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Würzburg
Wem gehört das Leben? Regisseur Kai Christian Moritz über "Gott"
Theater kann bestenfalls Fragen aufwerfen und Diskussionen anstoßen, sagt der Schauspieler und Regisseur Kai Christian Moritz. Für Ferdinand von Schirachs Stück "Gott" gilt das besonders.
Kai Christian Moritz hat das Stück 'Gott' mit dem Ensemble des Theaters Chambinzky inszeniert.
Foto: Thomas Berberich | Kai Christian Moritz hat das Stück "Gott" mit dem Ensemble des Theaters Chambinzky inszeniert.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:10 Uhr

Der Schauspieler und Regisseur Kai Christian Moritz (45) inszeniert für das Würzburger Theater Chambinzky das vieldiskutierte Stück "Gott" von Ferdinand von Schirach, das bis November in Kooperation mit Domschule, Universität, Klinikum Mitte und Stadt an vier verschiedenen Aufführungsorten in Würzburg zu sehen sein wird. Es geht um das Thema assistierter Suizid. Oder, verkürzt und plakativ gefragt: Wem gehört das Leben?

Ein Mann, 78, gesund, ist nach dem Tod seiner Frau des Lebens müde, möchte sterben und bittet dafür um ärztliche Hilfe. Der Ethikrat diskutiert darüber, ob das vertretbar ist – medizinisch, juristisch, ethisch, religiös. Was ist für Sie der Kern des Stücks? 

Kai Christian Moritz: Der Kern ist das zurückgeworfen Sein auf die persönliche Gewissensentscheidung, die wir alle in manchen Fragen des Lebens treffen müssen. Lange Zeit hat die Kirche alle Fragen zum Beginn und zum Ende des Lebens beantwortet. Aber über die Jahrhunderte haben wir uns glücklicherweise andere Orientierungssysteme erarbeitet. Unser Rechtssystem zum Beispiel ist frei von den religiösen Werten zu betrachten. Die Medizin, die uns viele Antworten auf die Fragen des Lebens gibt. Der Herr Gärtner, so heißt die Figur, steht zwar mit seinem Anliegen im Mittelpunkt, er steht aber für uns alle, die wir nach verlässlichen Antworten suchen.

Im Laufe des Stücks dreht sich die Sicht immer wieder. Am Anfang sympathisiert man mit dem Sterbewilligen, aber dann kommen viele Fragen dazu: Was bedeutet das für die Angehörigen, was für die Ärztinnen und Ärzte? Hat sich Ihre Sicht während der Arbeit auch gewandelt? 

Moritz: Die Arbeit hat mich darin bestätigt, dass ich meine Meinung immer wieder kritisch hinterfragen muss. Meine Antwort hat sich letztlich bestätigt, ich würde sie aber nicht mehr so leichtfertig geben. Meine Sicht ist: Ich finde, er soll die Möglichkeit haben. Ich sehe aber auch die Schwierigkeiten und die Gefahr, die das mit sich bringt. Etwa den "Dammbruch", von dem im Stück immer wieder die Rede ist. Dass etwa für alte Menschen ein Zwang entsteht: Du, Oma, das Altenheim kostet doch so viel. . . Das darf natürlich nie passieren.

"Immer mehr Menschen haben das Gefühl, ihnen wird die Macht über sich selbst entzogen."
Kai Christian Moritz über den Wunsch nach Autonomie
Der Autor lässt am Schluss das Publikum abstimmen. Nach der Ausstrahlung der Verfilmung in der ARD im November war das Ergebnis mit 70 zu 30 sehr klar für das Anliegen von Herrn Gärtner. Hat Sie das überrascht?

Moritz: Nein. Ich glaube, dass der Wunsch nach Autonomie sehr groß ist. Wo, wenn nicht bei unserem eigenen Leben, sollten wir autonom sein wollen? Das Stück fällt ja in eine politisch interessante Zeit: Immer mehr Menschen haben das Gefühl, ihnen wird die Macht über sich selbst entzogen. Der Anwalt von Gärtner bringt es auf den Punkt: Wem, wenn nicht uns selbst, gehört unser Leben?

Ferdinand von Schirach, Autor des Theaterstücks 'Gott', bei einem Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie.
Foto: Christian Charisius, dpa | Ferdinand von Schirach, Autor des Theaterstücks "Gott", bei einem Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie.
Aber beim Wunsch zu sterben, fühlen sich viele Teile der Gesellschaft aufgerufen, mitzureden.

Moritz: Wenn jemand reiflich entscheidet, diesen Schritt zu gehen, finde ich es problematisch, dass ein Teil der Gesellschaft das verdammt beziehungsweise als "nicht ganz dicht" abtut. Nicht jeder Suizidwunsch ist ein Hilfeschrei – kann es aber sein. Aber das muss natürlich geprüft werden, die Hürden müssen gegeben sein.

"Es geht vor allem darum, diese enorme Inhaltsfülle überhaupt zugänglich und erfahrbar zu machen."
Kai Christian Moritz über seinen Ansatz als Regisseur
Die Wahrnehmung des Stücks und der Positionen darin ist stark abhängig von der Zeichnung der Personen. Etwa wie sympathisch oder unsympathisch der Bischof ist, oder wie forsch der Anwalt  auftritt. Wie sehen Sie Ihre Figuren?

Moritz: Uns war es in der Produktion wichtig, nicht denunziativ zu arbeiten. Also die Figuren nicht doof aussehen zu lassen. An Karikaturen wäre ich nicht interessiert. Die Darstellenden sitzen ja hauptsächlich da und müssen ihre Figuren über ihre Haltung zum Text entwickeln – was sie sagen und wie sie es sagen. Je klarer sie das denken, desto mehr spricht das Stück für sich. Man muss dann keinem einen Tick verpassen, ein Lispeln oder sowas. Es geht vor allem darum, diese enorme Inhaltsfülle für den Zuschauer überhaupt zugänglich und erfahrbar zu machen.

Über das Stück ist viel diskutiert worden. Oft wurde sein Inhalt verkürzt auf die Frage: Ist Suizid als solcher zulässig? Befürchten Sie ähnliche Reaktionen?

Moritz: Es sind ja zwei Fragen – darf ein Mensch die Möglichkeit zum Suizid bekommen, und darf ein Arzt ihm guten Gewissens dieses Medikament verabreichen? Aber was Theater bestenfalls kann, ist Diskussionen anstoßen. Deshalb haben wir bewusst die Kooperation mit der Domschule. Nach den Vorstellungen haben wir immer Experten, die zu Gesprächen mit dem Publikum bereitstehen.

Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern (0800) 111 0 111 und (0800) 111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de. Die Fachstelle Suizidberatung - Unterstützung in kritischen Lebenssituationen am Kardinal-Döpfner-Platz 1 in Würzburg ist Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet, Tel. (0931) 571717. Rund um die Uhr ist das Krisennetzwerk Unterfranken unter (0800) 6553000 zu erreichen.

 
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