- Was ist das für ein Stück? "Gott" schildert eine fiktive Sitzung des Deutschen Ethikrats: Expertinnen und Experten verhandeln, ob einem 78-jährigen, gesunden Witwer, der nicht mehr leben will, der Zugang zu einem tödlichen Medikament gewährt werden soll.
- Für wen ist es interessant? Grundsätzlich für jeden Menschen: Das Thema Suizid beziehungsweise Sterbewunsch kann Jeden und Jede jederzeit treffen. Obwohl das Stück eine Debatte mit unendlich viel Information abbildet, ist es keine akademische Abhandlung.
- Lohnt sich der Besuch? Unbedingt. Regisseur Kai Christian Moritz und das Ensemble des Theaters Chambinzky machen aus dem komplexen Schlagabtausch einen packenden, bewegenden und gelegentlich sogar vergnüglichen Theaterabend, der lange nachwirkt.
Zum Schluss, wie so oft bei Ferdinand von Schirach, ist das Publikum aufgerufen abzustimmen: Soll Herr Gärtner, der Mann, der keinen Sinn mehr im Leben sieht, Hilfe bekommen, aus dem Leben zu scheiden? Das Ergebnis bei der Premiere im Würzburger Matthias-Ehrenfried-Haus: 38 zu 20. Dafür. Mit Nein haben Ärzte und Kirchenvertreter gestimmt, mit Ja unter anderem jüngere Besucherinnen und Besucher. Manche haben sich enthalten.
Es ist keine leichte Entscheidung. Zumindest nicht, wenn man zugehört hat. Wie zwei Stunden lang Fakten, Zahlen, Argumente, Perspektiven, Gefühle gegeneinander in Stellung gebracht wurden. Wie Kurt Egreder als Antragsteller Gärtner widerstrebend und doch energisch seinen Sterbewunsch vertritt. Wie die Vorsitzende (Christina von Gollitschek) zwar ordnend eingreift, letztlich aber zulässt, dass die Emotionen sich Bahn brechen. Wie Ursula Bertelmann als Hausärztin Gärtners den Verdacht einer Depression bei ihrem Patienten ausräumt.
Ausgerechnet der Mann der Kirche verunsichert den nassforschen Anwalt
Wie Brigitte Miebach-Schrader als Jura-Professorin absurde Volten der Rechtsprechung schildert und sich dabei eine professionelle Amüsiertheit kaum verkneifen kann. Wie der schnöselige ärztliche Gutachter (Harald Baus) unverhohlen sein Desinteresse zelebriert. Wie selbst Monika Schiefer als Fragestellerin Prof. Keller und erklärte Gegnerin des Antrags ins Wanken zu geraten scheint.
Wie Alexander Zamzow genüsslich als Gärtners übergriffig nassforscher gleichwohl vorzüglich vorbereiteter Anwalt Biegler alles tut, um die Argumente der Gegenseite als antiquiert, irrational und engstirnig zu brandmarken. Und wie ihn schließlich Wernher von Schrader als Bischof Thiel – beinahe – vom hohen Ross seiner Gewissheiten holt. Ausgerechnet der Kirchenmann, der sich zunächst hinter Lehrmeinungen verschanzt und dann doch als zutiefst empathischer Seelsorger outet. Ein großer Theatermoment.
Was der echte Bischof über den Bühnenbischof sagt
Nach jeder der 17 geplanten Vorstellungen stehen Experten fürs Gespräch mit dem Publikum bereit. Am Premierenabend war es Bischof Dr. Franz Jung. Seine Beobachtung teilen viele im Saal: "Man kann allgemein über ein Thema diskutieren, aber die Sichtweise ändert sich sofort, wenn man von einem Einzelfall spricht." Jung rät, wenig überraschend, die Aufgabe es Lebens "aus dem christlichen Glauben heraus anzunehmen". Die These des Bühnenbischofs – "das Christentum ist die Religion des Leidens" – teilt er hingegen nicht: "Es ist die Religion des Lebens!"
Menschen im Publikum steuern Gedanken bei, die im Stück kaum vorkommen. Ein Psychotherapeut schildert die Arbeit mit traumatisierten Hinterbliebenen von "erfolgreich Suizidierten". Und eine ältere Dame warnt davor zuzulassen, "dass sich alte Menschen verteidigen sollen, dass sie noch leben wollen".
"Gott", Theaterstück von Ferdinand von Schirach: Kooperation Theater Chambinzky, Stadt, Bistum und Universität Würzburg, Domschule. Vorstellungen an vier Orten: Matthias-Ehrenfried-Haus (17. bis 22. September), Z6 Zentrales Hörsaal- und Seminargebäude der Uni (25.-29. September), Gartenpavillon Juliusspital (4., 5., 7. Oktober), Rathaus Würzburg, Ratssaal (4.-7. November). Beginn 19.30 Uhr, außer 26. September (20 Uhr). Karten unter Tel. (0931) 51212, www.chambinzky.com oder an der Theaterkasse, Valentin-Becker-Straße 2.
Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern (0800) 111 0 111 und (0800) 111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de. Die Fachstelle Suizidberatung - Unterstützung in kritischen Lebenssituationen am Kardinal-Döpfner-Platz 1 in Würzburg ist Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet, Tel. (0931) 571717. Rund um die Uhr ist das Krisennetzwerk Unterfranken unter (0800) 6553000 zu erreichen.