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LESERANWALT
Leseranwalt: Keine Propaganda des Terrors
Ächtung der Terroristen: Nichts soll es mehr von ihnen geben, nicht einmal mehr ihre Namen. Gute Erklärungen österreichischer Zeitungen zu Attentatsberichten aus Wien. 
Polizisten am Stephansdom vor einem Trauergottesdienst für die Opfer: Bericht über den Terror von Wien führten zu zahllosen Beschwerden beim Presserat. 
Foto: Herbert Neubauer, dpa | Polizisten am Stephansdom vor einem Trauergottesdienst für die Opfer: Bericht über den Terror von Wien führten zu zahllosen Beschwerden beim Presserat. 
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:40 Uhr

"Jeder Anschlag ist grauenvoll. Er wird es in der Wahrnehmung noch mehr, je stärker Medien die Kameras draufhalten.“ Das schreibt der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjellin der als seriös geltenden österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Es geht ihm dabei um ein zügelloses Berichten einiger Medien in Fotos und Videos zum Terrorakt in Wien. Weit über 1000 Beschwerden sollen dem österreichischen Presserat dazu vorliegen.

"Wir entschieden für ein Nein"

Welche Fragen sich Redaktionen nach solchen Attentaten jeweils stellen, lässt in der „Kleinen Zeitung“ deren Chefredakteur Hubert Patterer erkennen: „Ein junger islamistischer Terrorist schießt sich im Herzen Wiens seinen Hass gegen die westliche Gesellschaft vom Leib. Jene Gesellschaft, die ihm, dem Inhaftierten, vorzeitig und fahrlässig die Freiheit zurückgegeben hatte. Was preisgeben von so einem? Das Antlitz? Den Namen? Wir rangen um eine Antwort und entschieden uns mehrheitlich für ein Nein.“ Überall wo bei der "Kleinen Zeitung" der Name der Täters online stand, sei er gelöscht worden.

Patterer erinnert an Neuseelands Regierungschefin Jacinda Ardern, die dem Attentäter von Christchurch seinerzeit nachrief: „Er will Ruhm. Kriegt er nicht. Nichts wird ihm Neuseeland mehr geben, nicht einmal mehr seinen Namen.“ „Diesem Wort“, so der Chefredakteur, „folgen auch wir. Nicht aus abwegigem Schutz, sondern als äußerste Form der Ächtung. Im Gedächtnis bleiben sollen nur die Opfer.“

Keine Heroisierung

Wie Platterer sieht man das auch beim "Standard". Stand der medialen und politischen Debatte zu solchen Anschlägen sei: Namensnennung und Abbildung des Täters können zu dessen Heroisierung in Sympathisantenkreisen beitragen. Und Hans Rauscher erklärt dazu in einer Kolumne, dass islamistische Attentäter überwiegend von der "Propaganda der Tat" lebten. Diese Selbstverherrlichung dürfe nicht unterstützt werden. Ich füge hinzu, diese Ächtung sollte grundsätzlich für Attentäter in Betracht gezogen werden.

Die meisten Medien haben folglich nicht das Foto gezeigt, das der Wiener Attentäter mitsamt Waffenarsenal von sich aufgenommen hatte. Es sei, so Rauscher, ein bekanntes Sujet der Islamisten. Der Erkenntniswert liege nahe null. Schon gar nicht habe der Standard das Video verbreitet, das die Ermordung eines Opfers zeigt. Da gehe es um Menschenwürde.

Etwas anders sieht man das online beim Medium "falter.at". Dessen Chefredakteur Florian Klenk hat auf Twitter mitgeteilt, dass ein Name normal sei. Wörtlich: "Das Herumschweigen ist das Besondere, das neugierig macht. Wichtig ist es, der Propaganda und der Erzählung eines Terroristen nicht auf den Leim zu gehen." Er nennt einen früheren bekannten österreichischen Attentäter und argumentiert, dass auch Franz Fuchs nicht nur F.F. gewesen sei.

Journalistische Tugend des Verzichts

Selbst wenn aktuell der Name des Wiener Attentäters hier in dieser Zeitung genannt worden ist, unterstreiche ich eher das, was in "Der Standard" und "Kleine Zeitung" zur Terrorberichterstattung erklärt wurde. In einer Abwägung spricht mehr dafür als für pure Befriedigung menschlicher Neugierde. Auch die Ansicht, dass Terrorismus Teil einer aktuellen Wirklichkeit ist, deren Grausamkeit den Menschen im Bild vor Augen geführt werden müsse, um die Gefahr wirklich zu begreifen zu können, muss zurückstehen. Ich meine, das zu begreifen ist auf diesem Weg absolut unnötig. In der Medienethik spricht man in solchen Zusammenhängen auch von der journalistischen Tugend des Verzichts.

Hier aus "Der Standard": "Neun Minuten: Die Geschichten einer Nacht voller Heldentaten und Terror in Wien"

Frühere ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:

2015: "Wahrhaftige Darstellung von Wirklichkeit kann zur sprachlichen Grausamkeit werden"

2016: "Nagelprobe für die Lokalzeitung: Wenn der Terror ganz nahe kommt"

2016: "Nachrichtenfaktor Nähe"

2017: "Heikle Entscheidungen: Fotos nach Terroranschlägen"

Eine andere Meinung aus der taz von 2016: "Bilderverbote machen nur heiß"

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch: Vereinigung der Medien-Ombudsleute

 
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