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LESERANWALT
Leseranwalt: Wie sich Putins imaginärer "Heiligenschein" deuten lässt
Ein Foto aus besonderer Perspektive sorgte bei einem Leser für "ungläubiges Staunen und zunehmende Verärgerung". Über die verschiedenen Botschaften eines Bildes.
Ein Bild mit besonderer Perspektive. Es lässt unterschiedliche Deutungen und Bewertungen zu. Vielleicht wäre es besser gewesen, diesen Effekt schon in der Bildunterzeile anzusprechen.
Foto: Dmitri Lovetsky, dpa | Ein Bild mit besonderer Perspektive. Es lässt unterschiedliche Deutungen und Bewertungen zu. Vielleicht wäre es besser gewesen, diesen Effekt schon in der Bildunterzeile anzusprechen.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:39 Uhr

Kritik erhalte ich bevorzugt nach schlechten Nachrichten. Die betreffen dann meist deren journalistische Darstellung, weniger die Nachricht. Prägnantes Beispiel ist Wladimir Putin. Er steht in Text und Bild derzeit für schlimmste Botschaften. So reagierte Leser C.S. ziemlich verärgert, weil er meint, der für Angriffskriege verantwortliche Russe sei mit einem absolut unpassenden Motiv abgebildet worden.

Putin-Anmutung, die Heiligenbildern nahekommt

Das Bild illustriert auf der Wirtschaftsseite der Zeitung vom 18. Juni den Bericht "Putin sieht Sanktionen als gescheitert an". Putin ist darauf als Redner auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum zu sehen. Der autoritäre Herrscher ist so aufgenommen, dass sein Kopf inmitten einer kreisrunden gelben Fläche erscheint. Die gehört erkennbar zum Emblem der Veranstaltung. Das Motiv aber ergibt eine Putin-Anmutung, die Heiligenbildern nahekommt.

Gläubiger Christ mit ungläubigem Staunen

Dieses "Bild des Massenmörders und Menschheitsverbrechers" habe er mit "ungläubigem Staunen und zunehmender Verärgerung wahrgenommen", schreibt mir Herr C.S.. Leider gehöre er als gläubiger Christ nur noch einer Minderheit in Deutschland an. So wisse er mit religiösen "Überhöhungen" aus der Kirchengeschichte gut umzugehen. "Den Wahnsinnigen im Kreml mit imaginärem Heiligenschein" abzudrucken, das verachte und verhöhne die ukrainische Bevölkerung und die vielen unschuldigen Opfer dieses sinnlosen Krieges.

Die Nachricht visuell abgerundet

Ja, über Fotos lässt sich allemal streiten, vor allem über ihre Wirkung. Auf das angesprochene trifft das sicher besonders zu.  Trotz seiner Vieldeutigkeit verstößt es zumindest gegen keinen journalistischen Grundsatz. Die Darstellung ist wahrhaftig. Nüchtern betrachtet, rundet es die Nachricht in einem Bericht nur visuell ab. Vermisst hätte die Aufnahme aber auch niemand, wäre sie weggeblieben. Putin wurde ja ohnehin kaum noch im Bild gezeigt, seit Anfang April hier zu lesen war: "Warum man bei der Veröffentlichung von Fotos von Kriegsverbrechern und von Opfern abwägen muss". Es gibt sie, die journalistische Tugend des Verzichts.

Der Schein, der auch bei Heiligen nicht real ist

Dass Putin mittels eines Scheins um seinen Kopf, der ja auch bei Heiligen nicht real ist, positiv hervorgehoben oder gar religiös überhöht werden sollte, das glauben wohl die wenigsten Leser. Sprechen doch Beiträge dieser Zeitung meist eine andere Sprache. Die ist nicht Pro-Putin.

Redaktionen dürfen, ja müssen grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihre Leserschaft journalistisch gut bearbeitete Nachrichten und Bilder weitgehend richtig versteht. Allerdings sind die Gedanken der Menschen frei, freier als Meinungsäußerungen in einer Demokratie. So empfängt jede und jeder die Botschaft, die sie/er aus ihrer/seiner Perspektive für zutreffend hält. Es empfiehlt sich aber selten, die eigene Bewertung zum allgemein gültigen Maßstab zu erheben. Das schafft Konflikte.

Stichworte: Transparenz und Medienbildung

Ja, es gibt natürlich die Menschen, nicht nur die aus der Ukraine, die diese Putin-Darstellung, die auch andere Medien gezeigt haben, schmerzt. Journalistisch ist es aber unvermeidlich auch üble Zeitgenossen mal abzubilden. Das geschieht natürlich selten gleich einer "Lichterscheinung", wie sie in vielen Kulturen gebraucht wird. Zu erwägen wäre, solchen Fotos, die mit unterschiedlichen Botschaften aufgeladen sind, künftig gleich eine entsprechende Erklärung mitzugeben. Hätte man das in der Unterzeile unter dem Bild getan, wäre möglichweise die beschriebene Beschwerde ausgeblieben. 

Bildbotschaften bis hin zur Satire

Sicher hat der Agenturfotograf die reizvolle Perspektive, die sich ihm vor Ort geboten hat, bewusst genutzt. Vielleicht wollte er mit dem gelben Rund nicht nur den Nimbus des mächtigen Russen symbolisieren, sondern auch die gewaltige Erwartungshaltung, mit der nicht nur Russen auf seine Rede gewartet haben. Aber der Bereich möglicher Bild-Botschaften reicht weit - bis hin zur Satire: Der Heiligenschein fokussiere die weit überzogene falsche Selbstherrlichkeit dieses Diktators, hat mir beispielsweise eine Leserin mitgeteilt.

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Bericht mit Bild, erschienen am 18.6.22 in der Main-Post.
Foto: Repro: Sahlender | Bericht mit Bild, erschienen am 18.6.22 in der Main-Post.

Ergänzende Beiträge zur Wirkung von Bildern:

2022: "Symbolfotos dürfen Nachrichten nicht zu stark befeuern"

2021: "Ein veröffentlichtes Foto mit Schönheitsfehler"

2020: "Keine Propaganda des Terrors"

2018: "Geschmackssache: Foto von Merz"

 
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