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LESERANWALT
Leseranwalt: Warum die Bibel für unabhängige Journalisten nicht bindend ist
Welche Wirkung eine kritische Auseinandersetzung mit Religion im Journalismus auf Leserinnen und Leser haben kann - und welche Grenzen es dabei einzuhalten gilt.
Die Bibel ist eine Grundlage im Judentum und im Christentum für die grundgesetzlich geschützte Religionsausübung - aber kein Gesetzbuch für unabhängigen Journalismus.
Foto: Bodo Schackow, dpa (Symbolfoto) | Die Bibel ist eine Grundlage im Judentum und im Christentum für die grundgesetzlich geschützte Religionsausübung - aber kein Gesetzbuch für unabhängigen Journalismus.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 13:03 Uhr

Am 12. Mai habe ich über die Kritik an der Glosse "Die (halb)wahre Ostergeschichte um den ersten Vegetarier" geschrieben und erklärt, warum Satire vor Religionsausübung und Festtagen nicht Halt machen muss. Meine Argumente wollte nun eine Kritikerin so nicht stehenlassen. Denn schon zuvor habe sie in einigen Beiträgen "objektiv Fehlanalysen" oder "unterlassene Nachfragen nach dubiosen Argumenten" von Interviewpartnern festgestellt, so die Leserin.

Unwidersprochene Erklärung vom gesundgepflegten Jesus

Die Frau erinnert sich: Unwidersprochen verstiegen habe sich mal zu Weihnachten der frühere SWR-Journalist Franz Alt in einem Interview in "die hanebüchenste aller denkbaren Erklärungen": Demnach sei Jesus zwar gekreuzigt worden, aber nicht gestorben, sondern gesundgepflegt worden - er habe folglich also nicht "auferstehen" müssen. Doch auf Tod und Auferstehung basiere das gesamte Glaubenskonzept biblischer Überlieferung, sagt die kritische Leserin. Tatsächlich hat Alt im Dezember 2015 dazu erklärt, dass er das für denkbar halte. In seinem Buch "Was Jesus wirklich gesagt hat", habe er es offengelassen. Wörtlich: "Muss ich die Auferstehung glauben, wenn ich die Möglichkeit habe, das rational zu erklären?"

Jegliches Fingerspitzengefühl vermisst die Frau in der "blasphemischen Kommentierung des österlichen Geschehens" in der Glosse dieser Redaktion vom 16 April. Zitat daraus: "Ideen für eine kreative Ergänzung des Bibel-Originals: Der süße Hoppelhase? Tja Kinder, das war Wuschel, das Haustier vom lieben Jesus. Und weil dieser den Wuschel so doll in sein Herz geschlossen hatte, hat er zu seinen Aposteln sinngemäß gesagt: 'Leute, von heute an essen wir kein Fleisch mehr! Es gibt nur noch Brot und Wein – und meinetwegen auch Fisch und Schokoeier'."

Auch Inhalte der Bibel oder anderer religiöser Werke dürfen kritisiert werden

Aber dennoch: Weil Versöhnlichkeit zur Praxis eines jeden ernsthaften Christen gehöre, bleibt die Frau "in aller Ehrlichkeit und ohne jeden Rückstand an Animosität" freundlich zum Autor jener Glosse und zu mir. Das ist vorbildlich und tolerant.

Mit Respekt vor gläubigen Menschen und ihrer jeweiligen Religion halte ich aber fest: Auch Inhalte der Bibel oder anderer religiöser Werke dürfen kritisiert und neu gedeutet werden. Sie sind keine Gesetze, die unabhängige Journalistinnen und Journalisten binden können. Etwaige Fehlanalysen können an den Schriften objektiv schwerlich festgemacht werden. Religionsfreiheit schützt nicht nur die Religionsausübung, sondern auch vor Religionen. Niemand muss sie und ihre Lehren annehmen. 

Auch weltanschauliche Bekenntnisse sind unverletzlich

Im Grundgesetz heißt es in Artikel vier: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Und weiter: "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." In der heutigen pluralistischen Gesellschaft ist vor allem religiöser Frieden im Sinne gegenseitiger Toleranz geschützt - und damit auch öffentlicher Frieden. Wer ihn durch Beschimpfung religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse gefährdet, kann bestraft werden.

Rechtliche Grenzen überschreitet aber nur eine nach Inhalt und Form besonders verletzende rohe Kundgabe der Missachtung. Dazu zählt die "Bezeichnung der christlichen Kirche als eine der größten Verbrecherorganisationen der Welt". Das ist eine "Beschimpfung der christlichen Kirche und ihrer religiösen Bekenntnisse, welche geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören." (OLG Celle, 8. Oktober 1985 – 1 Ss 154/85 –, juris).

Bewusstsein für unterschiedlichen Wirkungen auf Leserinnen und Leser

Aber die satirisch-kritische Schilderung einer Erstkommunion, insbesondere der Eucharistiefeier, in einer Wochenzeitung mit einer überwiegend studentisch-sozialpolitischen Leserschaft stellt im Sinne des Strafgesetzbuches kein "Beschimpfen" dar. (OLG Karlsruhe, 17. Oktober 1985 – 2 Ss 58/85 –, juris).

Selbst Spott ist in kritischer Auseinandersetzung erlaubt, wenn er nicht verächtlich, sondern lächerlich macht. Letzteres könnte aber journalistisches Fingerspitzengefühl verhindern. In den Leitlinien dieser Redaktion steht nämlich: "Wir sind uns <...> der unterschiedlichen Wirkungen auf unsere Leser bewusst und tragen dem in geeigneter Weise Rechnung." Doch selbst wenn dies in geeigneter Weise geschehen ist, kann es immer noch Leserinnen und Leser geben, auf die ein entsprechender Beitrag anders wirkt.

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Frühere ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:

2013: "Gezeichnete Satire zum Konklave schmäht weder Glaube noch religiöse Überzeugungen"

2013: "Die katholische Kirche und ihr Oberhaupt müssen deutliche, öffentliche Kritik aushalten"

2014: "Kritischer Kommentar zum Islam überschreitet ethische Grenzen der Meinungsfreiheit"

2019: "Journalistische Wahrhaftigkeit und Gott"

2020: "Ein Protest, über den nicht berichtet wurde"

 
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