
Die Berliner "Bar jeder Vernunft" ist bislang nicht als Klassik-Hochburg in Erscheinung getreten. Das glamouröse Veranstaltungszelt im Stadtteil Wilmersdorf ist eher bekannt für Kleinkunst, Varieté und leichte Muse. Dennoch hat der Kissinger Sommer am Dienstag ganz bewusst hier das Programm für seine 38. Ausgabe vom 21. Juni bis 21. Juli vorgestellt - als Hybridveranstaltung für Anwesende und Zugeschaltete. Denn das Motto lautet diesmal "Ich hab' noch einen Koffer..." Assoziationen an Marlene Dietrich und Hildegard Knef sind ausdrücklich beabsichtigt.
Was verbindet Bad Kissingen und Berlin?
Zwischen Bad Kissingen und Berlin gab es bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs eine direkte Verbindung: In sieben Stunden konnte man ohne Umsteigen mit dem D-Zug von der Haupt- in die Kurstadt gelangen. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich neben jeder Menge Prominenz aus ganz Europa auch bedeutende Berliner Persönlichkeiten immer wieder in Bad Kissingen einfanden. Etwa der Künstler Adolph von Menzel, der Dichter Theodor Fontane oder Kaiserin Auguste Victoria.
Reichskanzler Otto von Bismarck war 15-mal zum "Abspecken" da. Während seiner vierwöchigen Aufenthalte wurde die Regierungszentrale von der Spree an die Saale verlagert, es fanden Kabinettssitzungen statt, es wurden Gesetze verabschiedet. Hier diktierte Bismarck 1877 das "Kissinger Diktat", das seine außenpolitischen Grundsätze festhielt. Dass nämlich "alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden".
Wie schlägt sich Berlin im Festivalprogramm nieder?

Zunächst einmal mit drei Orchestern, zwei Chören, zwei Opernhäusern und etlichen Ensembles aus der Metropole. Und beim Repertoire: In vielen Konzerten werden Werke von Komponistinnen und Komponisten mit Bezug zu Berlin gespielt, darunter Richard Strauss, Ferruccio Busoni, Paul Hindemith oder Arnold Schönberg. Bei der Eröffnungsgala mit dem BBC Symphony Orchestra etwa Werke von Carl Maria von Weber (dessen "Freischütz" in Berlin uraufgeführt wurde), Kurt Weill und Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Erzählerin zu dessen "Sommernachtstraum"-Musik wird Martina Gedeck sein. Berlin ist aber auch Metropole der Unterhaltungskultur - und das nicht nur in den "Wilden Zwanzigern". Der Kissinger Sommer will das ganze Spektrum wiedergeben, vom Kabarettsong über Revue und Operette bis hin zur Sinfonik.
Was ist diesmal neu im Programm?

Erstmals finden außerklassische Genres breiten Eingang ins Programm. Tim Fischer singt Chansons, und die Entertainerin Désirée Nick, "letzte lebende Diseuse" (Selbstbeschreibung), widmet sich den Grandes Dames des Kabaretts von Lotte Lenya bis Marlene Dietrich. Außerdem ist sie als Tänzerin zu erleben. Zu Gast sind weiterhin das Moka Efti Orchestra, bekannt aus der Serie "Babylon Berlin", und die Komische Oper mit Barrie Koskys Inszenierung der Oscar-Strauß-Operette "Eine Frau, die weiß, was sie will!" - mit Franken-"Tatort"-Kommissarin Dagmar Manzel. Richtig rasant werden soll es mit der Revue "Berlin, Du coole Sau" mit Travestiekünstler Ades Zabel und dem Capital Dance Orchestra, das auf den Swing der 1920er bis 1940er Jahre spezialisiert ist.
Welche Stars kommen diesmal zum Kissinger Sommer?

An großen Namen aus der Klassik fehlt es auch diesmal nicht. Es dirigieren Sakari Oramo, Joana Mallwitz, Simone Rattle, Trevor Pinnock oder Paolo Bortolameolli. Solistinnen und Solisten sind unter anderem Sabine Meyer, Grigory Sokolov, Hélène Grimaud, Martin Helmchen, Vilde Frang, Julia Fischer, Christian Tetzlaff, Nils Mönkemeyer, Daniel Müller-Schott, Raphaela Gromes oder Kian Soltani. Stars sind schließlich beim Kissinger Sommer oft auch die Orchester. So werden neben den Berliner Klangkörpern, dem Deutschen Symphonie-Orchester, dem Konzerthaus-Orchester, dem Rundfunk-Symphonieorchester und den Berliner Barock Solisten, die Münchner Philharmoniker, die Bamberger Symphoniker oder das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks erwartet. Letzteres übrigens mit zwei Stars der Oper: Anja Kampe und Michael Volle singen Auszüge aus Wagners "Walküre".
Welche Klassik-Hits sind zu hören?
Bei aller Öffnung Richtung U-Musik hat auch dieser Kissinger Sommer jede Menge Hits aus Klassik und Romantik im Programm. Sinfonien von Mozart (Jupiter), Beethoven (Nr. 3 und 6), Brahms (Nr. 2 und 4), Bruckner (die 4.), Solokonzerte von Schumann (Violine und Cello), Beethoven (Klavierkonzerte 1 und 3), Mozart (Klavier und Violine), Clara Schumann (Klavier) oder Mendelssohn Bartholdy (Doppelkonzert für zwei Klaviere). Auch kammermusikalisch ist einiges geboten, im Rossini-Saal findet diesmal fast ein eigenes Festival statt.
Welche Angebote gibt es zusätzlich zu den klassischen Konzertformaten?

Zum dritten Mal findet sich ein enthusiastisches Spontanorchester mit Chor zum "Symphonic Mob" zusammen, diesmal unter anderem mit dem Pilgerchor aus dem "Tannhäuser". Das umherwandernde Berliner Stegreif-Orchester spielt wieder einen Abend im - unbestuhlten - Max-Littmann-Saal, mit Improvisationen auf der Grundlage von Werken von Komponistinnen. Bewährt haben sich außerdem die Prélude-Konzerte immer freitags und samstags, 18 Uhr, an verschiedenen Orten in der Stadt.
Alle Infos zu Programm und Vorverkauf auf sofort unter: www.kissingersommer.de oder Tel. (0971) 8048444