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LESERANWALT
Der Nachrichtenfaktor Nähe
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:50 Uhr
Es gibt Nachrichtenfaktoren. Die geben Aufschluss darüber, welche aus der täglichen Masse der Nachrichten aus aller Welt mit der größten Wahrscheinlichkeit hierzulande in den Medien verbreitet werden. Sie sind nüchterne Erklärung dafür, warum Journalisten Ereignissen gleicher Tragweite oft nicht die gleiche Aufmerksamkeit schenken.Nachrichtenfaktoren sind nicht unumstritten und verändern sich im Laufe der Zeit. Siehe Netzwerk Recherche. 

 

 

Brüssel Anschlag Seiten vom 23. März 16       -  Nach der Ankündigung auf dem Titel hier zwei der insgesamt vier aktuellen Zeitungsseiten vom Terror in Brüssel. Dafür spricht der Nachrichtenfaktor Nähe, sowohl räumlich als auch politisch.
| Nach der Ankündigung auf dem Titel hier zwei der insgesamt vier aktuellen Zeitungsseiten vom Terror in Brüssel. Dafür spricht der Nachrichtenfaktor Nähe, sowohl räumlich als auch politisch.
Terror in Brüssel, aktuelle Seiten 4 und 5 vom März 2016       -  Weitere aktuelle Seiten zum Terror in Brüssel. Siehe Faktor Nähe.
| Weitere aktuelle Seiten zum Terror in Brüssel. Siehe Faktor Nähe.


Sind die Opfer weniger wert?

So hat jüngst in Leser in der Leserbriefspalte beklagt, dass nach den Anschlägen in Brüssel tagelang Sonderseiten erschienen sind. Aber über den schrecklichen Terror-Anschlag in Lahore (Pakistan) sei vergleichsweise wenig berichtet worden. Nur eine halbe Seite. Er fragt,

"sind die Opfer von Lahore, überwiegend Frauen und Kinder, weniger wert weil sie keine Europäer, sondern Pakistani und mehrheitlich Muslime waren?"

Das sei nicht zu ersten Male so.
 

Was ins Gewicht fällt

Der Leserbriefschreiber hat gut beobachtet. Weniger wert sind die Menschen, die in Lahore ermordet wurden, natürlich nicht. Hinter dem Umfang der Berichterstattung steckt keine solche unmenschliche Bewertung. Der Terror in Pakistan ist ebenso schrecklich und genau so zu verurteilen wie der in Brüssel. Ins Gewicht fällt lediglich, dass die pakistanische Stadt ungleich weiter von Deutschland entfernt ist, als das europäische Brüssel.

Terrorakt Lahore Pakistan       -  Eine halbe Seite erschien aktuell über den Terrorakt von Lahore (Pakistan), angekündigt mit einer Meldung auf dem Titel.
| Eine halbe Seite erschien aktuell über den Terrorakt von Lahore (Pakistan), angekündigt mit einer Meldung auf dem Titel.

 

Faktor Nähe

Hier sprechen Journalisten vom Nachrichtenfaktor Nähe. Der spielt für Medien mit regionaler und lokaler Verbreitungung - wie Main-Post und mainpost.de - eine besondere Rolle. Nähe ist hier mit einem Nachbarland sowohl räumlich, als auch politisch (EU) gegeben. Daraus kann man ableiten, dass in der Leserschaft das Interesse höher ist, mehr Hintergründe über den Terror in Brüssel zu erfahren. Er berührt sie wahrscheinlich emotional stärker. Moralische Wertung oder gar Gleichgültigkeit ist das nicht. Sie können das an sich selbst überprüfen.

 

Das journalistische Netzwerk

Dennoch ist der unterschiedliche Umfang der Berichterstattung schon gravierend. Deshalb ist die Leserkritik grundsätzlich nicht unberechtigt. Der Unterschied erklärt sich aber aus einem weiteren sehr entscheidenden Grund. Selbst bei größtem Bemühen wäre es seriös kaum möglich gewesen, über das Massaker in Lahore auch nur annähernd umfangreich zu berichten, wie aus Brüssel. Dazu fehlen gesellschaftliche Verknüpfungen, die nach Brüssel für Berichte aufgegriffen wurden. Aber auch das journalistische Netzwerk erreicht Pakistan nicht in der Stärke, so dass eine vergleichbare Informationstiefe damit kaum zu erreichen wäre.
 

Tägliche Entscheidungen

Gedruckte Zeitungen sind in ihrem Umfang begrenzt. Was Platz findet, wird in Redaktionen nach Nachrichtenfaktoren bewertet. Ausführlich soll erscheinen, was für die Menschen in der eigenen Region wahrscheinlich am bedeutsamsten ist. Zweifellos kann man dabei zu unterschiedlichen Auffassungen gelangen. Redakteure müssen fast täglich darüber diskutieren, welche Nachrichten sie in welchem Umfang an welchem Platz weiter geben. Das gilt fast gleichermaßen für das digitale Nachrichten-Angebot. Obwohl es online kaum Platzprobleme gibt, muss ein regionales Medium auch hier entsprechende Schwerpunkte setzen.
 

Der journalistische Anspruch

Beispiel für große Entfernung ist auch immer wieder Süd- und Mittelamerika. In den meisten Deutschen Medien erfährt man von dort nur das Notwendige, obwohl beispielsweise im Drogenkrieg in Mexiko viele Menschenleben zu beklagen sind. Nachrichtenfaktoren, das sei festgehalten, verhindern keine Berichterstattung. Es gibt den journalistischen Anspruch, für die Leserschaft bedeutsames und relevantes Geschehen auch aus entferntesten Ländern zu berichten.

Frühere Veröffentlichungen über
die Bewertung von Nachrichen. Solche, die niemand vermissen würde.

Hier: Was wirklich unwichtig ist ...
Hier: Was könnte in der eigenen Region von Bedeutung sein:
Hier: Themen für Seite 1
Hier: Vieles, was nicht in der Zeitung steht
Hier: Nebensächlichkeiten

Anton Sahlender, Leseranwalt


 
 
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