Von daheim aus habe er ein bisschen gearbeitet, Telefonate geführt, bestimmte Vorhaben in die Wege geleitet. "Vielleicht hätte ich damals die Füße doch besser still gehalten?", fragt er sich heute.
Das Comeback dauerte lediglich eine Woche
Am 29. April 2022 dann der nächste Versuch, im Bad Brückenauer Rathaus wieder in die Arbeit einzusteigen. Von Freitag bis Mittwoch dauerte sein "Comeback", dann musste er die Segel wieder streichen, sagt Vogel. Am Donnerstag habe er gegen 11 Uhr schon zu Hause eine Art Zusammenbruch gehabt – und musste sich wieder schonen.
"Drei Tage lang habe ich fast nur geschlafen. Da war ich wieder mal erschrocken und hab überlegt, ob und wann ich wohl wieder gesund werde", erinnert sich der Bürgermeister. Erneut sei er längere Zeit krank geschrieben worden. Sein Arzt verschrieb ihm lediglich "Geduld" – ein Wort, das zu seinem "persönlichen Unwort des Jahres 2022" wurde.
Innerer Konflikt bei Jochen Vogel nach der Diagnose Long-Covid
Heute wisse er, sagt der 51-Jährige, dass er schon früher hätte in sich hineinspüren müssen. "Aber mein Kopf war mir im Weg." Vogel beschreibt einen "inneren Konflikt", nachdem die Diagnose seines Arztes Long-Covid lautete, weil seine Beschwerden länger als vier Wochen angedauert hatten. Einerseits sei er auch während seiner Erkrankung die ganze Zeit mit Leidenschaft Bürgermeister gewesen, andererseits hätte er sich mehr Ruhe gönnen müssen.
Sein Hausarzt habe ihm nach mehreren Krankschreibungen schließlich stufenweise Maßnahmen zur Wiedereingliederung verordnet. Doch es wollte mit seiner Genesung einfach nicht bergauf gehen, sagt Vogel. Dann gab's die ersten Gerüchte: Was hat der Bürgermeister denn? Ist er depressiv oder hat einen Burnout? Hat er gar Krebs?
Vogel hatte den festen Willen zu genesen
Vogel wollte dem entgegentreten und machte seine Long-Covid-Erkrankung im Frühjahr 2022 in einem Interview mit dieser Redaktion öffentlich. Er erzählte von seiner chronischen Fatigue, der Leistungsschwäche, der Vergesslichkeit, den Schlafstörungen, aber auch von seinem festen Willen bald zu genesen.
Familie und Freunde nahmen Rücksicht und ermahnten ihn, sich nicht zu viel zuzumuten, erzählt er. Auch die Stadtratskolleginnen und -kollegen, vor allem seine beiden Stellvertreter im Amt, hätten viel Verständnis gezeigt. "Das tut gut, es trägt einen", sagt Vogel. Aber er bekam auch mit, dass die Stadträte auch mal kritisch über seinen Gesundheitszustand diskutiert hatten und wie das wäre, wenn er ausscheiden müsste.
Im Sommer 2022 ging der Bürgermeister zum ersten Mal zu einer Reha an den Chiemsee – und war danach enttäuscht, weil die Auszeit ihm nicht den erhofften Kick nach vorn gebracht hatte. Vogel: "Und dennoch hab ich 2022 nie ans Aufhören gedacht."
In den Wintermonaten 2022 steigerte der Bürgermeister die Arbeit zur Wiedereingliederung von drei auf fünf Stunden und schließlich auf sechs Stunden täglich. Gelegentlich kam es wieder zu kleineren Zusammenbrüchen. Hinzu kamen "Vergesslichkeiten", sagt Vogel, die schon im Frühjahr 2022 ab und an mal aufgetreten seien. "Ich fragte meine Frau einmal, was sie kochen wird – obwohl ich doch bereits gesagt hatte, dass ich an dem Tag grillen werde."
Wie wird man als Bürgermeister den eigenen Ansprüchen gerecht?
Die Gedächtnislücken hätten sich zum Glück wieder verloren. Die körperliche Leistungsschwäche eines Post-Covid-Syndroms seien geblieben. Er habe schon 2022 gelegentlich "vage realisiert", dass es sich bei seiner Erkrankung um eine ernste Sache handelt, sagt Vogel heute. "Aber ich hab es nicht wahrhaben wollen, denn in meinem Leben wurde bislang immer alles wieder gut."
Warum er sich stets so leistungsbereit verhielt? "Vermutlich, um meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden: Wenn ich etwas mache, dann gescheit." Das habe wohl auch mit seiner Erziehung zu tun: Es werde einem ja beigebracht, dass man seine Pflichten erfüllen muss, dass man für andere verlässlich sein muss. "Und das ist ja auch etwas Gutes."
Heute sei ihm klar, dass er damals etwas hätte anders machen müssen. "Aber heute nützt es nichts mehr, in den Rückspiegel zu schauen. Man braucht den Spiegel im Auto zwar, aber man muss vor allem nach vorn schauen, dass man nicht gegen die Wand fährt."
Große Hoffnung bei Jochen Vogel auf die zweite Post-Covid-Reha
Große Hoffnung setzte Vogel dann noch einmal auf die zweite Reha im Sommer 2023 am Königssee. Hingefahren sei er mit der Überzeugung, dass er noch gesund werden könne. Doch dann sei er dort ins Grübeln gekommen: über das, was Freunde ihm mit auf den Weg gegeben hatten ("Willst du dir das weiter antun?" oder "Du quälst dich doch nur, wenn du weitermachst") und über das, was er mit Ärztinnen und Ärzten, mit Therapeutinnen und Therapeuten in der Klinik besprach.
Letztendlich sei ihm klar geworden: "Wenn ich gewinnen will, muss ich mich für mich entscheiden und jetzt aussteigen." Die Konsequenz daraus: Am 28. September 2023 reichte Jochen Vogel wegen seiner Post-Covid-Erkrankung ein Schreiben an den Stadtrat von Bad Brückenau ein und beantragte, als Bürgermeister zum 1. Januar 2024 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt zu werden.
Wenn der Druck langsam weicht
Heute, rund acht Wochen nach diesem persönlichen Entschluss, gehe es ihm allmählich etwas besser, sagt Vogel. Er schlafe gelegentlich schon durch. Die chronische Müdigkeit sei jedoch noch nicht gewichen. Aber der Druck sei weg, sagt er. Er habe sich in den vergangenen Monaten schon am Tag vor Sitzungen und Veranstaltungen schonen müssen, um den folgenden Arbeitstag kräftemäßig zu überstehen.
"Ich komme langsam zu einer gewissen inneren Ruhe, vielleicht weil ich mich mit der Situation allmählich anfreunde und nicht mehr so häufig damit hadere, dass ich meinen Traumjob an den Nagel hängen musste."