Claudia Lichte war 25 Jahre lang prägende Kraft auf der Würzburger Festung. Die promovierte Kunsthistorikerin, Jahrgang 1958, kam nach Stationen in Hamburg und Stuttgart 1995 als Kuratorin an das damalige Mainfränkische Museum. 2004 wurde sie dessen Leiterin. Als das Haus 2017 als "Museum für Franken – Staatliches Museum für Kunst- und Kulturgeschichte in Würzburg" in die Trägerschaft des Freistaats überging, wurde sie Stellvertreterin des neuen Direktors Erich Schneider. Im Gespräch erklärt sie, warum sie sich ihr letztes Jahr im Dienst anders vorgestellt hatte und warum es ihr dennoch nicht schwerfällt, das Museum mitten im Umbauprozess in jüngere Hände zu übergeben.
Claudia Lichte: Ich bin ja mit einem Sabbatjahr sehr frühzeitig in Ruhestand gegangen, eigentlich um viel zu reisen. Aber es war absehbar, dass das in diesem Jahr mit Corona noch nichts wird. Also habe ich mir andere Aufgaben gesucht – als Privatgelehrte, das gefällt mir ganz gut. Die Kunstgeschichte ist ein so tolles Fach, da findet man immer etwas Spannendes.
Lichte: Es gibt natürlich Objekte, an denen ich ganz besonders hänge. Adam und Eva von Riemenschneider zum Beispiel oder die Riemenschneider-Madonna, die im Jahr 2000 erworben wurde. Und die Möglichkeit, nach 17 Uhr, nach Schließung des Museums, mit den Objekten ganz allein zu sein, vielleicht sogar im Sommer, wenn nur Tageslicht auf sie fällt – davon kann ich nicht genug bekommen und das fehlt jetzt. Auf der anderen Seite ist man ja fachlich darauf trainiert, solche Eindrücke abzuspeichern, und wenn ich das jetzt so erzähle, habe ich die Bildwerke ganz genau vor Augen.
Lichte: Das ist zweischneidig. 2004 hatten wir für die große Riemenschneider-Ausstellung eine Bischofsbüste aus der National Gallery in Washington zu Gast. Die stammte aus der berühmten Schweinfurter Sammlung Sattler. Als sie bei Zerschlagung der Sammlung 1901 zum Verkauf stand, hat Würzburg mitgeboten, damals scheiterte der Kauf an 20 Mark. Über Privatsammlungen ist sie dann nach Amerika gelangt. Ich habe bei der Ausstellung immer gesagt, das Stück aus den USA herzuholen, ist wesentlich kostenintensiver, als es damals der Kauf gewesen wäre. Aber das sind Zeitläufte, die eben auch Objekte treffen. Und zum Glück gibt es die Möglichkeit der temporären Leihgaben.
Lichte: Sie ist noch ein Stück älter als die Sammlung Sattler, hat ihre Wurzeln Mitte des 19. Jahrhunderts. Viele Teile waren hier schon zusammengekommen, als Riemenschneider eben noch nicht so geschätzt wurde. Als dann Wilhelm von Bode, Namensgeber des heutigen Museums in Berlin, Riemenschneider sozusagen in die überregionale Kunstgeschichte einführte, hatte Würzburg manches Mal das Nachsehen. Die Würzburger Sammlung hat aber Besonderheiten, die keine andere sonst liefern kann. Nirgends können Sie so gut sehen, wie die Werke Riemenschneiders in der Breite gewirkt haben. Wie sein Stil sich durch Nachahmer und Umkreis verbreitet hat.
Lichte: Den eigentlichen Überblick haben wir erst seit kurzem, seit die Inventarisation der Bestände in einer Datenbank weitgehend abgeschlossen ist. Aber allein mich zurechtzufinden, hat damals bestimmt ein halbes Jahr gedauert. Ich erinnere mich sehr gut an meinen ersten Tag, Herr Dr. Trenschel (Hans-Peter Trenschel, Museumsleiter von 1994 bis 2003, Anm. d. Red.) hat mich durchs Haus geführt und nahm dann eine unterirdische Abkürzung durch die Keller, da habe ich gedacht, das lerne ich nie.
Lichte: Ich kam ja vom Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart und habe mich immer gewundert, warum das hier kein Landesmuseum ist – die Sammlungen sind entsprechend groß und bedeutend. Ich habe aber auch gesehen, wie anders die finanzielle Ausstattung hier war. Aber das damals städtische Museum hatte einen großen Vorteil, den Stuttgart nicht hatte: Es gab den direkten Kontakt mit der Bevölkerung und den Besuchern. Und damit große Gruppen wie etwa die Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte, die hinter diesem Haus stehen. Das ist ein unheimliches Glück. Trotzdem: Die Präsentation geht auf die Nachkriegszeit zurück und ist in die Jahre gekommen. Wenn Sie sagen "angestaubt", dann ist das auch berechtigt.
Lichte: Als ich 2004 Museumsleiterin wurde, war gerade der Zweckverband aus Stadt und Bezirk gegründet worden, der das Museum dann bis zu seiner Verstaatlichung 2017 betrieben hat. Es wurde natürlich erwartet, dass das Museum gepusht wird. Die finanziellen Ressourcen waren aber sehr, sehr knapp. Wir haben dann als Team gemacht, was möglich war: Wir haben an unseren Angeboten gearbeitet, denn an Architektur und Ausstattung konnten wir wenig ändern. Aber es gelang uns, das Haus im Gespräch zu halten. Einmal über Sonderausstellungen, immer kombiniert mit Rahmenprogrammen und Events. Bei "Zu Tisch" etwa ging es um Essgewohnheiten, da gab es von Benimmkurs über Festessen oder Delikatessenmarkt ein breites Angebot für ganz unterschiedliche Besuchergruppen. Die zweite Schiene bestand darin, die Highlights der Sammlung als Leuchtturmobjekte herauszustellen. Mit Slogans wie "Wo Adam und Eva zuhause sind" oder "Wo Blaumachen zum guten Ton gehört" bei den Fayencen. Und: Die Angebote richten sich immer an die ganze Familie, also an mehrere Generationen.
Lichte: Hinter den Kulissen ist unter der Leitung von Prof. Erich Schneider sehr viel passiert. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem eine erste Grobplanung vorliegt. Und dieses erste Konzept, die Projektunterlage Bau, ist vom Haushaltsausschuss des Landtags genehmigt. Es geht jetzt in die Ausführungsplanung und den Beginn der Baumaßnahmen. Die werden extrem aufwändig aufgrund der Festungslage mit nur einem Eingang zur Kernburg. Wenn man sieht, wie lang andere Häuser sanieren, ist ein Zeitraum von zehn Jahren nicht lang. Und hier ist der große Vorteil, dass man komplett neue Räume bezieht.
Lichte: Für mich ist das jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Ich glaube, dass es dem Projekt nur guttut, wenn sich eine jüngere Generation mit dem vorliegenden Konzept auseinandersetzt. Museum wird immer wieder neu gedacht. Was wir vorgelegt haben, hat Hand und Fuß. Das ist ein gutes Fundament, auf dem aufgebaut werden kann. Und bei Bedarf sind Erich Schneider und ich auch nicht aus der Welt.
Lichte: Es ist keine Selbstverständlichkeit mehr, ins Museum zu gehen. Die Besucher erwarten auch nicht mehr ruhige Bildergalerien, sondern ein Erlebnis, das nicht nur aus der Ausstellung der Objekte besteht. Da gehören Empfang und Kaffee genauso mit dazu wie eine gute Präsentation der Werke und ein vielschichtiges Vermittlungsangebot, denn man kann immer weniger Hintergrundwissen voraussetzen. Ich glaube aber, dass das optische Erleben etwas Primäres ist, das allen Freude macht und Erkenntnis bringt, wenn die Ausstellung Inhalte und Zusammenhänge vermittelt, die heute von Interesse sind. Es bringt nichts, Adam und Eva im Haus zu haben, wenn man nicht vermittelt, warum sie Highlights sind.
Lichte: Riemenschneiders Werke haben eine solche Ausdrucksstärke, die der Besucher, der sich darauf einlässt, heute noch spürt. Mit ihren eingängigen Gesichtern und fließenden Faltenwürfen, sind sie ja dafür gemacht, den Betrachter anzusprechen. Kirchliche Zusammenhänge, christliches Gedankengut müssen Sie allerdings heute entsprechend erläutern. Aber sich betrachtend zu versenken, bringt auch heute noch Gewinn. Auch Riemenschneiders Lebenslauf ist interessant. Seine Karriere kann man durchaus mit heute vergleichen: Sobald er seine Marktlücke und seine Marke gefunden hat, läuft der Betrieb. Dann lebte Riemenschneider in der Umbruchszeit von Reformation und Bauernkrieg: Heute fühlen oder sind wie wieder im Umbruch – das Museum für Franken ist es jedenfalls.