Jochen Vogel , Bürgermeister von Bad Brückenau, machte im Mai seine Long-Covid-Erkrankung öffentlich. "Eine gute Entscheidung", sagt er rückblickend. "Es wurde viel spekuliert und gefragt: Was hat er denn? Warum kommt er nicht? Hat er keinen Bock mehr oder einen Burnout ?" Auch Sätze wie "der ist fürs Amt nicht tragbar" seien gefallen.
Bürgermeister Jochen Vogel zu den Reaktionen auf seine Long-Covid-Erkrankung
Diese Äußerungen seien nicht direkt zu ihm gesagt worden, sondern ihm von anderen zugetragen worden. "Das hätte ich mir anders gewünscht. Ich finde es schöner, mit den Leuten zu reden als über die Leute. Aber es bleibt nicht aus, wenn man im öffentlichen Bereich tätig ist."
Das Gerede lasse ihn nicht kalt. Nachdem Vogel in einem Interview mit unserer Redaktion erzählte, wie sehr ihn nach seiner Infektion und trotz mehrfacher Impfung zunächst selbst Anrufe oder eine kleine Fahrradtour erschöpften, erreichten ihn vor allem Zuspruch, ermutigende Worte und Genesungswünsche.
Menschen wie er, sei es als Bürgermeister oder in einer anderen leitenden Funktion, sind Getuschel besonders ausgesetzt. Es trifft aber nicht nur Menschen, die in der Öffentlichkeit auftreten.
Mitarbeiter krankgeschrieben und im Café
Ist ein Mitarbeiter krankgeschrieben, sitzt aber im Café oder ist ehrenamtlich tätig, kommt das im Umfeld oft nicht gut an. Vor allem dann, wenn es sich um Beschwerden handelt, die für andere Menschen nicht sichtbar sind wie etwa ein gebrochener Arm, sondern mehr im Inneren stattfinden. Etwa Long Covid , Depressionen, Migräne, Rheuma oder Krebs.
"So krank ist der ja gar nicht, der kann ja immer noch dies und das tun", lästern dann oft böse Zungen. Dabei können gerade diese Handlungen einen Versuch des Betroffenen darstellen, sich wieder ans Arbeitsleben heranzutasten und die eigene Belastbarkeit zu prüfen. Etwas, das Ärzte regelmäßig empfehlen.
In dem Gerede oder den Versuchen, Menschen anzuschwärzen, sieht Psychologin Brigitte Morgenstern-Junior ein soziales Problem. "Sozialneid und Denunziantentum halte ich für sehr bedenklich. Leider ist es weit verbreitet, dass sich andere Menschen in das Leben von anderen einmischen."
Was denken die anderen?
Dabei muss es gar nicht so weit kommen. Allein die Vorstellung, dass über sie geredet werden könnte, hat manchmal zur Folge, dass Betroffene sich wünschen, niemanden zu treffen oder bloß nicht gesehen zu werden, wenn sie außerhalb des eigenen Zuhauses unterwegs sind. Zur eigentlichen Krankheit verspüren sie zusätzlich einen inneren Druck.
"Was denken die anderen? Wenn man diesen Glaubenssatz hat, dann hat man es schwer", sagt die Psychologin. Denke man stärker darüber nach, was in den Köpfen der anderen vor sich gehe, als für sich zu entscheiden, was das Richtige sei, sei das problematisch. Es gehe darum, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, ohne falsche Rücksicht darauf zu nehmen, was andere denken könnten. Schlechtes Gerede erlebten Menschen immer wieder. Egal, ob sie Angst davor hätten oder nicht.
Nicht der Genesung zuwider
Was darf man, wenn man krankgeschrieben ist? Grundsätzlich gilt: Ein Arbeitnehmer, der arbeitsunfähig und krankgeschrieben ist, hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird. Aktivitäten, die die Genesung verzögern können, muss er unterlassen. Die Arbeitsunfähigkeit und Krankschreibung verpflichteten aber nicht, den ganzen Tag nur im Bett oder in der Wohnung zu bleiben.
Das sagt ein Arbeitsrechtler
Aus arbeitsrechtlicher Sicht seien vor allem zwei Fragen ausschlaggebend, sagt Klaus Peter Nöth vom Landesarbeitsgericht Nürnberg . Erstens: "Verhält sich der Arbeitnehmer genesungswidrig?" Zweitens: "Gibt es den Anschein, dass die Beweiskraft des Attestes erschüttert ist?"
Um diese Fragen zu beurteilen, komme es auf die jeweilige Krankheit und das Verhalten des Arbeitgebers an. Wer mit Krankschreibung im Café sitze, verhalte sich grundsätzlich nicht genesungswidrig, es sei denn, man sitze mit Grippe im strömenden Regen im Café.
Ehrenamt darf wahrgenommen werden
Auch eine ehrenamtliche Tätigkeit kann zur Genesung beitragen. Als Beispiel nennt Nöth Polizisten, die ständig bluttriefende Akten vor sich haben und unter dieser Arbeit krank werden. "Dann kann es förderlich sein, ehrenamtlich im Sportverein tätig zu sein, um die Krankheit zu überwinden." Bestehen Zweifel an der Dienstunfähigkeit Beamter, sind sie verpflichtet, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen.