Der Begriff Digitalisierung ist mittlerweile so ausgefranst, dass nur schemenhaft klar ist, was er im Alltag genau meint. Mit dem Wort Mobilitätswende ist es ähnlich, also dem Schwenk weg vom Motor mit Benzin oder Diesel hin zum Elektroantrieb. Woran erkennt man das zum Beispiel im Job oder in Unternehmen, die da mittendrin stecken? Wie verändert es Berufe?
Beim Autozulieferer ZF in Schweinfurt wird das in der Abteilung E-Mobility deutlich. Dort gibt es eine in Eigenregie entwickelte Weiterbildung, die aus Beschäftigten am Fließband Beschäftigte im Büro macht – und das in erster Linie mit Blick auf die Elektrofahrzeuge von morgen.
Hintergrund ist, dass ein mit Batteriestrom angetriebenes Auto im Vergleich zu einem klassischen Wagen mit Verbrennungsmotor nur zu einem Zehntel an Einzelteilen besteht. Kein Wunder, gibt es im E-Auto zwar eine kompliziertere Elektronik und einen wuchtigen Akku, aber zum Beispiel keinen Tank, keine Kolben, keinen Vergaser und keinen Auspuff mehr.
Das wirft weite Wellen in die Werkshallen der Autohersteller und deren Zulieferer wie ZF, der mit 9000 Beschäftigten größter kommerzieller Arbeitgeber und Ausbilder in Mainfranken ist. Dort laufen für den Friedrichshafener Konzern die Nervenbahnen zusammen, was Elektromobilität angeht. Überhaupt hat ZF wie andere Unternehmen in der Branche schon vor einigen Jahren den Schalter umgelegt und sich vom klassischen Verbrennungsmotor verabschiedet.
Beispiele: Diese ZF-Mitarbeiter gingen neue Wege
Für Stefan Müller (36) und Philipp Nöth (29) hat das handfeste Konsequenzen. Beide ZF-Mitarbeiter sind ausgebildete Industriemechaniker. Ein Handwerksberuf, der landläufig gerne auch als Werkzeugmechaniker bezeichnet wird. Er brachte Müller und Nöth jahrelang einen klassischen Job an der Maschine ein, am Fließband sozusagen.
Doch beiden Männern war nach eigener Aussage irgendwann klar, dass die Mobilitätswende und damit die Neuausrichtung ihres Arbeitsgebers ZF irgendwann dazu führen kann, dass weniger Industriemechaniker gebraucht werden. "Man macht sich da durchaus Gedanken", so Nöth. Also sattelten er und Müller um.
Nöth ist seit März weg von Maschine und Fließband, denn er ist jetzt technischer Produktdesigner. Sein Kollege Müller wird es in etwa eineinhalb Jahren sein. Dafür steckt er mitten in einer zweiten Berufsausbildung, die ihm ZF im Rahmen eines selbstgestrickten Weiterbildungsprogramms ermöglich hat.
Zusammen mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg und Schweinfurt sowie dem Berufsbildungszentrum an der Franz-Oberthür-Schule in Würzburg schuf ZF 2018 die Möglichkeit für die Belegschaft in der Fertigung, sich auf technisches Produktdesign und damit auf einen Job im Büro umzuschulen.
Das Besondere: Die Umschülerinnen und Umschüler sind zwar im üblichen Sinn Auszubildende, fallen aber nicht auf einen Lehrlingslohn zurück, sondern bekommen das Grundgehalt aus ihrem bisherigen Job weiter. Außerdem dauert die Lehrzeit zweieinhalb statt wie üblich dreieinhalb Jahre.
Wer bei ZF die Idee mit der Umschulung hatte
Die Idee zur Umschulung stammt von Matthias Rauch, Andreas Ratte und Bastian Brand aus der Entwicklungsabteilung E-Mobility bei ZF. Sie hatten erkannt, dass gerade wegen des Schwenks hin zum Elektroantrieb der Bedarf an technischem Produktdesign zugenommen habe, wie es Brand ausdrückt.
Außerdem habe sich gezeigt, dass ZF-Ingenieure häufig die Produktzeichnungen selbst anfertigten, was nicht unbedingt ihr Job sei. Das habe hier und da zu Ungenauigkeiten geführt. "Es ist immer besser, wenn man die Disziplinen trennt", so Brand.
2017 sei dann klar gewesen: "Wir müssen das entzerren." So sei wenig später die Idee mit der firmeninternen Umschulung in Richtung technisches Produktdesign entstanden, früher bekannt unter der Berufsbezeichnung technische Zeichnerin oder technischer Zeichner.
Für wen die ZF-Umschulung gedacht ist
Gedacht sei dieses Angebot für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit abgeschlossener Ausbildung und einigen Jahren Berufserfahrung, erläutert Personalchef Marcus Giek. Wie viele Jahre genau, sei nicht relevant.
Das Interesse an der Umschulung sei groß, ergänzt Teamleiter Rauch. Heuer habe es 50 Bewerbungen für die zwei freien Plätze gegeben. Mittlerweile klopften andere Abteilungen an, um Näheres über das für sie interessante Angebot zu erfahren.
Für die umgeschulten Müller und Nöth hat der neue Job mindestens einen Vorteil: Die wöchentlich wechselnden Schichten fallen weg. Erstreckte sich die Arbeit in der Fertigung zum Teil über Nacht, haben sie heute frei einteilbare Gleitzeit von 6 bis 20 Uhr. Auch Arbeiten von zu Hause aus sei jetzt möglich, erzählt Müller.
Statt wie früher mit Metallteilen hat er es nun mit Computerprogrammen wie Photoshop zu tun. Denn Müllers Aufgabe ist es, für ZF-Kunden die Einzelteile von Elektroantrieben so lebensecht wie möglich und auf den Millimeter genau als digitale Zeichnung darzustellen.
"Für mich war das wie ein Sechser im Lotto", schwärmt sein Kollege Nöth über die neue Aufgabe. Er erkenne klar den Vorteil der Umschulung: Er wisse aus seiner Praxis an der Maschine, um welche Einzelteile es gehe und was er da als technischer Produktdesigner aufs Papier bringt. Das sei gerade bei Komponenten für Elektroautos wichtig, die komplexer seien als jene für Verbrenner.