Das kleine Wildtier-Gehege etwas abseits der Altstadt von Lwiw war vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eher ein Geheimtipp für Touristen. Besonders die stolzen Jagdvögel zogen so manchen Besucher an. Die Falken in der großen Voliere inmitten des Geländes haben seit Ende Februar einen ungewöhnlichen Ausblick: Vor ihnen türmen sich Haufen und Stapel von Tierfutter auf. Manche der Fleischdosen und Trockenfutter-Säcke stammen von einschlägigen Marken, die in deutschen Supermärkten zu finden sind. Aber auch viele Texte in polnischer Sprache sind auf den Dosen, Kartons und Plastiksäcken aufgedruckt.
Natalia kniet vor einem der großen Futtersack-Haufen. Die Sonne wirft einen leicht rötlichen Schimmer durch die Plastikplanen auf das aufgestapelte Tierfutter. Zwei nicht ganz so reinrassige Schäferhunde trotten gemächlich zu der 30-Jährigen, um sich eine Streicheleinheit bei ihr abzuholen. Einer der Hunde legt seinen Kopf auf das Knie, klappt die Ohren aus und schließt genüsslich die Augen, als Natalia durch sein Fell streichelt. "Ein wenig Trost, das haben wir alle in diesen furchtbaren Zeiten notwendig", sagt sie mit einem Lächeln. Natalia arbeitet eigentlich in einer Werbeagentur, ihr Einsatz ist ehrenamtlich.
Tierschützer bringen Futterspenden in die umkämpften Städte
Das Wildgehege ist zu einem Umschlagplatz und Zufluchtsort geworden. Die riesigen Futterberge sind nicht für die Tiere vor Ort gedacht. Sie werden an Orte geliefert, die jetzt als umkämpfte Städte Schlagzeilen in den Medien machen: "Unsere Freiwilligen liefern nach Kiew, Mykolajiw, Saporischschja und selbst Charkiw", berichtet die junge Frau nicht ohne Stolz in der Stimme: "Dafür nehmen sie große Gefahren auf sich."
Mit einem großen Truck voller Tiernahrung gehe es dann zum sicheren Verteilungspunkt. Dort holen örtliche Helfer das Tierfutter mit Autos und Kleintransportern ab. Dann bringen sie es zu Tierheimen und Privatpersonen. "Oft nehmen einzelne Menschen viele, viele Tiere auf. Hier in Lwiw haben wir gleiche mehrere Fälle, die einen Unterschlupf für über 20 Katzen geben", erzählt sie.
"Der Krieg macht auch vor Tierheimen nicht Halt", sagt Natalia. 55 Kilometer nordwestlich von Kiew liegt Borodjanka. Die Menschen der Kleinstadt mussten schweren russischen Beschuss ertragen. "Auch die Tiere. Unsere Freiwilligen unterstützten deshalb die örtlichen Tierschützer mit Futterlieferungen", erklärt sie. "In Borodjanka haben die russischen Besatzer auch das Gelände des Tierheim eingenommen." Als sich die Tierschützer näherten, um nach den Tieren zu sehen, sei in ihre Richtung geschossen worden. "Mittlerweile ist der Kontakt nach Borodjanka abgebrochen."
600 Hunde und Katzen wurden schon in dem Wildtier-Gehege abgegeben
Neben dem Futter-Drehpunkt ist das Wildtier-Gehege auch ein Schutz für Tiere. "Einige der Menschen, die von Lwiw aus nach Polen oder Ungarn fliehen, können ihre Haustiere nicht mitnehmen. Wir nehmen die Tiere auf. 600 Hunde und Katzen wurden schon bei uns abgegeben", sagt Natalia. "Wir impfen sie, wenn nötig, und vermitteln sie in die EU. Peta hat schon 200 Tiere nach Deutschland gebracht und unterstützt uns auch mit Tierfutter. Dann sind die polnischen Tierschützer sehr wichtig für uns. Aber trotz Kriegschaos müssen wir darauf achten, dass die Tiere nicht in falsche Hände geraten."
Die größte Herausforderung seien gerade Impfstoffe für die Tiere. "Da nähern sich unsere Bestände dem Ende. Ohne Impfungen können wir die Tiere nicht vermitteln", erklärt Natalia.
Zur Zeit sind 15 Hunde und Katzen in der Einrichtung untergebracht. "Morgen kommen nochmal gut 60 Tiere aus dem Kiewer Raum bei uns an", sagt sie.
Die Tiere verkriechen sind und zittern vor Angst
Dann führt Natalia zu den Vierbeinern. "Die Hunde und Katzen sind oft schwer traumatisiert. Vor allem durch die Flucht, aber nicht selten auch durch Kampfhandlungen, die sie mitbekommen haben. Sie können natürlich nicht im geringsten verstehen, was passiert. Aber auch für mich als Mensch ist das alles andere als leicht", erzählt die 30-Jährige.
"Die Tiere verkriechen sich dann in die hinterste Ecke ihres Zwingers oder ihr Hundehütte. Es tut weh, diese Angst zu sehen", sagt Natalia. In der Quarantäne-Station sieht man, was sie meint. Zuerst wirken die gekachelten Boxen, als wären sie leer. Erst wenn man genauer in das Halbdunkel blickt, leuchten aus dem hintersten Eck zwei Katzen-Augen. Das Tier zittert vor Furcht.
Natalia: In Mariupol wären die Bewohner froh, wenn sie eine Dose Chappi zum Essen hätten
"Es ist eine unfassbar schreckliche Zeit. Aber es ist gut, wenn es auch Geschichten gibt, die ein wenig Hoffnung geben", so Natalia. Zum Beispiel die von Katze Musa: Eine Familie musste sie abgeben, weil in ihrer Unterkunft im Zielland Polen keine Tiere erlaubt waren. Für die kleine Tochter sei es furchtbar gewesen, dass sie Musa zurücklassen musste. Doch als die Familie die Katze bei Natalia und den Tierrettern abgeben wollte, war eine Frau vor Ort, die das Tier mitnahm. "Sie schickt dem Mädchen jetzt jeden Tag mit dem Smartphone ein Foto von ihrer Katze", erzählt Natalia.
Dann verabschiedet sich die 30-Jährige. Sie muss mit ihrem Team alles für die ankommenden Tiere am nächsten Tag vorbereiten. In der Voliere hinter ihr sitzt unbeweglich wie eine Statue ein mächtiger Adler, der aus Charkiw mitgebracht wurde.
"Es ist schlimm, was dieser Krieg mit Mensch und Tier macht", sagt Natalia. In der eingeschlossenen Stadt Mariupol wären die Bewohner froh, wenn sie eine Dose Chappi zum Essen hätten. Natalia weiß das - und wie fast jedem in der Ukraine zerreißt auch ihr dieses Wissen das Herz.