So glatt läuft es nicht immer: Ein Sammler – in diesem Fall der Fürst von Liechtenstein – verkauft Teile seiner Kunstsammlung. Ein anderer Sammler – in diesem Fall der Schweinfurter Industrielle Georg Schäfer – kauft die Bilder. Da der Verkäufer diese Bilder Nachkommen des Künstlers abgekauft hatte, gibt es keine offenen Fragen über ihre Herkunft. Eigentümerkette vollständig, Provenienz geklärt. „Großartig – das war schnell erledigt“, sagt Sibylle Ehringhaus. Die promovierte Kunsthistorikern ermittelt seit Dezember 2016 im Auftrag der Stadt Schweinfurt die Herkunft der Bilder im Museum Georg Schäfer.
Die Frage: Gibt es im Bestand Arbeiten, die der Raubkunst zuzuordnen sind, die also im NS-Staat ihren früheren jüdischen Eigentümern geraubt, abgepresst oder unter Zwang weit unter Wert abgekauft wurden? Es geht um rund 1000 Gemälde und 4000 Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen, Eigentum der Sammlung-Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung und Bestand des 2000 eröffneten Museums Georg Schäfer. Bauherr und Eigentümer des Hauses ist der Freistaat, Betreiber die Stadt.
Ausstellungs- und Auktionskataloge sind mit die wichtigsten Quellen
Der eingangs skizzierte Fall ist für Schweinfurt nicht ganz unwichtig, denn die Sammlung des Fürstenhauses Liechtenstein enthielt etliche Spitzwegs – heute Hauptattraktion des Museums Georg Schäfer (MGS). Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der Fürst die Kunstwerke vor der heranrückenden Sowjetarmee aus dem Wiener Palais Liechtenstein abgezogen und in Vaduz im Fürstentum in Sicherheit gebracht, bereits 1950 wurden sie in Luzern ausgestellt. Den Katalog zu dieser Ausstellung mit dem Titel „Wiener Biedermeier und Carl Spitzweg“ entdeckte Sibylle Ehringhaus in der Bibliothek des MGS. Darin sind zahlreiche Werke, vor allem eben Spitzwegs, aufgeführt, die heute im Besitz des Museums sind. Ehringhaus geht davon aus, dass Georg Schäfer (1896-1975) die Bilder aus der Ausstellung heraus gekauft hat.
Ausstellungs- und Auktionskataloge sind mit die wichtigsten Quellen, auch dank handschriftlicher Notizen – wo vorhanden – über Leihgeber, Einlieferer, Käufer oder erzielte Preise. Viele solcher Kataloge und einiges an Fachliteratur, oft aus dem Bestand von Georg Schäfers Kunstberatern, finden sich in der Bibliothek des MGS – „eine Fundgrube“, sagt die Provenienzforscherin.
Das Forschungsgebiet ist komplex und gleichzeitig speziell
Weitere Quellen sind die Archive in der ehemaligen „Hauptstadt des Reichs“, Berlin also, wo Sibylle Ehringhaus lebt. Und der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Das Forschungsgebiet ist so komplex und gleichzeitig speziell, dass die Experten ihr Wissen teilen. Auch mit Monika Tatzkow stehe sie in Kontakt, sagt Ehringhaus. Tatzkow hatte bereits 2007 publiziert, dass sich in Schweinfurt Gemälde aus der Sammlung des in Auschwitz ermordeten Kunstsammlers Max Silberberg befinden und später eine Liste mit 21 belasteten Bildern aufgestellt. „Wir tauschen uns aus, aber jenseits irgendwelcher Listen“, sagt Ehringhaus.
Nach 22 Monaten in Schweinfurt (der Vertrag ist zunächst auf zwei Jahre angelegt, Verlängerung wahrscheinlich) hat Sibylle Ehringhaus einen ersten Schritt abgeschlossen: Die Prüfung aller etwa 20 Bilder, für die Restitutions-, also Herausgabeforderungen vorliegen. Das Ergebnis liege der Stiftung vor, sie selbst sage dazu nichts.
In der Dauerausstellung sollen keine umstrittenen Bilder gezeigt werden
Fernziel sei die Klärung der Herkunft aller Arbeiten, sagen Museumsleiter Wolf Eiermann und Fritz Ritzmann, Enkel des Sammlers Georg Schäfer und Vorstand der Stiftung. Einstweilen aber werde nach Prioritäten vorgegangen. Dabei stehen oben auf der Liste die Gemälde, die als Leihgabe das Land verlassen – es wäre höchst misslich, wenn sich das Museum einer Herausgabeforderung aus dem Ausland gegenüber sähe.
Auch sollen in der Ständigen Sammlung keine Bilder gezeigt werden, deren Herkunft strittig sein könnte oder bei denen noch Forderungen – ob berechtigt oder nicht – anhängig sind. Max Liebermanns (1847-1935) Porträt seiner Frau Martha im Lehnstuhl ist ein solches Bild. Es ist in der „Lost Art“-Internetdatenbank der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste aufgeführt, die Angaben zu Kulturgütern enthält, „die infolge des Nationalsozialismus bzw. des Zweiten Weltkrieges verbracht, verlagert oder insbesondere jüdischen Eigentümern verfolgungsbedingt entzogen wurden oder für die auf Grund von Provenienzlücken eine solche Verlustgeschichte nicht ausgeschlossen werden kann“.
Liebermann: „Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.“
Die Gestapo hatte das Bild 1943 nach Marthas Freitod mit dem Rest der Liebermann'schen Sammlung beschlagnahmt. Bislang gibt es keine Einigung mit den Liebermann-Erben. „Solange schwebende Verfahren bei der Stiftung liegen, stellen wir Bilder nicht aus“, sagt Eiermann, „schon weil wir nicht provozieren wollen.“
„Bei Liebermann leuchten bei mir alle Lämpchen auf“, sagt Sibylle Ehringhaus. Liebermann, hochgeehrter Akademiepräsident, war schon vor 1933 als Jude von den Nazis schikaniert worden. Nach dem Machtwechsel legte er alle Ämter nieder und zog sich bis zu seinem Tod 1935 vollkommen zurück. Sein Kommentar zur Machtübergabe an die Nationalsozialisten ist berühmt geworden: „Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.“ Seine Witwe Martha nahm sich 1943 das Leben, als die Deportation ins KZ Theresienstadt bevorstand.
Liebermanns Selbstporträt gelangte auf verschlungenen Wegen nach Schweinfurt
„Liebermann ist immer hochschwierig“, sagt Sibylle Ehringhaus. Eines der Starstücke der Sammlung, das Selbstporträt mit Hut, ist allerdings unbelastet. Auf die Spur seiner Herkunft hat Ehringhaus ihr polnischer Kollege Darek Kacprzak gebracht – mit dem Hinweis auf ein Inventarbuch des Städtischen Museums Stettin (heute Szczecin). Dessen fortschrittlicher Leiter Walter Riezler (1878-1965) hatte das Bild dort bis 1933 ausgestellt. Weiterer Beleg: Der Sammler und Publizist Walter Flechtheim erwähnte es in den 1920er Jahren in der Zeitschrift „Der Querschnitt“.
Als der Druck der Nazis wuchs, ging Riezler auf ein Tauschangebot des Kunsthändlers Carl Nicolai ein: den Liebermann gegen zwei Landschaftsbilder des 19. Jahrhunderts. Nicolai zog 1939 nach Bayern und mit ihm das Bild. Dort freundete er sich mit Georg Schäfer an, der ihm in den 1960er Jahren den Liebermann abkaufte. Bekannt ist außerdem, dass später einige Gemälde aus dem Nachlass Nicolais nach Schweinfurt kamen – welche, auch das gilt es zu erforschen.
Die Frage etwaiger Rückgaben stellt sich der Stiftung im Moment nicht
„Es ist zu erwarten, dass das ganze Spektrum der Verfolgung im Bestand sichtbar wird“, sagt Sibylle Ehringhaus. Das Museum steht immer wieder im Fokus, wenn die Frage diskutiert wird, wie heute mit Raubkunst umzugehen sei. Julia Voss schrieb im September 2015 in der „FAZ“: „Zahlreiche Werke stammen aus den Beständen des Auktionators Adolf Weinmüller, eines der größten NS-Versteigerer, dessen Karriere erst nach 1933 in Fahrt kam und auch in der Nachkriegszeit nicht ins Stocken geriet.“
Die Frage etwaiger Rückgaben stellt sich der Stiftung im Moment nicht – die Washingtoner Erklärung von 1998, zu der sich etwa die Stadt Würzburg bekennt, gilt nicht für Privatsammlungen wie die Schweinfurter. In der Erklärung haben sich 44 Staaten und etliche Organisationen verpflichtet, Werke der Raubkunst zu identifizieren, Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und „gerechte und faire“ Lösungen zu finden.
Moralischer Druck gegen gesetzliche Gegebenheiten
Julia Voss hingegen sieht in ihrem Artikel das Schweinfurter Konstrukt von Museum und Sammlung nicht als Privatinstitution: „Großzügig hat sich der bayerische Staat verhalten, als er den Bau des Museums finanzierte. Großzügig ist auch die Stadt Schweinfurt, aus deren Mitteln die laufenden Kosten des Hauses bestritten werden. Diese dauerhafte Unterstützung aus Steuergeldern kann nur einer Sammlung zukommen, die sich als öffentliche versteht.“
Die Sicht der Stiftung hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verändert: „Als Stiftungsvorstand dürfte ich Bilder gar nicht herausgeben. Ich würde mich strafbar machen“, sagt Fritz Ritzmann, Nachfolger seines Onkels Fritz Schäfer. Der moralische Druck sei zwischenzeitlich zwar hoch gewesen, inzwischen gebe es aber auch die Einsicht, dass man sich nicht einfach über rechtliche Gegebenheiten hinwegsetzen könne. Der Staat könne im Übrigen auch enteignen. „In dem Moment, in dem wir ein Rechtsgutachten haben – sofort.“