Die Frage nach der Provenienz beziehungsweise der Herkunft eines Kunstwerks lässt sich nicht mehr ignorieren – vor allem, wenn es zwischen 1933 und 1945 erworben wurde. Immer mehr Museen stellen sich ihrer Geschichte, arbeiten ihre Bestände auf – und fragen beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg nach finanzieller Förderung an. Jüngst hat ein weiteres Museum in Würzburg eine Zusage erhalten: das Martin von Wagner Museum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).
Erstmals habe das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste damit ein Projekt für eine bayerische Universitätssammlung bewilligt. Diese werde nun daraufhin erforscht, ob sich NS-Raubkunst in ihrem Besitz befindet, heißt es in einer Pressemitteilung der Uni. Deshalb handle es sich um ein Projekt mit "Leuchtturmcharakter". Neben der Förderung durch das Magdeburger Zentrum wird auch die Philosophische Fakultät einen Anteil beitragen.
Nora Halfbrodt erforscht die Geschichte der Kunsthandlung Seligsberger
Das Forschungsprojekt ist auf zwei Jahre angelegt, bei der Museologie der JMU unter der Leitung von Professor Guido Fackler angesiedelt und bezieht Studierende des Studiengangs "Sammlungen – Provenienz – kulturelles Erbe" mit ein. Nora Halfbrodt, wissenschaftliche Mitarbeiterin, wird einem der Würzburger Verdachtsfälle nachgehen und sich mit der Biografie eines Altars aus dem 16. Jahrhundert beschäftigen. Sie hatte ihr Vorhaben bereits am Tag der Provenienzforschung im Museum am Dom kurz vorgestellt. Dieser Tag, initiiert vom Arbeitskreis Provenienzforschung, fand heuer erstmals am 10. April statt.
Den Angaben zufolge wurde das kleine Triptychon mit Reliquie 1939 von der Kunsthandlung Sonnen erworben. Der Inhaber dieser Kunsthandlung hat das Geschäft 1937 von den jüdischen Geschwistern Ernestine und Sigmund Seligsberger übernommen. Ihnen war vom NS-Regime der Handel mit Kunstgegenständen verboten verboten.
Ernestine Seligsberger starb 1939 in einem Würzburger Pflegeheim. Die Familie ihres Bruder konnte den Nazis nicht entkommen. Zwar floh Sigmund Seligsberger mit seiner Frau und einem Sohn in die Niederlande. Von dort aus wurde sie deportiert und ermordet. Ein anderer Sohn, Leo, starb in einer österreichischen Pflegeeinrichtung.
Nora Halfbrodt will ermitteln, ob das Altarbild noch aus dem Besitz der Familie Seligsberger stammte. Ebenso wird sie die Geschichte der Kunsthandlung und des Museums aufarbeiten. "Was im Martin von Wagner Museum während der Naziherrschaft passierte, ist bisher nicht näher beleuchtet worden", sagt Damian Dombrowski, Direktor der Neueren Abteilung des Universitätsmuseums. "Aber gerade einer Würzburger Sammlung muss es ein Herzensanliegen sein zu klären, ob mit einer Ankaufspolitik dieser Zeit einer Würzburger Familie möglicherweise schweres Unrecht zugefügt wurde."
Weitere Provenienz-Projekte in Unterfranken
In Würzburg laufen derzeit weitere vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekte. Am längsten im Museum im Kulturspeicher. Dort durchleuchtetdie Historikerin Beatrix Piezonkabereits seit November 2014 die Städtische Sammlung auf NS-Raubkunst. In einem weiteren vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Nachfolgeprojekt nimmt Historikerin Piezonka nun die Werke unter die Lupe, die von 1946 bis 1975 erworben wurden.
Seit Ende 2016 ermittelt die Kunsthistorikerin Sibylle Ehringhaus im Auftrag der Stadt Schweinfurt die Herkunft der Bilder im Museum Georg Schäfer beziehungsweise in der Sammlung-Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung. Für etwa 20 Bilder liegen Restitutions-, also Herausgabeforderungen vor.
Würzburg gibt als erste bayerische Kommune NS-Raubkunst zurück
Die Stadt Würzburg hat – als erste bayerische Kommune – vor wenigen Tagen ihren Stadtratsbeschluss von Oktober 2018 konkret umgesetzt, sich an die Grundsätze der „Washingtoner Prinzipien“ von 1998 beziehungsweise an die „Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände“ von 1999 zu halten. Darin heißt es unter anderem: Werke, deren rechtmäßige Eigentümer oder deren Erben ermittelt werden können, werden zur Rückgabe angeboten; oder es werden andere faire und gerechte Lösungen gefunden. Falls die Werke Institutionen entzogen wurden, die nicht mehr existieren und die keine klaren Rechtsnachfolger haben, sollen die Kulturgüter zur treuhänderischen Verwaltung an solche Institutionen übergeben werden, die im Sinne und Geist der ursprünglichen Eigentümer agieren.
Das ist nun geschehen: Das Museum für Franken, ehemals das städtische Mainfränkische Museum, hat der israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken den Großteil von 2016 im Depot gefundenen jüdischen Ritualobjekten treuhänderisch übereignet. Der Vertrag wurde am Montag, 24. Juni, bei der offiziellen Eröffnung der Ausstellung "Sieben Kisten mit jüdischem Material. Vom Raub und Wiederentdeckung 1938 bis heute" von Oberbürgermeister Christian Schuchardt und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, in seiner Funktion als Vorsitzender der israelitischen Kultusgemeinde unterzeichnet.