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LESERANWALT
Leseranwalt: Warum der ehemalige Ministerpräsident Horst Seehofer im Rentnerparadies deplatziert wirkt
Als Leseranwalt sehe ich mich zu einer Klarstellung verpflichtet, obwohl sich kein Rentner bei mir über die Überschrift zu Seehofers Geburtstagswürdigung empört hat.
Diese Überschrift stand am 4. Juli 2024 in der Main-Post über der ganzseitigen Geburtstagswürdigung für Horst Seehofer. Wichtig: Seine Ruhestandsbezüge kommen nicht aus der Rentenversicherung.
Foto: Marcus Merk / Repro MP | Diese Überschrift stand am 4. Juli 2024 in der Main-Post über der ganzseitigen Geburtstagswürdigung für Horst Seehofer. Wichtig: Seine Ruhestandsbezüge kommen nicht aus der Rentenversicherung.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 13.07.2024 04:00 Uhr

"Ein Machtpolitiker im Rentnerparadies" - diese Überschrift stand in der Zeitung vom 4. Juli über einem ganzseitigen Artikel zu Horst Seehofers 75. Geburtstag. Danach habe ich erwartet, dass sich bei mir Rentnerinnen und Rentner darüber entrüsten. Darunter zum Beispiel eine wie Anna X., die mit Altersbezügen von 1000 Euro ihr Dasein mehr schlecht als recht bestreitet. Dabei könnte der Begriff "Rentnerparadies" in der notgedrungenen Bescheidenheit von Anna X., die es nicht wirklich, aber statistisch viel zu oft gibt, wie Hohn angekommen sein. Natürlich nur dann, wenn ihre Rentenhöhe noch den Bezug dieser Zeitung möglich macht.

Niemand aus der Renten-Kategorie von Anna X. hat sich bei mir gemeldet, stattdessen aber aufklärend und nicht ohne Ironie Herr B. J.: "Machtmensch Seehofer ist im 71-Prozent-Pensionärs-Paradies. Hölle, Hölle, Hölle ... auch für Redakteure und Journalistinnen dieser Zeitung."

Formal dürfen Pensionäre als Rentner bezeichnet werden

Leser B. J. bringt es fast auf den Punkt. Dennoch ist der Begriff Rentner für Seehofer formal nicht falsch. Beamte, zu denen ich in erweitertem Maß Minister und Ministerpräsidenten zähle, dürfen nicht nur nach Beamtenrecht als Rentner bezeichnet werden, wenn sie im Ruhestand sind. Tatsächlich sind sie aber Pensionäre, wie es B. J. schreibt. Als solche beziehen sie ihre Versorgungsleistung durch ihren jeweiligen Dienstherrn. Keinesfalls etwa aus der Rentenversicherung, in die sie nicht einzahlen.

So wirkt es auch für mich als Leseranwalt deplatziert, den stattlich versorgten Seehofer in einer Schlagzeile zum Rentner zu machen. Ich neide ihm nichts. Aber ich schreibe für Leute wie Anna X. Sie kann und soll paradiesische Zustände mindestens ideell erleben. Im Hinblick auf die Überschrift plädiere ich dagegen, dass möglicherweise der Eindruck erweckt werden könnte, Seehofer könnte von einer Altersrente paradiesisch leben. Das würde auch ihm nur schwerlich gelingen. Der sprachlich vermittelte Eindruck ist voll daneben, gerade in Zeiten, in denen die Renten-Diskussion längst zum sozial bedrückenden Politikum geworden ist.

Das großzügige Salär von Ruhestandsministern mag als solches auf Rentner paradiesisch wirken. Dem Salär gilt aber nicht meine Kritik. Dass diese Bezüge nicht annähernd mit Altersrenten zu vergleichen sind, das wissen wohl alle. Dennoch sollten Renten und Pensionen im Journalismus sprachlich sauber auseinandergehalten werden. Das vermeidet Missverständnisse im demokratischen Diskurs. Denn darin schließen es Experten ja nicht aus, dass bei einer Rentenreform auch Beamte allmählich ins System eingegliedert werden. Österreich könnte Vorbild sein.

"Ruhestandsparadies" wäre für Seehofer zutreffender gewesen

Was auch immer bei uns kommen oder bleiben mag: Gegenwärtig kann Rente, gekoppelt mit Paradies, einerseits als innerer Widerspruch ankommen, andererseits könnte darin die Absicht vermutet werden, der belastende Zustand des Systems solle dadurch schöngeredet werden. Das wäre eine Provokation oder auch empathielos gegenüber den Menschen, die unter der gegenwärtigen Renten-Situation leiden. Aufpassen, rate ich deshalb allen Redakteurinnen und Redakteuren, die Überschriften machen. In diesem Fall wäre ein "Ruhestandsparadies" für Seehofer zutreffender gewesen.

Wichtig bleibt: Meine Differenzierungen gelten alleine der Überschrift der Seehofer-Geburtstagswürdigung. Im Text spielen die Bezüge des Ex-Ministerpräsidenten und das Rentensystem keine Rolle. Der bezieht sich auf Leben und Wirken von Horst Seehofer.

Zur Transparenz: Keine Klage in eigener Sache

Jedoch bedarf das Thema der persönlichen Transparenz: Ich (74) bin selbst Rentner und ab August kein Leseranwalt mehr. Auch ohne mein bisher dafür bezogenes zusätzliches Honorar gilt: Ich klage nicht in eigener Sache. Von "Hölle, Hölle ...", lieber Herr B. J., ist bei mir nicht die Rede. Die Zeilen sind für jene entstanden, für die der Ruhestand in Rente alles andere als paradiesisch ist.

Mich freut für alle, dass die Main-Post eine Nachfolgeregelung für den Leseranwalt anbieten wird. 

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Frühere Leseranwalt-Kolumnen zum Thema:

Juni 2017: "Treffende Argumente statt zuspitzender Worte"

Jan. 2017: "Nicht alle Senioren sind Rentner"

Mai 2016: "Ein Kardinal geht in den Ruhestand, aber nicht in Rente"

 
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