Beschwerden darüber, dass die Redaktion mit ihrer Berichterstattung versucht hätte, vor der Wahl einseitig Einfluss zu nehmen, sind mir nur wenige bekannt. Das heißt, sie wurde nicht verantwortlich gemacht für unerwünschte Ergebnisse. Das passiert eher nach Kommunalwahlen. Da räumt man den Beiträgen von Regional- und Lokalzeitungen größere Wirkung ein.
Einer Frau, deren Beschwerde die Redaktion aber noch am Samstag vor der Bundestagswahl erreichte, ging es um die Bundeskanzlerin. Angela Merkel war genau an diesem Tag (21. September) auf der Titelseite mit einem nach Meinung der Leserin „von Falten gezeichneten abgearbeiteten Gesicht“ dargestellt. Daneben stand das, nach ihren Worten, „retuschierte Porträt eines jugendlich wirkenden dynamischen Herausforderers.“ Weil sie nicht gewillt sei, sich von einer Regionalzeitung manipulieren zu lassen, will die Frau auf eine überregionale Zeitung umsteigen.
Es hat sich um Zeichnungen der beiden Politiker gehandelt, nicht um Fotos. Der redaktionelle Hinweis „Illustration“, anstelle von „Foto“ war vielleicht nicht eindeutig genug. Tatsächlich sah Peer Steinbrück etwa zehn Jahre jünger aus. Das Konterfei von Angela Merkel war der Aktualität näher. Das Urteil darüber, ob Steinbrück dynamisch wirkt, kann von Betrachter zu Betrachter unterschiedlich ausfallen. Es gab gewiss Leser, bei denen Frau Merkel natürlicher und sympathischer ankam. Das hängt meist von der eigenen Haltung ab. Trotz der Abweichungen von der Realität, die Zeichnungen so eigen sind, wurden sie veröffentlicht. Mit diesen, wie mit allen Darstellungen sollte schließlich auch erreicht werden, dass viele Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Deshalb ist es gut, dass auch der Wahlkampf viele Wochen die Berichterstattung dominiert. Bei größtem Bemühen wird dabei nicht jedes Bild, nicht jede Formulierung oder Überschrift eines tagesaktuellen Mediums unterm Mikroskop der Überparteilichkeit bestehen können. Es ist eben unausweichlich, dass nicht alle Beiträge individuellen Maßstäben entsprechen, auch nicht in überregionalen Medien.
Manipulation wäre aber eine journalistische Todsünde. Damit würde man sich ins eigene Fleisch schneiden. Das hohe Gut der Glaubwürdigkeit setzt kein Redakteur aufs Spiel.
Der Ausgang dieser Wahl könnte ein Indiz dafür sein, dass die Entscheidung der Wähler sich nicht an Falten der Kanzlerin orientiert, die man am Tag vor der Wahl zu erkennen glaubt. Vielleicht konnte die auffällige Illustration aber dazu beitragen, dass mehr Wahlberechtigte abgestimmt haben.
Den letzten Satz verstehe ich aber - sorry Herr Leseranwalt - als mißlungenen Scherz!
Was die Bedeutung dieser Zeitung betrifft, so sieht das mancher Kandidat, der hier zu Wahl steht, gelegentlich aber ganz anders als Sie. Wie dem auch sei, es wäre interessant eine Untersuchung darüber anzustellen, welche Medien Wähler wie beeinflussen können.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Ansonsten war es die erwartete Antwort und wichtiger werde ich das ganze auch nicht nehmen.
Anton Sahlender, Leseranwalt