
Seit Monaten wird in Deutschland über Vier-Tage-Woche diskutiert, jetzt hat die IG Metall nachgelegt: Sie fordert die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn. Weniger arbeiten und genauso viel verdienen wie bisher: Ist das auch in der Region ein gangbarer Weg?
Ja, sagt Thomas Höhn. Der 44-Jährige ist seit knapp zwei Jahren Chef der IG Metall in der Industriestadt Schweinfurt. Im Interview erklärt er, warum er die Forderung seiner Gewerkschaft für nicht überzogen hält und auf was es aus seiner Sicht bei der Umsetzung ankommt.
Thomas Höhn: Die Forderung nach dieser Vier-Tage-Woche haben wir momentan erst einmal für die Stahlindustrie. Dort gibt es einen großen Transformationsdruck, der die Arbeitsbedingungen massiv verändert. Vor allem in den großen Stahlwerken gibt es wegen der Energiewende andere Rahmenbedingungen. Viele Beschäftigte in der Stahlindustrie haben schon jetzt – um Beschäftigung zu sichern – geringere Arbeitszeiten als die 35-Stunden-Woche. Deswegen ist die Vier-Tage-Woche in der Stahlindustrie gerade aus dieser Perspektive ein interessantes Modell.
Höhn: Die Debatte schwappt gerade in alle Ebenen. Wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen aus den Betrieben, dieses Modell vielleicht auch in anderen Bereichen umzusetzen. In Schweinfurt haben wir in der Tat keine Stahlindustrie. Die großen Unternehmen gehören zur Metall- und Elektroindustrie. Das ist ein anderes Tarifgebiet.
Höhn: Wir haben als Gewerkschaft immer den Anspruch, dass wir mit unseren Mitgliedern ins Gespräch gehen, wie ihre Zukunft gestaltet werden sollte. Dann versuchen wir das gemeinsam durchzusetzen. Arbeitgeber neigen aus betriebswirtschaftlicher Logik natürlich dazu, mehr Arbeitszeit mit weniger Entgelt zu realisieren. Wir haben also ein Konfliktthema. Wenn die Stahlindustrie mit dem Modell ihren Weg geht, kann ich mir vorstellen, dass wir aus unserer Mitgliedschaft die Rückmeldung bekommen, das Modell zum Beispiel auch in der Metall- und Elektroindustrie zu verwirklichen.
Höhn: Ich glaube schon, dass man sich das vorstellen kann. Es gibt hier im Büro jetzt schon Kolleginnen, die in Teilzeit arbeiten und somit eine Vier-Tage-Woche verwirklichen.
Höhn: Der große Unterschied ist die andere Logik. Denn ein Teilzeit-Modell muss ich in ein Vollzeit-Modell einbauen. Das kann Schwierigkeiten bei der Kommunikation und der Arbeitsverteilung mit sich bringen. Zum Beispiel in einem Industriebetrieb mit Schichtarbeit ist die Teilzeitkraft immer der besondere Fall. Immer derjenige, der was Besonderes will, der sich durchsetzen und die Membran des Normalen durchstoßen muss. Im Gegensatz dazu wäre die Vier-Tage-Woche der Normalfall. Es wäre damit leichter, Arbeit komplett neu zu denken. Das Modell mit Arbeit von Montag bis Freitag und vielleicht noch ein bisschen am Samstag haben wir seit Beginn der Industrialisierung. Doch seither hat sich die Arbeitswelt dramatisch verändert. Die Arbeitgeber drängen massiv auf Flexibilisierung bei den Produktionsabläufen und damit bei der Arbeitszeit. Wir müssen die Vier-Tage-Woche nicht von heute auf morgen allen Branchen überstülpen.
Höhn: Unsere Mitglieder geben uns die klare Rückmeldung, dass für sie eine Reduzierung der Arbeitszeit bei geringerem Lohn nicht machbar ist. Gerade bei den jetzigen Inflationsraten. Wenn wir von einem vollen Lohnausgleich ausgehen, dann heißt das für mich nicht, dass es sofort morgen eine Vier-Tage-Woche mit gleichem Lohnniveau gibt. Das wäre ja ein zweistelliger Lohnkostensprung. Das ist nicht das Modell, das wir wollen. In der Vergangenheit hatten wir immer wieder Arbeitszeitenreduzierungen, die nicht in einem Schritt vollzogen wurden. Das Ziel sollte sein, das Modell über verschiedene Tarifrunden hinweg zu realisieren. Ein Teil der dann vielleicht geringeren Tariferhöhungen kann zur Refinanzierung der Arbeitszeitreduzierung herangenommen werden.
Höhn: Das ist unrealistisch. Die Belastung ist zu hoch. Acht Stunden pro Tag sollte die Grenze sein. Was die Arbeitsorganisation betrifft, muss man sich jeweils die Branche anschauen. Ich denke, dass eine Vier-Tage-Woche für alle Branchen und für alle Beschäftigten nur in Teilen oder sehr langfristig zu realisieren sein wird. Es gibt aber Unternehmen zum Beispiel mit Schichtarbeit und vielleicht Wochenenddiensten, da wäre die Vier-Tage-Woche ein Vorteil. Denn sie können dann eine komplette Mannschaft zusätzlich einstellen, so dass sich die Arbeit auf mehr Gruppen verteilt.
Höhn: Durchaus. Aber was ich beschrieben habe, bedeutet für das Unternehmen einen Produktivitätszuwachs. Denn die Beschäftigten sind ausgeruhter, entspannter und werden seltener krank. Das wird auch auf der Kostenseite interessant für Unternehmen. Aber natürlich müssen wir dann über Entgeltzuwächse und die Verteilung dieser Entgeltzuwächse anders reden. In der Metall- und Elektroindustrie kommt hinzu, dass vor allem durch die steigende Bedeutung der Elektromobilität und der Künstlichen Intelligenz Arbeit anders und auf mehrere Schultern verteilt werden muss.
Höhn: Wir könnten schon heute eine Vier-Tage-Woche finanzieren. Aber nicht, wenn die Milliardengewinne der Unternehmen für etwas anderes ausgegeben werden. Wir müssen da über eine andere gesellschaftliche Fragestellung nachdenken. Deshalb finde ich es spannend, dass das Thema gerade so intensiv diskutiert wird. Wir diskutieren allerdings zu wenig darüber, dass wir jetzt die große Chance haben, als Gesellschaft mehr Zeit zu haben für Freizeit, für die Verantwortung gegenüber der Familie. Dass das alles schwierig zu finanzieren ist, ist richtig. Aber wir werden über Armut und Reichtum anders nachdenken müssen.