Manchmal ist es das Tüpfelchen auf dem i. Manchmal ist es die Wahl der Schrift, die Positionierung. Und, immer eigentlich: dass die Typografie eben nicht nur „Beschriftung“ ist. Dass es da verschiedene Ebenen gibt, Verwobenes, Mehrschichtiges. Gerne auch Mehrdeutiges. Ja, sie würde gerne i-Punkte verschieben, sagt Gertrud Nolte mit einem Ansatz von Augenzwinkern. Und: „Mitunter sehen es die Leute, dass es von mir ist.“
Wie erkennen, wer einen Umschlag entwarf, wer Text und Bilder im Buchinnern anordnete? Wie sehen, wer ein Plakat gestaltete? Wie wissen, wer für Schriftzüge verantwortlich zeichnete? Wer Freiflächen füllte oder ließ? Wie eine „Nolte“ erkennen? Wenn über dem Ä die Punkte nicht nebeneinander stehen, sondern übereinander. Wenn sich in die Pickelstraße, der Adresse ihres Büros, noch ein ' zwischen k und e drängt. Wenn irgendetwas verrückt ist, gegen die Leserichtung, um Hundertachtziggrad gedreht, auf den Kopf gestellt. Eben nicht aus Dollerei und weil‘s halt möglich ist. Sondern – emotionaler, berührend – der Aussage wegen. Nein, vielmehr: wegen der Botschaft.
Denn wenn es um Gertrud Nolte geht, Professorin an der Fakultät Gestaltung der Hochschule Würzburg mit Schwerpunkt Konzeption, Entwurf, Typografie, dann . . . dann kann, nein, muss es darum gehen. Botschaften. Natürlich hat Nolte die Ausstellung, die sie mit ihren und für ihre Studenten gerade bei VKU Würzburg im Spitäle stemmte, so betitelt. „botschaften“, kleingeschrieben. „Ob groß ob klein, ob Substantiv oder Verb, jegliche Mehrdeutigkeit ist mit voller Absicht gemeint“, sagt die Professorin. Natürlich, weil Gertrud Nolte „botschaftet“, seit mindestens einem Vierteljahrhundert.
Nach ein paar biografischen Ausweichversuchen, Umwegen und Zufällen – „Ich wollte nie Grafikdesign machen! Ich dachte, das ist Werbung, fand ich immer furchtbar. Anzeigen? Doof!“ – hatte die gebürtige Bochumerin, Jahrgang 1968, in Wuppertal Kommunikationsdesign studiert. Ihr Diplom machte sie bei zwei großen Professoren, dem preisüberhäuften Plakatkünstler Uwe Loesch und Ästhetiker und Kulturvermittler Bazon Brock. Als sie sich 1995 in Düsseldorf selbstständig machte, nannte sie ihr Büro „botschaft gertrud nolte“. Eine ständige Vertretung für visuelle Kommunikation und Gestaltung, offen rund um die Uhr. „Das war immer schon so, alle konnten kommen, immer.“ Das ist heute noch so, man frage die Studenten.
Gertrud Nolte gestaltet. Und botschaftet. Weil ihr das Durchdenken wichtig ist, das Durchdringen eines Themas, die Prozesse hinter dem, was später anschaubar ist.
Ob sie schon immer gebotschaftet hat? Das „Nein“ kommt prompt und mit strammem Ausrufezeichen. Als Kind im strengen Elternhaus extrem artig und brav gewesen, sei sie noch lange zurückhaltend und still(gehalten) geblieben. Zwar habe sie alles hinterfragt. „Aber nicht gelernt, mit meiner Meinung nach draußen zu gehen.“ Dann forderte Brock an der Wuppertaler Uni genau das: kritisches Denken! Und Widerworte! Und von ihren Studenten fordert Nolte, 2003 nach Würzburg berufen, ebendies auch. Wenn eine Arbeit einfach gut aussieht, auf Effekt setzt, das ist ihr zu wenig. „Nur schön gibt es nicht. Ich brauche Argumente!“
Sie will die Jungen „denken lehren, nicht Gedachtes“. Sie verlangt „Überzeugung“, und – um zu überzeugen – Haltung und Stil. Und, dritte Botschaft: „Alles ist möglich! Alles. Außer gewöhnlich.“
Der Dozentin Nolte, die Kritik und Reibung wünscht und Argumente will und Beliebigkeit hasst, geht es um den Prozess des Wachsens, Werdens, dann Wirkens ihrer Studierendenschar. Deshalb die Ausstellung im Spitäle. Von Nolte selbst sind Plakate und Buchgestaltungen zu sehen, Editionen, Auftragsarbeiten und freie Arbeiten, vielfach ausgezeichnet – und ja, mit Botschaften selbstredend. (Alles als Karten und Plakate käuflich übrigens . . .)
2012 zog die Professorin aus dem geliebten Düsseldorf – „mit richtigem Fluss und Strom!“ – ganz und komplett nach Würzburg, dem Ort ihrer Hochschultätigkeit. Seitdem sind auch ihr Archiv und ihre „botschaft für kulturelle, soziale, philosophische, politische und geschichtliche Aufklärung“, hier, in der Pick'lstraße 2.
Gestalten! Aber bloß nicht dürftig bleiben. Alles der sendungsbewussten Botschafterin hat und braucht Konzept. Ja, sagt Nolte, „meine freien Arbeiten sind kompliziert“. Dennoch will sie, dass sie jeder auch versteht. Dass sie zumindest einen Köder legt mit sofort Verständlichem, dass der Betrachter in der berühmten Drittelsekunde Aufmerksamkeit hängenbleibt, neugierig wird durch den i-Punkt oder das Gänsefüßchen. Und dann beginnt mit dem Beziehungen-Suchen und Bezüge-Finden.
„Die erste Idee ist der Text“, sagt die Gestalterin. Die Aussage zu finden, bis sie stimmig ist, könne Wochen dauern. Dann das Wichtigste: die Typografie. Eine Helvetica oder Futura würde sie „freiwillig nie benutzen“. Nolte mag Antiqua-Schriften mit Serifen, diesen feinen Querlinien, die einen Buchstaben oben, unten, rechts, links abschließen. Sie machten A, B und C filigraner, menschlicher, verbindlicher – „Serifenschriften haben mehr Charakter“.
So entwickelt sie, entwirft, verwirft. Spielt mit Punkten herum, setzt Buchstaben dramaturgisch an Stellen, wo sie unverrückbar bleiben. Jedes Detail muss stimmen, kein Millimeter ist ohne Bedeutung. Zu eng stehende Buchstaben? Schlecht umbrochene Texte? Ein Gräuel!
Eine Perfektionistin? Ganz sicher. Und gerne mit verschobenem Punkt auf dem i.
Die Ausstellung: „botschaften – Cursus Noltae. wachsen – werden – wirken im Kommunikationsdesign“, im Spitäle an der Alten Mainbrücke, Zeller Straße 1, in Würzburg. Bis 25. Oktober, Di-So von 11 bis 18 Uhr. Führungen von Gertrud Nolte am 17. und 21. Oktober um 17 Uhr.
Infos: www.vku-kunst.de, www.botschaftnolte.de