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Deutschland
Ein Jahr Atom-Moratorium: Wie läuft die Energiewende?
Es ist das ehrgeizigste Projekt von Angela Merkel und ihrer Regierung. Wenige Tage nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima vor einem Jahr beschloss die deutsche Bundesregierung einen Wechsel ihrer Atom- beziehungsweise Nuklearpolitik. In letzter Zeit jedoch wurde es ruhig um die deutsche Energiewende.
Grafenrheinfeld (Symboldbild)
Foto: dpa
Thomas Köhler
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:18 Uhr
Als am 11. März 2011 die Reaktorkerne in Fukushima zu schmelzen begannen, sah sich Bundeskanzlerin Angela Merkel als studierte Physikerin zum Handeln gezwungen. "Die Kernenergie ist ein Auslaufmodell", unterstrich auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Vor genau einem Jahr, am 14. März 2012, wurde damit das dreimonatige Atom-Moratorium beschlossen , was die 17 deutschen Atomkraftwerke einer Sicherheitsüberprüfung unterzog. Die sieben ältesten Kraftwerke wurden vorübergehend vom Netz genommen. Im Juni beschloss der Bundestag dann in einer Änderung des Atomgesetzes den  Atomausstieg bis 2022  und sprach sich damit für die Energiewende aus.

Das Gesetzespaket zur Energiewende sah Änderungen im Energiebereich von fast schon historischem Ausmaß vor. Es bedeutete das sofortige Aus für acht von siebzehn deutschen Kernkraftwerken. Der Rest soll bis 2022 folgen, darunter auch das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld (Landkreis Schweinfurt), das Ende 2015 vom Netz geht. Um dem Wegfall der Atomenergieressourcen Rechnung zu tragen, sollte weiterhin der Ausbau der erneuerbaren Energien von derzeit 20 Prozent auf 35 Prozent im Jahr 2022 gesteigert werden. Ein Aus- und Umbau der Stromnetze und die Förderung der Energieeffizienz wurde zudem festgesetzt.

Ein Jahr ist seit dem Atom-Moratorium vergangen, die von Atombefürwortern orakelten Horrorszenarien sind zumindest größtenteils nicht eingetroffen:
  • Zu einem sogenannten Blackout kam es nicht: trotz eines strengen Winters konnte Deutschland mit seinen Energiereserven sogar noch das von der Atomkraft abhängige Frankreich vor der Dunkelheit retten. Auch musste nicht wie angenommen Atomstrom im großen Stile importiert werden. Allerdings ist es schwerer geworden, die Versorgung jederzeit zu garantieren. Vor allem der Süden Deutschlands mit den meisten stillgelegten AKWs ist davon betroffen. Der mangelnde Leitungsausbau verlangsamt zudem den Transport von im Norden produziertem Strom in südliche oder westliche Bundesländer.
  • Auch zu einem Emporschnellen der Energiekosten - zumindest in den prophezeiten Ausmaßen - kam es nicht. Der an der Börse in Leipzig ermittelte Strompreis steht momentan bei etwa fünf Cent pro Kilowattstunde und bewegt sich damit im Rahmen vergangener Jahre.

  • Allerdings wird ein Anstieg der Netzentgelte prognostiziert: Zur Sicherung des Stromflusses müssen sich Betreiber von Stromnetzen öfter in den Kraftwerkbetrieb einschalten. Das kostet die Betreiber viele Millionen, was sich am Ende auch auf die Haushalte auswirkt, berichtet das Newsportal stern.de. Ein weiterer Grund für Preissteigerungen könnte auch sein, dass diese Netzentgelte für stromintensive Unternehmen entfallen. Für den Privatmann beispielsweise steigt der Strompreis damit um 0,15 Cent. Falls sie mit ihrem Anbieter unzufrieden sein sollten, können sie auf mainpost.de einen Strom-Preisvergleich für ihre Region durchführen.
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Was sich jedoch in dem Jahr wirklich geändert hat und wie das Projekt Enrergiewende von der Bundesregierung in dieser Zeit umgesetzt wurde, ist schwer zu beurteilen. Viele Probleme warten noch immer auf eine Lösung, wenn der Zeitplan für den Atomausstieg eingehalten werden soll:
  • Neubau von Kraftwerken: Durch den Mehrbedarf an Ökostrom müssen  mehr Windkraftwerke gebaut werden. In Bayern soll sich die Zahl von momentan 600 Windrädern in zehn Jahren verdoppelt haben.Durch die Launen der Natur kann es aber immer wieder zu Schwankungen bei der Produktion von Ökostrom kommen. Wenn kein Wind weht, kann keine Energie produziert werden. Experten schätzen, dass Deutschland im Jahr des endgültigen Atomausstiegs 2022 etwa zehn Gigawatt an Stromerzeugungskapazitäten fehlen werden. Sie raten zum Bau von neuen Gaskraftwerken, die mögliche Ausfälle kompensieren sollen. Problem: Für Kraftwerksbetreiber lohnt sich der Bau nicht, wenn die Kraftwerke lediglich in Zeiten der Stromknappheit laufen sollen.
  • Der Netzausbau geht nicht im erforderlichen Tempo voran. Die Steigerung des Bedarfs an Ökostrom wirft die Frage auf, wie dieser von Windkraftwerken im Norden in den südlichen Teil der Republik transportiert werden soll. Nach Expertenmeinung müssen mehrere tausend Kilometer neue Stromtrassen gebaut werden, um die Versorgung zu gewährleisten. Bisher sind aber erst wenige hundert Kilometer gebaut - fehlendes Personal und Widerstand in den vom Bau der "Stromautobahnen" betroffenen Gemeinden sind die Gründe.
  • Energiespeicher fehlen: Vor allem die Anbindung der Windparks in der Nord- und Ostsee stellt finanziell und bautechnisch eine Herausforderung dar. Fehlende Netzanschlüsse könnten hier für Verzögerungen sorgen.
  • Der Bund hat nach einer langen Hängepartie beschlossenen, 1,5 Milliarden für Modernisierungs- und Wärmedämmungsmaßnahmen bereitzustellen. Allerdings wären fünf Millionen nötig, um die im Energiekozept der Regierung geforderte Sanierungsrate von zwei Prozent zu erreichen.
  • In der Koalition gibt es Zuständigkeitsprobleme, was die Energiewende anbegeht. Sowohl Umweltminister Röttgen (CDU) als auch Wirtschaftminister Rösler (FDP) sehen sich gerne als Atomausstieg-Minister und stehen sich mit ihren gegensätzlichen Interessen immer wieder auf den Füßen. Aber auch andere Ministerien wie das Bauministerium und das Finanzministerium melden Kompetenzansprüche an. Uwe Leprich vom Institut für ZukunftsEnergieSysteme in Saarbrücken forderte daher ein "politisches Kraftzentrum für die Energiewende", um die Kräfte zu bündeln.
Der Schweinfurter Professor Johannes Paulus ist Mitglied im Ausschuss Anlagen- und Systemtechnik der Reaktorsicherheitskommission, die das Bundesumweltministerium berät. Er sieht noch große Defizite bei der Umsetzung der Energiewende und beäugt den Zeitplan für den Atomausstieg skeptisch. Zudem ist noch nicht abzusehen, welche Langzeitfolgen der Atomausstieg für Energieriesen wie RWE oder E.ON nach sich zieht. Der Atomausstieg setzt die Konzerne unter Druck, viele tausend Arbeitsplätze stehen im Energiegewerbe auf dem Spiel.

Betroffen von der Energiewende ist auch die 4000-Einwohner-Gemeinde Grafenrheinfeld. Das dortige Atomkraftwerk wird Ende 2015 das nächste sein, das vom Netz genommen wird. Zwar haben lokale Kernkraftgegner mit der Abschaltung erst einmal ihr Ziel erreicht, jedoch profitierte Grafenrheinfeld vor allem im strukturellen Bereich von den Millionen, die E.ON an Gewerbesteuer zahlen musste: Ein Gewerbegebiet mit 600 Arbeitsplätzen ist über die Jahre entstanden. Jüngere Arbeitskräfte des AKW Grafenrheinfeld müssen sich nun allerdings nach neuen Arbeitsplätzen umsehen. Komplett wird die Arbeit 2015 allerdings nicht eingestellt werden. Einer fünfjährigen Nachbetriebsphase, in der die Brennstäbe abgekühlt werden, folgt ein etwa zehn Jahre langer Rückbau. So bleibt zumindest ein Teil der Arbeitsplätze erhalten.
 
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