Anna Stolz empfängt zum Interview in ihrem neuen Ministerbüro im Münchner Kultusministerium. Auf dem Besprechungstisch steht eine Vase mit Papierblumen, die ihr Schülerinnen und Schüler einer Förderschule kürzlich bei einem Besuch vor Ort geschenkt haben. Jede Blume trägt eine angehängte Botschaft an die neue Ministerin: Kraft, Geduld oder Ausdauer etwa.
Im Interview spricht die Freie-Wähler-Politikerin aus Arnstein (Lkr. Main-Spessart) darüber, warum ihr persönliche Schul-Besuche so wichtig sind, warum sie die Vermittlung analoger Kompetenzen in den Schulen stärken will – und wie sie die neue wöchentliche "Verfassungsviertelstunde" im Unterricht plant.
Anna Stolz: Mir ist sehr wichtig, einen engen Austausch mit den Menschen zu haben, die tagtäglich an unseren Schulen sind. Das habe ich in den letzten fünf Jahren als Staatssekretärin schon intensiv gepflegt und möchte das nun fortsetzen. Die Lehrkräfte, die Schulleiter, die Verwaltungsangestellten sind die Profis vor Ort, die jeden Tag im Unterricht sind. Bei ihnen hole ich mir sehr viele Ideen und Inspiration.
Auch mit Eltern, Schülern, den Verbänden und Kommunen will ich eine Gesprächskultur etablieren, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist. Ich will diesen Austausch wirklich leben. Das Kultusministerium darf kein Elfenbeinturm sein. In den nächsten Wochen und Monaten werde ich deshalb ganz viel in Bayern unterwegs sein. Ich will eine “Zukunftswerkstatt Bildung” durchführen, also einen offenen Dialog über die großen Fragen der Bildung unserer Zeit direkt an den Schulen starten.
Stolz: Ich bin jetzt seit über zehn Jahren in der Politik, davon auch knapp fünf Jahre in verantwortungsvoller Position als Bürgermeisterin in Arnstein. Ich kann mit Druck umgehen und bin auch Kritik gewöhnt. Das gehört dazu und es ist wichtig, dass wir einen Spiegel vorgehalten bekommen. Gerade bei Bildung ist es unerlässlich, dass wir offen diskutieren, uns auch mal streiten. Das halte ich auch aus.
Stolz: Ich will die Kinder in Bayern stark machen. Und starke Kinder brauchen starke Lehrkräfte. Die größte Herausforderung für mich ist deshalb die Personalversorgung. Nur mit ausreichend gut qualifizierten Lehrkräften können alle anderen Ziele umgesetzt werden.
Zudem will ich die Digitalisierung weiter vorantreiben an den Schulen. Da geht es nicht nur um die Ausstattung. Wir müssen auch darüber diskutieren, wie viel digitale und wie viel analoge Bildung es braucht. Gerade wegen des digitalen Wandels und weil die Arbeits- und Lebenswelt digitaler wird, möchte ich auch die Basiskompetenzen wieder stärker in den Blick nehmen und, ganz wichtig, das seelische Wohlbefinden der Kinder. Wir erarbeiten gerade Programme für Lesen, Rechnen, Schreiben, um hier eine spezielle Förderung zu ermöglichen.
Beim seelischen Wohlbefinden sind für mich Sport und Bewegung ein großer Schlüssel. Bewegte Kinder sind nicht nur gesünder, sie sind auch glücklicher und ausgeglichener. Und ich glaube, das ist gerade in der digitalisierten Zeit sehr wichtig.
Stolz: Bayern nimmt bei der Bildung zwar immer noch einen Spitzenplatz ein, aber den wollen wir nicht nur behaupten, wir wollen uns auch verbessern, gerade in den Basiskompetenzen. Die haben wir zwar nicht aus den Augen verloren. Ich glaube aber, die Vermittlung dieser Kompetenzen wird einfach schwieriger in der digitalisierten Welt, weil die Kinder anders aufwachsen. Wir müssen sehen, dass wir da einen Ausgleich finden, und zwar auch einen analogen Ausgleich. Also nicht Digitalisierung um jeden Preis.
Stolz: Stellen sind das eine. Natürlich benötigen wir auch genügend qualifizierte Lehrkräfte, die diese Stellen besetzen. Ich werde alles dafür tun, dass uns das gelingt. Ich weiß, dass das herausfordernd ist und deswegen kann ich nicht versprechen, dass ich auch wirklich jede Stelle in den nächsten fünf Jahren besetzen kann. Ich kann nicht zaubern, aber ich versichere, dass ich sehr intensiv daran arbeiten werde, die Rahmenbedingungen für Lehrkräfte attraktiver zu gestalten.
Stolz: Aktuell sehe ich keine Möglichkeiten, sie wieder zurückzunehmen, da bin ich ganz ehrlich. Das kann sich im Laufe der Legislatur ändern, wenn weitere Maßnahmen etwa zur Entbürokratisierung und Entlastung greifen. Wenn wir andere Wege finden, bin ich dafür offen.
Stolz: Wir prüfen das gerade. Es gibt ja bereits Sprachtests, aber nicht systematisch und nicht ganz einheitlich. Mir ist eines ganz wichtig an dieser Stelle, weil es ja auch schon die Kritik gab, ob die Maßnahme bestimmte Kinder ausschließen soll. Ich sehe es genau umgekehrt: Es gibt nichts Schlimmeres für Kinder, als wenn sie in einer Klasse sitzen und nichts verstehen. Deshalb werden wir gemeinsam mit dem Sozialministerium ein Konzept ausarbeiten, das natürlich auch die Frage nach dem dafür nötigen Personal aufgreift.
Stolz: Auch diese Frage werden wir besprechen. Wir haben beispielsweise zuletzt in den Brückenklassen für ukrainische Kinder und Jugendliche sehr gute Erfahrungen gemacht und auch in den Sprachlernklassen sollen qualifizierte Lehrkräfte unterrichten.
Stolz: Ich beobachte mit großer Sorge wachsenden Antisemitismus und Extremismus in Teilen unserer Gesellschaft und deswegen ist es ganz entscheidend jetzt eine klare Haltung zu zeigen und Zeichen zu setzen. Gleichzeitig weiß ich natürlich, dass an den Schulen schon viel gemacht wird im Bereich Demokratieerziehung und Wertebildung.
Sicher ist schon jetzt: Wir werden einen Rahmen für die Verfassungsviertelstunde vorgeben, aber das Konzept dafür, das will ich gemeinsam mit der Schulfamilie erarbeiten. Es wird mit mir keinen Schnellschuss geben. Ziel ist, dass es lebendig wird, dass es alltagsnah wird. Start soll zum nächsten Schuljahr sein, das Konzept dafür will ich im Frühsommer 2024 vorlegen.
Stolz: Ich möchte erreicht haben, dass Bayern weiterhin einen Spitzenplatz in der Bildung einnimmt und sich zukunftsfest für die 2030er Jahre aufgestellt hat. Ich möchte, dass für unsere Lehrkräfte eine große Wertschätzung in der Gesellschaft da ist und dass es in Bayern glückliche, selbstbewusste Kinder und Jugendliche gibt, die ihre Talente kennen, fest in ihren Werten verwurzelt sind und sich in der digitalisierten Lebens- und Arbeitswelt sehr gut zurechtfinden.