Ein internationales Klassikfestival zu managen, gehört schon unter Normalbedingungen zu den eher anspruchsvollen Aufgaben. Während einer Pandemie wird es vollends zur Herausforderung. Dennoch ist es dem Mozartfest gelungen, einiges an Internationalität in die Jubiläums-Ausgabe 2021 zu retten. Etwa mit PCR-Tests für Orchester aus dem Ausland. Mit Ersatz für Ensembles, Dirigenten und Solisten, die dann doch nicht anreisen konnten. Mit neuen Programmen und Konstellationen und ständig neu berechneten Abständen auf der Bühne – je nach behördlichen Vorgaben und Teststatus oder Instrument der Musizierenden. So müssen etwa zu einer Querflöte mindestens drei Meter Platz bleiben.
Wenn Mozart beinahe zum Pflichtstück wird:
Das Mahler Chamber Orchestra und Alexander Melnikov
Aber wie sich zeigt, kann dabei schonmal eine Notlösung zur eigentlichen Entdeckung werden. So sollte das Mahler Chamber Orchestra – das als besonderes Pandemie-Schmankerl Mitglieder aus 15 Ländern vereint – am Sonntag ursprünglich drei Mozart-Klavierkonzerte mit Leif Ove Andsnes spielen. Doch Andsnes sitzt in Norwegen fest beziehungsweise müsste bei seiner Rückkehr dorthin erstmal in Quarantäne. Also sprang – auf Wunsch des Orchesters – Alexander Melnikov als Dirigent und Solist ein.
Melnikov spielte und dirigierte zwar auch ein Klavierkonzert (Nr. 12 A-Dur KV 414, das Andsnes nicht auf dem Zettel hatte), vor allem aber Musik des 20. Jahrhunderts: "Quiet City" für Englischhorn, Trompete und Streicher von Aaron Copland (1900-1990) und Dmitri Schostakowitschs (1905-1975) erstes Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester, komponiert noch unbehelligt von stalinistischer Gleichmacherei. Das Spannende daran und vielleicht Motiv für diese erste Festivalwoche: Mozart direkt konfrontiert mit Moderne kann zu überraschenden Erkenntnissen führen.
Nun sind beide Komponisten des 20. Jahrhunderts sicher keine Avantgardisten, aber das bannend nachdenkliche Copland-Stück, das außerhalb jeglicher Zeitwahrnehmung zu spielen scheint, und das turbulente, überdrehte, entfesselte Schostakowitsch-Konzert wirkten wie Weckrufe für allzu komfortgewohnte Ohren. Naturgemäß funktionieren Weckrufe nicht rückwirkend, so dass das eingangs vom Orchester arg zaghaft angegangene Mozart-Konzert fast wie das Pflichtstück des Abends wirkte. Sei's drum: Mozart wird auf diesem Festival noch viel zu hören sein, diese beiden so ganz anderen Werke waren jedenfalls eine echte Bereicherung.
Wer ist denn nun der Avantgardist?
Sebastian Knauer konfrontiert Mozart mit Nyman
Der Hamburger Pianist Sebastian Knauer, der in diesem Jahr 50 wird, hat den Lockdown für ein neues Projekt genutzt: Er bat den Komponisten Michael Nyman, Jahrgang 1944, ihm sechs Stücke zu komponieren, die sich direkt auf Sätze aus Mozart-Klaviersonaten beziehen sollten. Eines für jedes Lebensjahrzehnt Knauers und eines für das kommende, sechste.
Herausgekommen ist ein nahezu idealtypisches Mozartfest-Würzburg-Programm: Eines, das dazu angetan ist, neues über den Namensgeber des Festivals zu erfahren. Das ist inzwischen nicht ganz so leicht, schließlich hat die Mozart-Interpretation dank Forschung und historischer Aufführungspraxis in den letzten Jahrzehnten viele Winkel ausgeleuchtet. Doch diese direkte Konfrontation, die Verzahnung, ja Verschmelzung von Mozart und Nyman ist der reinste Sprengstoff.
Die Explosion fand am Dienstag im Kaisersaal statt. Was an Erkenntnissen bleibt: Die hallige Akustik rückt die motorischen Passagen bei Nyman, der hierzulande vor allem für seine Filmmusiken für Peter Greenaway ("Der Kontrakt des Zeichners") bekannt ist, mit Wucht in die Nähe Wagners. Anders gesagt: enthüllt wiederum, was Wagner bei Mozart gelernt haben könnte. Und, wichtiger noch: Im Wechsel zwischen Mozart und Nyman wird frappierend klar, wer der eigentliche Avantgardist ist – Mozart.
Vor dem Hintergrund der stark auf Klang und Rhythmus reduzierten Nyman-Stücke wirken all seine Frechheiten, all die geistreichen oder abgründigen Brüche, die kompromisslos entschleunigten Zärtlichkeiten, ja selbst die vermeintlich banalen Wechsel zwischen Dur und Moll so frisch und aufregend, als hätte man so etwas noch nie gehört.
Raum für Mozart und mehr: Der Laden M PopUp
in der Würzburger Innenstadt lädt zur Begegnung ein
Die ehemalige Geschäftsstelle der Main-Post in der Würzburger Plattnerstraße ist noch bis 27. Juni M PopUp: ein Ort für Begegnung, Entdeckung und Austausch. M PopUp, geöffnet Montag und Donnerstag, 11 bis 20 Uhr, Dienstag, Mittwoch, Freitag und Samstag, 11 bis 17 Uhr, und während der Abendveranstaltungen, will Einblicke in die Festivalarbeit des Teams oder die Probenarbeit von Ensembles geben. Es gibt eine regelmäßige Mozart-Sprechstunde mit dem Musikhistoriker Prof. Ulrich Konrad, die nächste Ausgabe findet am Freitag, 4. Juni, 15 Uhr, statt.
Gestaltet haben den Raum Mitglieder eines Kurses von Gertrud Nolte, Professorin an der Fakultät Gestaltung der Hochschule für angewandte Wissenschaften: Wo vormals Main-Post-Blau dominierte, ist nun alles weiß gestrichen. Außerdem hat ein Schriftkurs von Nolte gezielt für das Mozartfest-Jubiläum Schriften entworfen – inspiriert von Mozart, seiner Musik, seinem Leben, seiner Zeit. Die Resultate, von verspielt über wuchtig, zackig bis hin zu rätselhaft, sind als Dauerausstellung zu sehen. Ebenso wie Siegerarbeiten des Ideen-Wettbewerbs "100 für 100", wie etwa die Spielzeugfiguren, mit denen eine 5. Klasse des Matthias-Grünewald-Gymnasiums Ereignisse aus Mozarts Leben im Stopp-Motion-Verfahren verfilmt hat.
HipHop in der Zellerau, Klassik im Frauenland?
Wie eine musikalische Landkarte Würzburgs entsteht
Hört die Zellerau, Wohnort vieler Studierender, wirklich vornehmlich HipHop? Und läuft in Würzburgs Villenvierteln tatsächlich nur Klassik? Die beiden Studenten Mario von Bassen und Constantin Keller wollen das herausfinden. Da sie ihren Studien des E-Commerce beziehungsweise des Wirtschaftsingenieurswesens derzeit nur online nachgehen können, haben sie sich ein zusätzliches Projekt gesucht, das bei "100 für 100" den dritten Preis gewonnen hat: Wü-Rhyme.
Die beiden sammeln per Online-Umfrage, etwa über die Homepage www.mozart.constai.de, Daten von musikhörenden Menschen: Alter, Geschlecht, Lieblingsgenres, Wohnort, Beruf. Über derlei Informationen verfügen Streamingdienste wie Spotify und Apple natürlich auch, um Playlists und Empfehlungen zu erstellen, nur sind sich deren Nutzer selten bewusst, wie gläsern sie für die Anbieter sind. Bei Wü-Rhyme jedenfalls machen die Datenspender wissentlich und freiwillig mit. Und: Das Ergebnis wird fortlaufend ausgewertet und zu einer musikalischen Landkarte Würzburgs, und später vielleicht auch anderer Städte und Regionen, ausgewertet.
Was sich bei bislang gut 500 Teilnehmenden abzeichnet (die Autoren betonen die Vorläufigkeit dieser Beobachtung): Menschen über 60 nennen meist klassische Musik als Lieblingsgenre. Metal kommt bei jungen Leute (14 bis 30 Jahre) immer mehr aus der Mode, und HipHop scheint der neue Pop zu sein.
Musikalisch-Literarische Wanderung: Was tun, wenn es keine
namhaften Schriftsteller gibt, die über das Mozartfest geschrieben haben?
Es war nicht leicht, das dichterische Material zu einer musikalisch-literarischen Wanderung unter dem Motto "100 Jahre Mozartfest" zusammenzubekommen, sagt Antiquar und Würzburg-Kenner Daniel Osthoff, der nach der Erstausgabe 2019 auch diesmal das Konzept erarbeitet hat. "Es gibt nicht einen halbwegs namhaften Schriftsteller mit einer ernsthaften Beziehung zum Mozartfest."
Namhafte Dichterinnen und Dichter mit einer Beziehung zu Mozart, zu Würzburg oder zu beiden gibt es allerdings durchaus. Hermann Hesse lässt etwa die Hälfte von "Narziss und Goldmund" hier spielen, Robert Walser lobt die "sehenswürdige Stadt" mit ihren Türmen und "spitzigen Giebeln", findet die Einwohner "heiter und zugleich fleißig, gesellig und zugleich höflich" und lauscht glücklicherweise sogar in einem Konzertgarten "mozartischen Tönen". Und Max Dauthendey ist zu derlei Anlässen ohnehin gesetzt.
Seine Halbschwester Elisabeth (1854-1943) allerdings ist der eigentliche Star dieser Wanderung von der Frankenwarte hinunter zum Käppele und zurück: Kämpferische Feministin ("Wir brauchen euch [Männer] tiefer – wärmer, uns verwandter"), überschwängliche Mozart-Verehrerin ("Jauchzender Dankeschor steigt hell zu dir empor, Göttlicher Spender") und fantasievolle Märchenerfinderin. Es gibt zwei weitere Wanderungen (5. und 12. Juni) mit Hiltrud Kuhlmann (Gesang), Stefan Müller-Ruppert (Rezitation), Marko Ševarlic (Akkordeon), Kerstin Lauterbach (Märchenerzählerin), Thomas Glasmeyer (Puppenspieler), Rainer Appel (Mozart) – auch diese sind allerdings längst ausgebucht.
Instrumente aus Schrott und Rückblick auf dunkle Zeiten:
Was bringt die zweite Woche Mozartfest?
Der Klangkünstler Tobias Schirmer verwandelt Schrott zu Instrumenten. Vom 7. bis 10. Juni tüftelt der Künstler im M PopUp öffentlich in seiner mitgebrachten Upcycling-Werkstatt an abgegebenen Objekten und haucht ihnen neues Leben ein. Schirmer möchte damit ein Zeichen im Sinne nachhaltigen Denkens und Handelns setzen, so die Ankündigung. Hinweis: Schrottabgabe ist zu den Öffnungszeiten möglich.
Restkarten gibt es noch für die erste Ausgabe der "Allzeit..."-Vortragsreihe am Dienstag, 8. Juni, 19 Uhr im Kapitelsaal des Hotel Rebstock. Titel: "Aufbruch und Zusammenbruch". Prof. Ulrich Konrad wird das erste knappe Vierteljahrhundert des Mozartfests von seiner Gründung bis ins Jahr 1944 beleuchten – von der Aufbruchstimmung der Goldenen Zwanziger über die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten bis zum Zusammenbruch im vorletzten Jahr des Krieges. Die Veranstaltung läuft übrigens auch als Live-Stream auf dem Youtube-Kanal des Mozartfests.
Alle Infos zum Mozartfest 2021 gibt es tagesaktuell auf der Homepage des Festivals: www.mozartfest.de