Orientierung in der verwirrenden Welt der Informationen sollen und wollen Zeitungen bieten. Das ist es wohl, was auch Leser K.L aus der Rhön reklamiert. Aus seiner Sicht weist nämlich ein Foto, das einen einsamen Schneeschuh-Wanderer in der Rhöner Winterlandschaft zeigt, den falschen Weg. Das Bild illustrierte am 11. Januar den Zeitungsbericht "Der Appell zeigte Wirkung" nach dem Aufruf des Landrats von Rhön-Grabfeld „Verteilt Euch!“, der zum Schutz vor dem Virus vor Andrang in Ausflugs-Hotspots gewarnt hatte.
Herr K.L. sieht in dem Bild nicht den „geordneten Rahmen“, in dem trotz vieler Touristen alles geblieben sei, wie es der Bericht erklärt. Was das Bild suggeriere sei ein „Bärendienst für die Natur“. Der Schneeschuh-Geher "abseits aller Wege" präge sich bei Freizeitsuchenden 100 Mal stärker ein als alle Mahnungen der Naturschützer, gerade in sensiblen Bereichen auf keinen Fall außerhalb der markierten Wanderwege unterwegs zu sein.
Komplexes Feld der Medienwirkungen
Ich greife diese Kritik gerne auf. Lenkt sie doch den Blick auf die redaktionelle Verantwortung für mögliche (Neben-) Wirkungen ihrer Veröffentlichungen. Ein schwieriges Feld. Medienwirkungen gelten auch in der Forschung als komplex und umstritten. Müssten dazu doch gleichzeitig auch persönliche Wahrnehmungen und Vorlieben des Publikums und ihre wechselseitige Beziehung zu Medienangeboten aufwändig abgefragt werden.
Zumindest wahrscheinlich erscheint es aber, dass die meist zuerst wahrgenommene Bildinformation bei Leser*innen zum Rahmen ihrer Interpretation für den gesamten Beitrag werden kann. Bei Herrn K.L. öffnet sich dieser Rahmen offenbar einem Naturfreund, der in dem Schneeschuh-Geher eine für die Natur unerwünschte Suggestion erkennt. Vor diesem Hintergrund sind seine Einwände ernst zu nehmen, obwohl niemand weiß, welche Botschaft es tatsächlich ist, die mit dem Bild mehrheitlich bei der Leserschaft ankommt.
Der Kraxler in der Natur
Redaktionen nutzen aber auch selbst gezielt Bilder, um dem, was sie mit Beiträgen sagen wollen, optisch Nachdruck zu verleihen. Beispiel: Unter dem Titel "Kraxler unter Strom" beispielsweise sehen wir in der Ausgabe vom 16. Januar mitten in der Wildnis ein geländegängiges Elektrofahrzeug unterwegs. Ein Bild (vom Hersteller übernommen), in dem man durchaus eine Einladung sehen kann, eine solche Kraxeltour mit diesem und ähnlichen Fahrzeugen in der Natur nachzuvollziehen. Diese Wirkung ist wohl bezweckt. Wozu sonst, sollte man einen Wagen mit den beschriebenen Fähigkeiten anschaffen? Proteste aus der Leserschaft sind dazu bei mir aber nicht eingegangen. Vielleicht weil es "nur" um ein E-Fahrzeug geht.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer (Institut Medienverantwortung) schildert in ihrem soeben im Frankfurter Westend-Verlag erschienenen Lehrbuch „Medien-Analyse“ einen Pars-pro-toto-Reflex. Sie meint damit unsere Neigung, eine einzelne Ansicht wie dieses Bild zu verallgemeinern: "Das Verstehen von Bildern gilt als blitzschnelle Interpretation <...> das bedeutet, dass oftmals die Bildinformationen den Rahmen für die weitere Rezeption legen."
Überprüfen Sie sich selbst.
Anton Sahlender, Leseranwalt.
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zum Thema Bild:
2013: "Ein Indiz dafür, dass die Falten der Kanzlerin die Leser nicht beeinflussen"
2017: "Ein überflüssiges Tatort-Foto"
2018: "Geschmackssache: Foto von Merz"
2020: "Ein Bild, zu dem die redaktionelle Distanz fehlt"
2021: "Was nach verletztem Infektionsschutz schützt"