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LESERANWALT
Liefern Journalisten nur das, was Konsumenten haben wollen?
Kein Populistenfoto       -  Warum sollte man hier einen der Populisten abbilden und ihm Aufmerksamkeit verschaffen... Ich habe verzichtet.
| Warum sollte man hier einen der Populisten abbilden und ihm Aufmerksamkeit verschaffen... Ich habe verzichtet.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:24 Uhr

Wissen Sie, was die Aufmerksamkeitsfalle ist? Ich antworte mit einer sehr bedenkenswerten Deutung des Schweizer Medienforschers und -Praktikers Matthias Zehnder, entnommen einer aktuellen  Veröffentlichung des Europäischen Journalismus Observatoriums (EJO/März 2018). Medien können zum Populismus führen, indem sie sich vor den Karren von Populisten wie Trump, Strache, Le PEN oder Gauland spannen lassen.

 

Selber schuld

Diese Entwicklung zum Populismus zeige Zehnder mit einer „steilen“ These auf, meint Journalistikprofessor Stephan Russ-Mohl in der EJO-Darstellung. Sie lautet: Am Erfolg von Trump seien „ganz zuvorderst die Medien selber schuld. Und zwar konkret die Journalisten.“ Die würden in der Aufmerksamkeitsfalle zappeln. Sie hätten häufiger über Trump berichtet als über Clinton.

 

Schlagzeilenträchtige Provokationen

Laut Zehnder lässt der verschärfte Kampf um die Aufmerksamkeit von uns allen die Medien boulevardesker werden. Man bediene niedrige Instinkte und ermögliche es Populisten, die Journalisten mit Provokationen immer wieder schlagzeilenträchtig vor ihren Karren zu spannen. Für Glaubwürdigkeit, so Zehnder, müssen Journalisten „relativieren“. Aber um Aufmerksamkeit zu holen, müssen sie „verabsolutieren, sprich: zuspitzen, übertreiben, emotionalisieren und moralisieren“.

 

Entscheidung für den Sofortgewinn

Das Problem: Die zugespitzte „Aufmerksamkeit zahlt sich sofort aus, eine Investition in die Glaubwürdigkeit erst mit der Zeit.“ Immer mehr seriöse Medien entschieden sich folglich für den Sofortgewinn. Der lässt sich in Internetangeboten in Zahlen gleich nachweisen, so auch bei dieser Zeitung. Ein verständlicher Grund dafür, warum auch diese Kolumne unter mainpost.de digital kaum sichtbar wird. Es lohnt sich, hin und wieder bewusst auf die Beiträge zu schauen, die in den Internetangeboten seriöser Medien hervorgehoben und die am meisten gelesen werden. So lassen sich Entwicklungen erkennen.

 

Kostenpflichtige "Vitamine"

Journalisten, so Zehnder, lieferten aber nur das, was Konsumenten haben wollen. Ich füge hinzu, dass sie vor allem das in den Vordergrund stellen. Konsumenten, so erklärt Zehnder, seien mit 250 Fernsehkanälen und anschwellender Informationsflut im Internet überfordert. Zu viele Wahlmöglichkeiten würden quälen – so greife man „immer mehr zu den meist kostenfreien Schleckereien fürs Gehirn und lasse die eher kostenpflichtigen geistigen Vitamine links liegen“.

 

Zehnder: Im Populismus gibt es die Wahrheit nicht mehr

Zehnder wirft die Frage auf, weshalb sich seriöse Medien, etwa die New York Times, den Populismus-Effekten nicht entziehen könnten und über Trump genauso viel berichteten wie dessen Hausmedien. Seine Antwort: „Weil die Art, wie Trump mit Fakten umgeht, für seriöse Medien ein echter Skandal ist.“ Und sie seien darauf ausgerichtet, Skandale aufzudecken und „die Wahrheit zu finden“. Doch im Populismus gebe es die Wahrheit nicht mehr. Was wahr ist, bestimme der Stärkere. Und stärker sei, wer die Medien dominiere. Also der populistische Politiker.

Hier drängt es mich hinzuzufügen: Verhindern können das die Journalisten, die sich vor keinen Karren spannen lassen. Aber auch alle, die ihre Aufmerksamkeit nicht nur in die aufgezeigte Falle lenken, sondern mehr kostenpflichtigen Journalismus nutzen, verhindern Populismus. Ein Stichwort dafür lautet: #Medienkompetenz.

Frühere ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:

"Wichtige Nachrichten, die in der Zeitung niemand vermissen würde" (Sept. 2009)

"Der wachsende Anspruch an Schlagzeilen und die Suche nach dem Bleibenden" (Juni 2016)

"Journalistische Angebote müssen auch auf mainpost.de finanziert werden" (Juni 2012)

"Nachrichtensprache belastet Menschen, die vor Krieg, Elend und Terror geflohen sind" (Dez. 2015)

"Zur Suggestivkraft eines großen Bildes" (Okt. 2012)

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de

 
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