Die Arbeit eines Kulturredakteurs findet in der Regel, sieht man von gelegentlichen Freilicht- oder Freiluft-Ereignissen ab, in geschlossenen Räumen statt. Im Theater, in der Oper, im Museum. Wanderungen, so er denn ein Wanderer ist, unternimmt er höchstens privat. Nun sind Wald und Wandern zentrale Motive der Romantik, weswegen das Mozartfest, dessen Motto heuer "Mozart, ein Romantiker?" lautet, erstmals zu einer Musikalisch-Literarischen-Wanderung im Wald des Würzburger Nikolausbergs unterhalb der Frankenwarte lud.
Alle drei Termine (Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag und Fronleichnam) mit je 90 Plätzen sind seit Wochen ausverkauft. Tatsächlich leuchtet die Idee einer Wanderung mit mehreren Haltepunkten, an denen Rezitation, Musik, Puppentheater oder Schauspiel stattfinden, auf Anhieb ein, und die Premiere bei idealem Wetter (auch über das Wetter schreibt der Kulturredakteur eher selten) ist denn auch rundum gelungen.
Sie hätte auch als gelungen gelten dürfen, hätte sich der gut dreistündige Spaziergang unter alten Laubbäumen mit gelegentlichen spektakulären Ausblicken auf Stadt und Festung als angenehme Abwechslung vom Büro mit ein paar kulturellen Einsprengseln entpuppt. Denn es hat ja seinen Grund, dass fragile Darbietungen von Kunstlied oder Lyrik sonst in Schutzräumen stattfinden, in denen weder Krach noch Passanten noch die unberechenbare Natur das Erleben trüben können.
Route und Inhalte hat der Würzburger Antiquar Daniel Osthoff zusammengestellt
Doch hier, im Wald, tritt schon bei der ersten von sieben Stationen ein Effekt ein, wie ihn mancher vielleicht von unverhofft großartigen Straßenmusikern in irgendeiner ansonsten reizlosen Fußgängerzone kennt: Trotz aller möglicher Ablenkungen, in diesem Fall allerhand Waldgeräusche plus knirschender Kies unter den Füßen eines Auditoriums, das sich erst zurechtfinden muss, wirken die Darbietungen von ersten Moment an beglückend intensiv.
Route und Inhalte hat der Würzburger Antiquar Daniel Osthoff zusammengestellt, es kommen ausschließlich Künstlerinnen und Künstler mit Bezug zur Region zu Wort. Max Dauthendey etwa, der viel Zeit im Gut zur Neuen Welt verbrachte, oberhalb dessen die Wanderung nach einer Passage auf der "Kniebreche" endet. Oder Leonhard Frank, dessen lakonische Worte zur Zerstörung Würzburgs am 16. März 1945 noch heute herzzerreißend sind: "Den folgenden Morgen floß der Main, in dem sich die schönste Stadt des Landes gespiegelt hatte, langsam und gelassen durch Schutt und Asche, hinaus in die Zeit."
Heinrich von Kleist gefällt Würzburg zunächst kein bisschen
Oder Friedrich Rückert, der in Schweinfurt geborene Dichter und Sprachgelehrte. Goethe natürlich, sein Steinwein-Zitat ist wohl unumgänglich. Richard Wagner, der hier "Die Feen" komponiert hat und sich auf der Puppentheater-Bühne von Thomas Glasmeyer oberhalb des Käppeles ärgert, dass er damals nicht selbst auf die Idee kam, ein Mozartfest zu veranstalten.
August von Platen, Jurastudent im Würzburg des Jahres 1818, Dichter, einsam und sehr empfindsam. Unglücklich verliebt in einen Jüngling, dem er in seinen Elegien das Pseudonym "Adrast" gibt. Nachdem ihn Heinrich Heine als homosexuell outet, wird er 1826 Deutschland für immer verlassen. Oder Heinrich von Kleist, der – wie auch von Platen – im Jahr 1800 keinen besonders günstigen ersten Eindruck von Würzburg hat. Auch er bemängelt kahle Höhen um die Stadt, "denen das Laub ganz fehlt" (erst der 1874 gegründete Verschönerungsverein wird dem mit Aufforstungen Abhilfe schaffen). Ebenso wenig hat von Kleist für die Würzburger übrig: "Denn Heere von Pfaffen und Mönchen, buntscheckig montiert, wie die Reichstruppen, laufen uns unaufhörlich entgegen und erinnern uns an die gemeinste Erde."
Salieri verteilt auf Geheiß Goethes Schokolade an die Wanderer
Zwischendurch läuft der Wandergruppe auch noch jemand ganz anderes entgegen: Salieri in vollem Kostüm (Rainer Appel), der eine leicht veränderte Version der Bildnis-Arie aus Mozarts "Zauberflöte" trällert und auf Geheiß seines Freundes Goethe Schokolade an die Wanderer verteilt.
Rezitator Stefan Müller-Ruppert, dezent unterstützt von einem tragbaren Lautsprecher, findet genau die richtige Mischung aus Jovialität und Empfindsamkeit, seine Pointen setzt er mit routiniertem Timing, den lyrischen Passagen wie etwa Rückerts "Liebst du um Schönheit" gibt er Zeit und Tiefe. Clara Schumanns Vertonung des Gedichts aus dem Zyklus "Liebesfrühling", direkt danach vorgetragen von Hiltrud Kuhlmann (Sopran) und Marko Sevarlic (Akkordeon) ist ein Moment intimster Schönheit, wie er in keinem Konzertsaal anrührender sein könnte.
Als Hiltrud Kuhlmann, wiederum wunderbar sensibel begleitet von Marko Sevarlic, unter einem großen Baum im Garten des Käppele die Arie der Pamina "Ach, ich fühl's, es ist entschwunden" singt, gelingt ihr die so ergreifend, dass einer der mitwandernden Hunde nicht umhin kann, ein ganz klein wenig mitzusingen. Auch dies ein Genuss, der dem Kulturredakteur im Konzertsaal eher selten zuteil wird.