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Gemünden
Leseranwalt: Auch wenn Putin mitlesen könnte, muss über Schwachstellen berichtet werden
In der Darstellung eines Eisenbahnknotenpunktes ist nach seiner Sicherheit gefragt. Dabei geht es auch um eine Freiheit, derer sich Redaktionen nie selbst berauben werden.
Blick auf den Bahnknotenpunkt Gemünden, aufgenommen 2018 vom Hobbyfotograf Rainer Knoblach von einer Brücke. Das genutzte Teleobjektiv verkürzt optisch die Entfernungen.
Foto: Rainer Knoblach | Blick auf den Bahnknotenpunkt Gemünden, aufgenommen 2018 vom Hobbyfotograf Rainer Knoblach von einer Brücke. Das genutzte Teleobjektiv verkürzt optisch die Entfernungen.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:19 Uhr

Selbst Putin könnte das lesen, kommentiert ein Christian im Online-Forum der Main-Post den Artikel "Wie sicher ist der bedeutende Eisenbahnknotenpunkt Gemünden vor Sabotage?". Er erklärt, über manche Dinge dürfte man einfach nicht berichten. Nutzer g.n.a. (abgekürzt) fügt hinzu: "Eigentlich unverantwortlich sowas so plakativ in die Welt zu blasen." Wirklich?

Die kritisierte Veröffentlichung stellt einen bedeutenden Knotenpunkt für den Schienengüterverkehr dar. Wir lesen: "Hier kreuzen sich die Ost-West-Achse zwischen Würzburg und Frankfurt, ein Rückgrat für den europäischen Güterverkehr auf der Schiene, sowie die Nord-Süd-Achse zwischen Fulda und Würzburg. Hinzu kommt die Anbindung nach Schweinfurt und Bamberg über die Werntalbahn."

Autor lässt Anlass für den Bericht erkennen

Weil zuvor Sabotage zu Zugausfällen in Norddeutschland geführt hatte, fragt der Autor, wie es denn um die Sicherheit der Bahninfrastruktur rund um Gemünden bestellt ist. Damit sagt er an, was ihn zu dem Bericht veranlasst hat. Dadurch sieht aber der digitale Leser S.M. den wichtigen Knotenpunkt der Bahn in den Fokus gerückt und bedient sich im Forum warnend der Ironie: "Vielleicht gibt es ja im nächsten Artikel einen Lageplan, wo man die relevanten sensiblen Kabel genau finden kann." Damit hat er, wohl unbewusst, eine Antwort an Christian nahegelegt. Der hatte ja gemeint, über manches dürfe einfach nicht berichtet werden.

Klar ist zunächst: Rechtlich gibt es keine Einschränkung, über die wichtige Anlage der Bahn und denkbare Gefährdungen zu berichten. Die Sabotage in Norddeutschland legt es sogar nahe, es vorbeugend zu tun. Hinzu kommt ein lokaler Vorfall, der die Frage nach der Sicherheit ebenfalls angeraten sein lässt: Ein Obdachloser hatte sich ein halbes Jahr unentdeckt in einem Gemündener Betriebsgebäude der Bahn häuslich eingerichtet.

Gebotene Zurückhaltung

Relevante Stellen der Anlage, wie von S.M. ironisch angesprochen, sollten in einer solchen Berichterstattung nicht so präsentiert werden, dass sie gut erkennbar, einsehbar und auffindbar sind. Und das ist ja auch nicht geschehen. Diese Zurückhaltung gebietet in diesen Zeiten journalistische Verantwortung. Und dass Verantwortliche der Bahn nun selbst streng darauf achten, darf man annehmen.

Sabotage kam auch in einem erklärenden Beitrag ("Ist die Blackout-Gefahr real?“) zu möglichen Ausfällen der Energieversorgung in Kitzingen zur Sprache. "Warum", so hat da ein Stadtrat nach dem eher beruhigenden Vortrag eines Experten gefragt, "wird den Leuten Angst gemacht, dass alle wie verrückt Notstromaggregate kaufen?" Weil die Angstkampagne Teil von Putins Kriegsstrategie sei, hat im Online-Forum ein F.F. darauf geantwortet.  

Positive Signale in schwierigen Zeiten

Nein, hier darf keine Kampagne des russischen Diktators Wirkung erzielen, schon gar nicht, wenn sie erkennbar ist. Medien sollten darauf achten, dass sie eine solche Strategie nie mit befördern. Angst vor Verbrechen mit Sabotage, mittlerweile sprachlich oft hinter hybrider Kriegsführung versteckt, mag individuell trotzdem auftreten. Darum bemühen sich schon unseriöse Aktivisten im Internet. Doch Redaktionen werden sich hierzulande darüber nicht selbst ihrer Freiheit berauben, neuralgische Punkte im Lande aufzuzeigen. Würde da Selbstbeschränkung erkennbar, dann wäre große Sorge angesagt. Erkennbar bleiben hier aber journalistische Kontrolle und offene Debatten über Unsicherheiten der Energieversorgung oder auch Vorsorge durch einen Krisenstab wie in Münnerstadt (Lkr. Bad Kissingen). Das sind positive Signale in schwierigen Zeiten. 

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Frühere ergänzende Leseranwalt-Kolumnen:

2022 Okt.: "Putins Verbrechen müssen nicht in jedem Bericht über ihn erwähnt werden"

April: "Warum man bei der Veröffentlichung der Fotos von Kriegsverbrechern und von Opfern gut abwägen muss"

 
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  • JAGT_K@t-online.de
    Es gäbe viele Berichte, die es verdient hätten, weiter "oben" veröffentlicht zu werden. Ich kann es nicht nachvollziehen, wieso der Leseranwalt nach 6 Wochen immer noch unter den "Top 4" zu finden ist. Ich gehe davon aus, dass dieser Artikel inzwischen auch vom Letzten gelesen wurde und keinen mehr interressiert.
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  • Anton.Sahlender@mainpost.de
    Liebe @Jul23chen, als Leseranwalt bin ich interessiert am Diskurs. Die Möglichkeit dazu endet deshalb erst nach etwa drei Monaten. Der Artikel mag älter sein, aber das Thema ist geblieben. Und es geht mir auch immer um die Vermittlung von Medienkompetenz. Ob der Artikel auch vom letzten gelesen ist, wissen Sie so wenig wie ich. Die Wahrscheinlichkeit ist jedenfalls hoch, dass dem nicht so ist.
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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  • christian@kreatil.de
    Okay, bei den letzten drei Sätzen gebe ich Ihnen Recht, Herr Sahlender. Letztlich sind wir hier alle gefragt bzw. gefordert aufmerksamer zu sein.

    Das Suizidthema sollte nur als Beispiel dienen für verantwortungsbewussten Journalismus. Ist klar, dass es nicht mit potentiellem Terrorismus vergleichbar ist.
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  • Anton.Sahlender@mainpost.de
    Danke, christian_msp,
    für berechtigte und sachliche Anmerkungen. Gerne wieder ...
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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  • christian@kreatil.de
    Soweit alles richtig, Herr Sahlender. Die Berichterstattung verstößt nicht gegen geltendes Recht und auch nicht gegen den Pressekodex. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, die zu Recht eine wichtige und unantastbare Institution der liberalen Demokratie darstellt.

    Ich frage mich jedoch, ob der Beitrag, auf den Sie sich hier beziehen, wirklich dazu geeignet ist, die Verantwortlichen bei der Bahn zu sensibilisieren. Dort hat man zurzeit mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Von daher dürfte die Bahn mit der Beseitigung von solchen Schwachstellen überfordert sein. Und ich frage mich, welchen Informationswert der Beitrag für die Leser der Main-Post eigentlich hat. In Anbetracht der realistischen Gefahr von Sabotageakten ist m.E. abzuwägen, über was die MP berichtet und über was besser nicht. Bei Suiziden z.B. geht das ja auch – da wird mit Rücksicht auf mögliche Nachahmungstaten sehr sensibel und zurückhaltend berichtet.
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  • Anton.Sahlender@mainpost.de
    @christian_msp, Ihre Frage ist berechtigt, zielt sie doch auf eine Abwägung, die Redaktionen oft vornehmen müssen. Im Gemündener Fall urteilen Sie offenbar anders, als die zuständige Redaktion, die über den Bahnknotenpunkt berichtet hat. Ihr Vergleich mit der Zurückhaltung bei Suiziden bietet sich nur vordergründig an. Dabei geht es jedoch um schon vollendete Taten am eigenen Leben, über die man weiß, dass es bei gefährdeten Personen zur Nachahmung kommen kann. Der Knotenpunkt der Bahn ist auch ohne den vorliegenden Bericht hinreichend bekannt. Und wenn Sie die angespannte Situation der Bahn kennzeichnen, erhöht das sogar die Notwendigkeit, vorbeugend auf die schutzbedürftige Anlage hinzuweisen. Natürlich ist das nicht soweit geschehen, dass es potentielle Täter anleiten könnte. Abgesehen davon ist für die Sicherheit der Anlage nicht alleine die Bahn zuständig. Die sollte uns allen am Herzen liegen. Deshalb Berichterstattung und erhöhte Aufmerksamkeit .
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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