Leser R.S. ergreift in einer Zuschrift an mich Partei für die Homöopathie, nachdem er in der Zeitung in der Ausgabe vom 18. Oktober den Bericht vom bayerischen Ärztetag mit dem Titel "Ärzte streichen Homöopathie" gelesen hat.
Wer nur diese Überschrift liest, kann einen falschen Eindruck gewinnen. Der bayerische Ärztetag hat tatsächlich nur beschlossen, in der Weiterbildungsverordnung die Homöopathie als Zusatzbezeichnung für Mediziner zu streichen, nicht etwa die "ganze" Homöopathie. 400 Ärztinnen und Ärzte, die diese Zusatzbezeichnung schon erworben haben, können sie behalten. Ein Trost für Herrn R.S. und für alle, die wie er denken, mag es zudem sein, dass es weiterhin die Diplome des Zentralvereins homöopathischer Ärzte gibt. So war das auch in dem betreffenden Artikel der Deutschen Presseagentur (dpa) berichtet, an dem ich nichts zu kritisieren habe.
Schilderung von Beschwerden und vom Erfolg der Globuli
R.S. schreibt mir von Erkrankungen ihm bekannter Personen. HNO-Ärzte hätten sie nicht erfolgreich behandeln können. Beim Homöopathen aber, so erklärt er, hätten "die angeblich nicht wirkenden Globulis" dafür gesorgt, dass diese Leute nun keine Beschwerden mehr haben. Er fügt seinen persönlichen Schilderungen starke Kritik an der Ärzteschaft hinzu und zitiert aus einschlägigen Büchern. Ich gebe diese Zitate hier nicht wieder, weil ich sie mit meinen Kenntnissen nicht nachvollziehen kann und hier keinesfalls den Eindruck erwecken möchte, als wollte auch ich in der Sache Partei ergreifen.
Keine Veröffentlichung justiziabler Briefe
R.S. teilt mit, dass er dazu keinen Leserbrief schreiben wolle. Er könne sich nach dessen Veröffentlichung keine mögliche juristische Konfrontation leisten, etwa wenn sich ein Arzt auf den Schlips getreten fühle. Ich habe Herr R.S. in meiner Antwort beruhigt. Die Ärzteschaft dürfe er in Leserbriefen durchaus kritisieren – möglichst ohne einen oder eine Gruppe daraus persönlich zu beleidigen oder ihnen gar berufliche Qualifikationen abzusprechen. Die Gefahr eines Konfliktes wächst, würde er sich mit Vorwürfen nur einen Arzt herausgreifen. Die Redaktion würde tunlichst justiziable Briefveröffentlichungen indes wohl kaum zulassen.
Behauptete Fakten: Redaktionelle Überprüfung muss zumutbar sein
Der Präsident des Ärztetages war im Artikel zur Behandlung durch Homöopathie ("keine Wirkung über Placebo-Effekt hinaus") zitiert. Zweifellos wiegt seine ärztliche Aussage schwerer als die Ansicht von Herrn R.S., auch wenn dieser sich einiges Wissen zum Thema erworben hat. Laien wie er oder wie ich sind zugegeben oft auch die für Leserstimmen zuständigen Redakteurinnen oder Redakteure. Deshalb verzichten sie lieber auf die Verbreitung von Stimmen, die so tief gehen, dass darin behauptete Fakten nur über unzumutbar aufwändige Recherchen zu checken sind. So ehrlich sollten dann die Ablehnungen solcher Stimmen, die Grenzen des eigenen Wissens deutlich überschreiten, auch den oft überaus engagierten Absenderinnen und Absendern begründet werden.
Schutzbereich des Grundrechtes nicht ausreizen
Die Redaktion achtet jedenfalls so gut es geht darauf, dass auch Leserbriefe in der Zeitung Meinungsgrenzen nicht überschreiten, gerade um im sensiblen medizinischen Umfeld keine unvertretbaren Hoffnungen bei Menschen zu wecken (siehe dazu Pressekodex Ziffer 14). In den Hintergrund treten sollte in diesem Umfeld auch, dass in der Rechtsprechung für den Umgang mit Leserstimmen nicht die gleiche Sorgfalt erwartet wird wie bei eigenen journalistischen Beiträgen. Und die Möglichkeit polemischer oder verletzender Formulierungen, die in Meinungsauseinandersetzungen in den Schutzbereich des Grundgesetzartikels 5 fallen, sollte meiner Meinung nach von Journalisten wie Leserbriefautoren tunlichst nicht ausgereizt werden. Bei den digitalen Kommentierungen, etwa aktuell zum Urteil im Eisenheim-Prozess, wird dieser Schutzbereich häufiger in Anspruch genommen.
Mündige Leute tun das ohnehin
Zurück zum Thema: R.S. kommt wohl zu seinem eigentlichen Anliegen, als er bittet, Medien mögen sich dafür einsetzen, dass es mündigen Bürgerinnen und Bürgern überlassen bleibt, sich auch Homöopathie von eingetragenen Ärztinnen und Ärzten zukommen zu lassen. Ich meine, das ist überflüssig. Mündige Leute tun das ohnehin, genau wie er.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
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