
Wann sollten auch Journalisten auf Distanz gehen? Ich gebe beispielhaft eine Antwort darauf, weil dieser Tage ein Bild auf mainpost.de verbreitet worden ist, das für kontroverse Diskussionen sorgte. Es zeigt Damen- und Herrenteams der Würzburger Kickers, eng beieinander stehend mit Vertretern der Stadt Würzburg. Es ist das Erinnerungsfoto mit 70 Personen, aufgenommen beim Stadt-Empfang für die erfolgreichen Fußball-Mannschaften.
"Corona-Regeln kurz vergessen" war über einem Bericht zur darauf folgenden Kontroverse um das Bild getitelt. In digitalen Leserbeiträgen auf mainpost.de wurde der fehlende Mindestabstand der abgebildeten Stadtväter und Fußballer*innen meist kritisch bewertet, u.a. hieß es "haarsträubend" oder "nix kapiert". Sie würden ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht. Selbst ein Sprecher des Rathauses sah da ernsthafte Bemühungen um den Schutz vor Corona konterkariert. Nächstes Mal wolle er strenger organisieren.
Darstellungen von Wirklichkeit
Ein Leser wundert sich wörtlich, welche Bilder "die sonst so corona-linientreue Main-Post im Artikel 'Gerüchte um Michael Schieles Zukunft' und in der Fotoserie 'So feiern die Kickers-Fans den Aufstieg' veröffentlicht hat. Dagegen sei das Foto vom Empfang 'Kindergeburtstag'". Also frage auch ich hier nach der journalistischen Verantwortung.
Abbildungen von im Biergarten mit wenig Distanz feiernden Fans, aufgenommen bei der Fußballübertragung, dürfen als Darstellungen von Wirklichkeit betrachtet werden. Auf die vermag ein Pressefotograf keinen Einfluss zu nehmen. Sie der Leserschaft vorzuenthalten, wäre nicht im Sinne von Wahrhaftigkeit, selbst wenn sie in Corona-Tagen schlechte Beispiele zeigen.
Bewertung kritischen Lesern überlassen
Nun aber jenes gestellte Bild vom Kickers-Empfang der Stadt mit Stadtvätern, die eigentlich Vorbild sein sollten. Dennoch bewerte ich dabei weniger das Verhalten der einem strengen Hygienekonzept der Fußball-Liga entsprungenen Kicker oder das der Stadtväter. Ich frage stattdessen: Hat die Redaktion bei der digitalen Veröffentlichung richtig und konsequent gehandelt?
Grundsätzlich klar ist, dass dieses Foto vom Empfang veröffentlicht werden durfte. Es ist in Wirklichkeit so gewesen, wie gezeigt. Aber auf ein falsches, nicht regelgerechtes Verhalten der abgebildeten Personen war nicht hingewiesen. Journalismus, der das versäumt, läuft Gefahr, sich mit schlechten Beispielen gemein zu machen. Es ist fast so als würde er eine Falschbehauptung zitieren, ohne sie als solche zu kennzeichnen. Dann wären Journalisten fürs Zitieren ebenfalls haftbar zu machen. Und im vorliegenden Fall hat es die Redaktion alleine kritischen Lesern überlassen, sich von der Fotoaufstellung ohne Mindestabstand zu distanzieren.
Frage nach dem "Nachspiel"
Dass das Bild für die Abgebildeten ein "Nachspiel" haben müsste, folgert ein Leser. Sein Grund: Verdacht des Verstoßes gegen das Bayerische Infektionsschutzgesetz. Auf diese Leserdeutung hätte ich mir noch eine journalistische Antwort gewünscht.
Der digitale Ausgangsbericht mit offiziellem Empfangsbild: "Kickers-Empfang: 57 Aufsteiger tragen sich ins Goldene Buch der Stadt ein"
Hier der Online-Beitrag zu den Kritiken am Foto mit kritischen Leserkommentaren: "Warum beim Kickers-Empfang Corona-Regeln kurz vergessen waren"

Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu journalistischer Distanz:
2012: "Wetten dass die Medien Jauch oder Beckenbauer nicht zum Bundespräsidenten machen könnten"
2016: "Die Reichweite von Lokalpatriotismus im Sportjournalismus"
2017: "Für was das Zitat von Hanns Joachim Friedrichs nicht taugt"
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
Mancher sucht halt einfach nach dem Haar in der Suppe.
Anton Sahlender, Leseranwalt