Ein vorgezogenes Kissinger-Sommer-Konzert nach ganz und gar unsommerlicher Anfahrt: An einem stürmischen Winterabend gastierten die Bamberger Symphoniker und Hélène Grimaud im gut besuchten Max-Littmann-Saal des Regentenbaus in Bad Kissingen. Auf dem Programm: Maurice Ravels turbulentes, glitzerndes, überschäumendes, wildes Klavierkonzert in G-Dur und die Teile eins bis vier aus Bedrich Smetanas hochemotionalem Nationalzyklus "Mein Vaterland" ("Má Vlast").
Wer es also im Sturm an umgestürzten Bauzäunen und abgerissenen Ästen vorbei trockenen Fußes und unverletzt in diesen Konzertsaal geschafft hatte, der zu den schönsten der Welt gehört, der oder die bekam sinfonisch volles Programm. Wobei der Abend mehrere Stars hatte – drei, um genau zu sein: Die französische Pianistin Hélène Grimaud, Jahrgang 1969, die seit bald 30 Jahren in der allerersten Liga ihrer Zunft spielt, der tschechische Dirigent Jakub Hruša, Jahrgang 1981, den die Bamberger Symphoniker 2016 genau zum richtigen Zeitpunkt, nämlich am Beginn seiner Weltkarriere, als Chef verpflichteten.
Und schließlich das Orchester selbst, das den dunklen "böhmischen Klang" zwar längst nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal mit sich führt, das aber bei Smetana, dem tschechischen Patrioten schlechthin, durchaus besondere Kompetenz für sich reklamieren kann. Wenn dann eben noch ein quasi gebürtiger Kenner dieser zutiefst von Heimatliebe und Heimatkunde durchtränkten Musik am Pult steht, kann nichts schiefgehen. Schließlich ist "Mein Vaterland" auch das erste Werk, das Hruša und die Bamberger gemeinsam eingespielt haben.
Helle, direkte, manchmal fast grelle Klänge
Und wieder wählten der Dirigent und sein Orchester – im Gegensatz zur CD – die hellen, direkten, manchmal fast grellen Klänge. Als gelte es, die Dunkelheit dieser Spätwinternacht förmlich zu zerreißen. Was gelang. So viel Licht, so viel Energie, so viel Wucht und dennoch so viel Wärme. Das Publikum konnte nicht anders und applaudierte nach nahezu jedem Satz.
Hélène Grimaud, die intellektuelle Analytikerin, Romanautorin und Wolfsschützerin, deren Zugriff auf Beethoven oder die Romantiker mitunter etwas kühl wirken kann, hatte zuvor gezeigt, dass sie es nicht nur mühelos mit Ravels aberwitzigen Schwierigkeiten aufnehmen kann, sondern auch mit jedem beliebigen Orkantief, heiße es nun "Zeynep" oder sonstwie. Grimaud fegte den Sturm buchstäblich weg mit einer perfekt balancierten Kombination aus Geistesgegenwart, Kontrolle und Draufgängertum.
Kissinger Sommer vor dem Kissinger Sommer funktioniert also bei jedem Wetter. Wenn die Akteure auf der Bühne in der Lage sind, ihre eigenen Stürme vom Zaun zu brechen. So wie in diesem Fall.