Die Firma hatte deutschlandweite Bedeutung: Selbst das englische Königshaus soll zu den Kunden des Würzburger Möbel- und Antiquitätengeschäft Seligsberger gehört haben. Aus wie kleinen Verhältnissen das Unternehmen entstand und was aus den Seligsbergers in der NS-Zeit wurde, davon erzählt ab Oktober eine Ausstellung, an der im Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte seit zwei Jahren gearbeitet wird.
Der Aufstieg Salomon Seligsbergers vom einfachen Trödler zum Inhaber des Antiquitätengeschäfts am Johanniterplatz erscheint als traumhafte Karriere, allerdings war sein Emporkommen für die Zeit nicht ganz untypisch. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fielen rechtliche Diskriminierungen und wirtschaftliche Einschränkungen für Juden. Aus diesem Grund durfte auch Seligsberger im Jahr 1864 von Fuchsstadt nach Würzburg ziehen, wo er mit gebrauchten Waren und Altkleidern zu handeln begann. Binnen weniger Jahre mündete seine Tätigkeit in die Gründung eines eigenen Geschäfts.
Zur Idee, eine Ausstellung über die Seligsbergers zu konzipieren, kam es durch einen Zufall: 2011 wurde dem Johanna-Stahl-Zentrum ein 1925 angefertigtes Gemälde von Salomon Seligsbergers Tochter Ernestine angeboten. Sie war Ende 1864 zur Welt gekommen. Schon mit jungen Jahren trat sie in die Fußstapfen ihres Vaters, der sich 1888 das Leben genommen hatte. Mit ihrer Mutter Bertha begann Ernestine nach der Tragödie, das Möbel- und Antiquitätengeschäft zu leiten.
„Das Gemälde gehörte einer Großnichte Ernestines“, berichtet Rotraud Ries, Leiterin des Johanna-Stahl-Zentrums. Die Großnichte war entsetzt, als sie – nachdem sie das Bild zum Restaurieren gegeben hatte – hörte, wer denn der Urheber des Porträts in ihrem Wohnzimmer war: Willy Exner. Sein Name sagt heute nur noch Kennern der NS-Zeit etwas. Doch zu seinen Lebzeiten war der Maler äußert bekannt.
Exner, der ab 1937 in Wertheim lebte, gelangte durch ein im Olympiajahr 1936 fabriziertes Hitlerporträt, von dem der Münchner Verleger Heinrich Hofmann Tausende von Reproduktionen und Postkarten verkaufte, zu Ruhm und enorm viel Geld. Im Spruchkammerverfahren nach Kriegsende versuchte er sich noch als neutralen Beobachter des Zeitgeschehens darzustellen. „Ich habe nie daran gedacht, mit meinen Bildern Propaganda für Hitler oder die Partei, der ich gar nicht angehörte, zu machen“, äußerte er. „Mir kam es nur darauf an, meine Arbeit als Kunstwerk bekannt zu machen!“
Rechtfertigungen, die vor der Spruchkammer nicht fruchteten. Exner wurde als Nutznießer und Aktivist des nationalsozialistischen Regimes eingestuft. Zwei Drittel seins Vermögens wurden zur Strafe eingezogen.
Die Großnichte Ernestine Seligsbergers wollte sich unverzüglich von Exners Porträt trennen. So gelangte es vor zwei Jahren in die Würzburger Dokumentationsstelle, wo Recherchen zu den Seligsbergers begannen. Viel Überraschendes förderten Rotraud Ries und Volontärin Nina Gaiser seither zutage.
So erwies sich das Mainfränkische Museum als Fundgrube: Hier finden sich einstige Einrichtungsgegenstände und Wohnaccessoires aus dem Möbel- und Antiquitätengeschäft – unter anderem Figuren aus der berühmten Steingutfabrik in Damm bei Aschaffenburg.
Auch erfuhr Ries, dass sich Judaika, also jüdisches Kunsthandwerk sowie rituelle Objekte, aus der privaten Sammlung von Ernestines Bruder Sigmund im Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam befindet. Zum Beispiel Sederteller, auf dem die symbolischen Speisen des jüdischen Pessach-Festes abgebildet sind, oder Chanukka-Leuchter. Im April traf sich die Judaistin mit 35 Mitgliedern der Familie in Amsterdam, um die Schätze zu begutachten. Zehn Judaika aus der Sammlung sollen nun als Leihgaben nach Würzburg wandern.
Persönliches hat sich von der Familie ansonsten kaum erhalten. Es gibt fast keine Fotos, kaum private Briefe, nur einige Postkarten. Auch bleibt im Dunkeln, aus welcher konkreten Situation heraus sich Salomon Seligsberger das Leben nahm. Bekannt ist nur, wie er zu Tode kam: Er schnitt sich, „in einem Anfall von Wahnsinn“, wie es im Begräbnisregister heißt, im Juni 1888 in seinem Haus die Kehle durch.
Wie es Witwe und Tochter gelang, die Firma alleine zu derart beeindruckender Größe auszubauen, ist wiederum kaum zu rekonstruieren.
Das Bild von Ernestine Seligsberger, das sich heute im Magazin des Johanna-Stahl-Zentrums befindet, zeigt eine ernst blickende Persönlichkeit. Man nimmt der lebenslang unverheiratet gebliebenen Frau sofort ab, dass sie sehr gut fähig war, sich in der Geschäftswelt durchzusetzen. Zunächst an der Seite ihrer Mutter Bertha, ab 1905 dann mit ihren Brüdern Simon und Sigmund, unter deren Ägide das Möbelhaus 1912 den Titel eines „Königlich-bayerischen Hoflieferanten“ erwarb. Der Historiker Willy Cohn, Abkömmling einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie aus Breslau, der das Geschäft 1935 besuchte, schrieb fasziniert: „Ganz begeistert gestern von dem ungeheuren Antiquitätengeschäft, es ist eine Welt für sich, ganz voll von Kostbarkeiten und altem Kulturgut.“
Das Ausstellungsprojekt über die Seligsberger zog immer weitere Kreise und entpuppte sich als überaus aufwändig. Es finanziell zu stemmen, war ein Kraftakt, erzählt Rotraud Ries. Fast wäre das Projekt daran gescheitert. Doch inzwischen beteiligen sich mehrere Organisationen an der Verwirklichung: die Sparkassenstiftung, die Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte, der Würzburger Verschönerungsverein, der Frankenbund. Und auch das Mainfränkische Museum, das parallel zur Schau in den Räumen des Johanna-Stahl-Zentrums auf der Festung Kunstwerke präsentieren wird, die aus dem Möbelhaus Seligsberger stammen.
Das Ende der Seligsbergers war tragisch: Sigmund wurde Anfang 1937 aus der „Reichskammer für bildende Künste“ ausgeschlossen und unterlag dem Verbot der „Verbreitung von Kulturgut“. Das Möbelhaus wurde „arisiert“. Im Mai 1938 zogen Sigmund Seligsberger und seine aus Zell am Main stammende Frau Sara nach Berlin, ein Jahr später emigrierten sie nach Holland. Ab dem Lager Westerbork wurden sie nach Sobibor deportiert, wo beide 1943 starben.
Bruder Leo starb am 18. Oktober 1941 mit 20 Jahren in der Pflegeanstalt Schönbrunn bei Dachau an massiver Vernachlässigung. Er war geistig behindert und hatte besonderer Pflege bedurft. Deshalb gaben ihn seine Eltern mit sechs Jahren in die 1865 gegründete, weltbekannte heilpädagogische Anstalt nach Wien zu Theodor Heller, Pionier der Heilpädagogik. 1938 wurde Heller von den Nazis als Anstaltsleiter abgesetzt, kurz danach nahm er sich das Leben. 1940 brachte man Leo Seligsberger in die Pflegeanstalt.
Sigmunds Sohn Ernst, der im Juli 1940 in Den Haag sein Examen zum Sportlehrer gemacht hatte und danach im St. Elisabeth Krankenhaus in Haarlem arbeitete, wurde im Juli 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ernestine Seligsberger starb im Alter von 74 Jahren 1939 eines natürlichen Todes. Auf dem jüdischen Friedhof in Heidingsfeld wurde sie begraben. Ihr Bruder Simon war – kinderlos – bereits 1931 gestorben.
Kulturtag: Am Sonntag, 6. September, ist Europäischer Tag der jüdischen Kultur. In vielen Ländern öffnen Synagogen, Friedhöfe, Gedenkstätten und Museen ihre Pforten. Das Johanna-Stahl-Zentrum bietet aus diesem Anlass eine besondere Führung an (Valentin-Becker-Straße 11): Dem Thema des Tages „Brücken“ folgend, bekommt der Besucher am Sonntag anhand von Einzelstücken und Geschichten einen Blick in die Ausstellungswerkstatt „Seligsberger – Eine jüdische Familie und ihr Möbel- und Antiquitätenhaus“ geboten. Um 14 Uhr erläutert Dr. Rotraud Ries einzelne Exponate und erzählt unter dem Titel „Brücken in die Vergangenheit – Brücken in die Gegenwart“ vom Verwandtschaftsnetz der Seligsberger-Nachkommen. Der Eintritt ist frei. Die Ausstellung wird dann am 22. Oktober um 18.30 Uhr eröffnet und bis zum 18. März 2016 gezeigt werden.
Tag der jüdischen Kultur: Der Europäische Tag der jüdischen Kultur findet heuer am 6. September statt, um über Geschichte und Kultur des europäischen Judentums zu informieren. Auch das „Museum Shalom Europa“ ist am 6. September von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Das Museum informiert über die Grundlagen das Judentums, jüdisches Leben und jüdische Feste sowie die Geschichte der Juden in Würzburg. Der Eintritt kostet 3 Euro (ermäßigt 2 Euro).