
Das sollen Laien sein? Diese vier Menschen, die sich da auf der Bühne nach allen Regeln der Kunst verhöhnen, demütigen, prügeln, zerfleischen? Die sich - scheinbar - wieder vertragen, nur um gleich wieder ausgesuchte Gemeinheiten aufeinander loszulassen? Diese zwei Frauen und zwei Männer, die den Ehekrieg-Klassiker "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" so schonungslos rüberbringen, dass der Zuschauer den Saal hinterher mit weichen Knien verlässt?

"Die haben alle Nine-to-Five-Jobs", sagt Csaba Béke, künstlerischer Leiter des Würzburger Privattheaters Chambinzky. Lieber als von "Laien" spricht er aber von "Amateuren". Vielleicht, weil in der Bezeichnung das Wort "Liebe" enthalten ist. Laienhaft ist das jedenfalls nicht, was da auf der Bühne passiert.
Neben Christina von Golitschek, Frido Müller und Daniela Vassileva war Béke selbst einer der vier Darsteller des Stücks, das inzwischen schon wieder abgespielt ist. Denn die Schlagzahl ist hoch im Chambinzky, dem zweitgrößten Theater der Stadt (nach dem Mainfranken Theater) und größten der vier Privattheater Würzburgs.
Gespielt wird zehnmal die Woche auf zwei Bühnen
Jährlich bringt das Haus auf seinen zwei Bühnen zwölf bis 14 Eigenproduktionen heraus, alle mit hochengagierten Laien, Amateuren und semiprofessionellen Darstellenden, die für die intensiven Probentage oft Urlaub von ihren Brotberufen nehmen müssen. Gespielt wird zehnmal die Woche, hinzu kommen bis zu 140 weitere kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, Workshops, Poetry Slams oder Songwriter-Wettbewerbe.

Auf den ersten Blick mag ein Stück wie "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" wie ein Ausreißer im Programm aussehen, das traditionell eher von Komödien und Boulevard geprägt ist. So ist hier seit der Gründung durch Rainer Binz 1983 fast 300-mal "Die Feuerzangenbowle" über die Bühne gegangen. Mit wechselnden Darstellenden freilich. Stücke wie "Don Camillo & Peppone", "Charleys Tante", "Ein seltsames Paar" oder "Die Geschichte vom braven Soldaten Schwejk" gehören quasi zur DNA des Chambinzky, das nach politisch ambitionierten Anfangsjahren schnell merkte, dass gut gemachte Unterhaltung am besten geht.
Nach der Pandemie machen Inflation und Nachwuchsmangel dem Theater zu schaffen
Aber auch Titel wie "Der Seelenbrecher" von Thriller-Papst Sebastian Fitzek, "norway.today", das sich mit dem Thema Suizid befasst, das Drama "Einer flog übers Kuckucksnest" oder Ferdinand von Schirachs "Gott" tauchen in der Chronik auf. Für "Gott" in der Regie von Kai Christian Moritz erhielt das Chambinzky Gastspieleinladungen nach Zwickau, Altenburg, Dresden, Leipzig und Chemnitz.
Das Chambinzky seinerseits gehöre zur kulturellen DNA der Stadt, sagt Csaba Béke, der Anfang 2019 Rainer Binz als Chef nachfolgte. Als ehrenamtlicher Chef übrigens: Béke, Jahrgang 1980, ist geschäftsführender Vorsitzender des Trägervereins und künstlerischer Leiter und bekommt in diesen Ämtern nur eine Aufwandsentschädigung. Den Hauptteil seines Lebensunterhalts verdient er mit der angedockten Gastronomie, mit Coachings, Moderationen und Drehtagen als Schauspieler für Film und Fernsehen.

Kai Christian Moritz wiederum, freier Schauspieler und Regisseur, ist seit Oktober Oberspielleiter am Chambinzky und damit Nachfolger von Gwendolyn von Ambesser, die sich nach über 25 Jahren und rund 80 Inszenierungen in den Ruhestand verabschiedet hat. "Es sind riesige Fußstapfen, in die ich trete", sagt Moritz. Die Arbeit mit Nicht-Profis schätzt er besonders, auch wenn er, anders als im festen Ensemble, nicht einfach Stücke und Rollen verteilen und Standardleistung einfordern kann. Dafür brächten die Darstellenden eine ungebrochene Liebe zur Bühne mit. "Mich beeindruckt immer wieder, wie sehr sie bereit sind, sich dem künstlerischen Prozess anzuvertrauen."
Nach der gerade so überstandenen Pandemie machen nun explodierende Kosten, Inflation und Nachwuchsmangel dem Theater zu schaffen. "Mir ist mit einer Klatsche bewusst geworden, wie nah ich an der Insolvenz vorbeigeschrammt bin", sagt Béke, der auch Betriebswirt ist. Er und Moritz planen aber bewusst nicht mit Kürzungen, sondern mit Expansion - künstlerischer wie räumlicher. Weitere Ziele: mehr Nachhaltigkeit, mehr Inklusion. Das Motto: "Aktivität statt Paralyse".
Der Spielplan soll künftig schneller auf gesellschaftlich relevante Themen reagieren
Einerseits soll der Spielplan gesellschaftlich relevanter werden und - wie mit "Gott" - schneller auf aktuelle Themen reagieren. Andererseits plant das Chambinzky nichts weniger als die Errichtung einer neuen Spielstätte für eine zweite Hauptsaison: Auf Randersackerer Gemarkung, auf dem Gelände des Biergartens am Glashaus, dessen Pachtvertrag Ende des Jahres ausläuft. Hier soll ein Freiluft-Amphitheater mit 400 Plätzen entstehen. Aufsteigende Ränge aus Muschelkalk-Quadern, umgeben von "fliegenden Bauten", also Schiffscontainern für Garderobe und Requisite, die der Optik wegen mit Holz verkleidet werden.

165.000 Euro Förderung vom Bund sind bereits bewilligt, weitere 99.000 erhofft sich Béke vom Freistaat. Damit wären 80 Prozent der Finanzierung gesichert."KulturWäldle am Glashaus" soll die neue Spielstätte heißen, die Gastronomie will das Chambinzky gleich mit übernehmen. Wenn alles klappt, könnte das Theater dann die Freilichtsaison zu eigenen Bedingungen durchspielen, müsste kein fremdes Material anmieten, keine fremden Spielstätten ertüchtigen.
Das Projekt ist ambitioniert, das ist Béke und Moritz bewusst. Allein die Bauplanung kostet 25.000 Euro, die Gesamtkosten sind mit gut 326.000 Euro angesetzt. "Da muss ich jetzt einiges an Lobbyarbeit leisten", sagt der notorisch energiegeladene Theaterleiter und gönnt sich einen kleinen Moment des Innehaltens: "Manchmal macht mich der Dauerkampf sehr müde."