Das Porträt zeigt einen Mann mit wachem, entschlossenem Blick. Seine Lippen umspielt die Andeutung eines Lächelns. Am Schreibtisch sitzend, wendet er sich dem Betrachter zu. Die linke Hand hält eine lange Pfeife, die rechte ruht auf der reich verzierten Armlehne seines Stuhls, aber es wirkt, als wolle er sie gleich heben, um den Worten Nachdruck zu verleihen, die er gleich sprechen wird. Auf dem Schreibtisch steht eine Reihe Bücher, deren Rücken seine Interessen verraten: Schiller, Goethe („Göthe“), Münzen und Chemie – Literatur und Naturwissenschaft, Kunst und Industrie.
Das Ölbild zeigt Wilhelm Sattler. Der Erfinder, Fabrikant und Geschäftsmann hat sich und seine Frau Catharina 1837 vom Schweinfurter Maler Georg Friedrich Adolph Schöner in der Manier der alten Meister porträtieren lassen. Die Inszenierung seines Bildes erinnert an die Holbein-Porträts erfolgreicher Londoner Politiker und Handelsherren. Der schwere rote Samtvorhang, der das Porträt Catharinas links oben abschließt, könnte auch bei Tizian auftauchen.
Die beiden Porträts hängen heute im stadtgeschichtlichen Museum Altes Gymnasium in Schweinfurt. Sie zeigen vor allem eines: Selbstbewusstsein. Catharina und Wilhelm Sattler sind eines der ersten bürgerlichen Ehepaare Bayerns, die sich dank ihres wirtschaftlichen Erfolgs Ausstattung und Auftreten von Adeligen leisten können. Sie leben auf Schloss Mainberg, führen ein eigenes Wappen und umgeben sich mit wertvoller Kunst – die Wiederentdeckung des Genies Tilman Riemenschneider ist vor allem Wilhelm und Catharina Sattler zu verdanken.
Sattlers Betriebe halten eine ganze Region in Lohn und Brot. Sein Einfluss als Industrieller und Landtagsabgeordneter ist so groß, seine Verbindungen so gut, dass es ihm 1850 gelingt, die Eisenbahn nach Schweinfurt zu holen. Die Strecke sollte ursprünglich von Bamberg nach Würzburg führen, Sattler setzt durch, dass sie erst von Bamberg nach Schweinfurt gebaut wird – über Schonungen und Mainberg, wo er seine Farben- beziehungsweise Tapetenfabrik hat. Der Lückenschluss bis Würzburg kommt erst später.
„Was Wilhelm Sattler am meisten prägte, war vermutlich, dass er nie satt war – dass er sich nie mit dem Gelernten, mit seinen Erfolgen zufriedengab“, sagt der Schonunger Klaus Reimann, der als Gästeführer Gruppen das Alte Gymnasium zeigt. Sein Thema: Die Bedeutung der Familien Sattler und Sachs für Schweinfurt. „Ich bin in der Karl-Fichtel-Straße in Oberndorf großgeworden, mein Großvater war beim Sachs, die Nachbarn auch, da war mein Gebiet praktisch vorgegeben“, sagt der pensionierte Hauptschullehrer.
Wilhelm Sattler ist kein klassischer Selfmademan. Er wird 1784 in Kassel in eine wohlhabende Familie hineingeboren, die ihn später bei seinen Unternehmensgründungen unterstützen kann. In Hannoversch Münden lernt er Kaufmann und tritt in den Dienst des Großhandelshauses Wüstenfeld. Dort lernt er den Sohn von Johann Georg Gademann kennen, der in Niederwerrn eine Bleiweißfabrik betreibt. Sattler wird hier 1805 Geschäftsführer, aber schon 1808 macht er sich selbständig. Er kauft ein Anwesen in der Schweinfurter Kirchgasse 25, das zum Stammhaus des Unternehmens wird. Im Alten Gymnasium ist die Deckplatte des Grundsteins dieses Anwesens von 1809 zu sehen, die bei Baggerarbeiten gefunden wurde, wie Friederike Kotouè erzählt, die den Schweinfurter Museumsservice MuSe leitet, in dem die museumspädagogischen Angebote der Museen und Galerien der Stadt zusammengefasst sind.
Im Jahr 1809 heiratet Sattler auch Catharina Geiger, Tochter des Malers Conrad Geiger und selbst begabte Künstlerin. Als Wilhelm sie kennenlernt, ist sie erst 16. Das Werben des jungen Fabrikanten ist der Familie zunächst gar nicht recht, sie schickt Catharina zu Verwandten nach Wertheim. Aber Wilhelm lässt nicht locker, und so werden er und Catharina schließlich eines der prominentesten Paare der allmählich entstehenden großbürgerlichen Gesellschaft.
Wirtschaftlich geht es Schlag auf Schlag. Wilhelm Sattlers Erfolgsgeheimnis sind sein Erfindungsreichtum und sein Sinn für Marktlücken. Napoleons Kontinentalsperre verhindert die Einfuhr englischer Waren, also ersinnt Sattler Verfahren, diese im Lande herzustellen. Sago zum Beispiel, ein Verdickungsmittel, das in Speisen ebenso wie in der Farbenproduktion eingesetzt wird. Das Ursprungsprodukt wird aus einem exotischen Palmfarn gewonnen, Sattler erzielt 1810 denselben Effekt mit Kartoffelmehl und Stärke.
Ab 1814 produziert Sattler in Schonungen das heute berüchtigte Schweinfurter Grün, eine außergewöhnlich leuchtende und lichtbeständige Farbe, die er zusammen mit dem Apotheker Friedrich Wilhelm Ruß entwickelt hatte. Auf Schloss Mainberg gründet er 1822 eine Tapetenfabrik – produziert wird im Nordflügel, die Sattlers wohnen nach aufwändigen Renovierungsarbeiten im Südflügel. 1829 schließlich erweitert Wilhelm seinen Konzern um eine Steingutfabrik nach englischem Vorbild auf Schloss Aschach bei Bad Kissingen.
Stärke, Zucker, Farben, Tapeten, Steingut – Wilhelm Sattler erkennt, was das aufstrebende Bürgertum ebenso wie der Adel schätzt. Tapeten nach französischem Vorbild sind der letzte Schrei, und Steingut ist für alle, die sich kein Porzellan leisten können, eine repräsentative Alternative zum Tongeschirr. Sattler wird so zu einem der erfolgreichsten Protagonisten der ersten Welle der Industrialisierung, auch wenn seine Produktionsstätten ihn nicht lange überleben werden.
Dass Arsen gesundheitsschädlich ist, weiß man seit der Antike. In Schweinfurter Grün ist es damals reichlich enthalten. Ein Artikel im Schweinfurter Tagblatt rühmt dennoch 1824, zum zehnjährigen Bestehen der Farbenfabrik, die hervorragenden Eigenschaften der Farbe, die häufig auch zum Anstreichen von Schiffen benutzt werde: „Aus irgendeinem Grund setzen sich nach dieser Behandlung keine Pflanzen mehr auf dem Holz fest“, heißt es. Aber im selben Jahr beschweren sich auch Bürger bei der Regierung in Würzburg, dass ein Pferd jämmerlich krepiert sei, das aus dem – offensichtlich verseuchten – Schonunger Mühlbach getrunken habe. Thomas Horling und Andrea Brandl schildern den Vorfall in „Fürsten & Industrielle – Schloss Mainberg in acht Jahrhunderten“.
Sattler bestreitet die Schädlichkeit seines Grüns. Im 19. Jahrhundert weiß man noch nicht, dass Arsen seine schädliche Wirkung nicht nur bei Einnahme oder Berührung entfaltet, sondern auch über die Atemluft. Und so kann man die Erkrankungen nicht wissenschaftlich erklären. Im Laufe der Jahre werden dennoch immer mehr Warnungen und Verbote ausgesprochen. 1887 schließlich wird der Gebrauch von gesundheitsschädlichen Farben ganz verboten, Schweinfurter Grün danach nur noch als Schädlingsgift und Spritzmittel eingesetzt. Auch als Arbeitgeber ist Wilhelm Sattler nicht unumstritten. Neben den Handwerker und den Landwirt tritt nun der Berufsstand des Fabrikarbeiters. Dessen wirtschaftliche Lage, so legen es Horling/Brandl dar, wird – je nach Blickwinkel – unterschiedlich beurteilt. Im Protokoll der Schonunger Armenpflege heißt es, der in der Farbenfabrik gezahlte Lohn sei „an und für sich nicht imstande eine Familie zu ernähren“.
Von Sattlers Fabriken bleiben heute, gut 152 Jahre nach seinem Tod, vor allem die Altlasten im Bewusstsein der Menschen. Schweinfurter Grün aber wird bis heute produziert – seit 1862 von der Firma Lukas Künstlerfarben. Giftfrei, versteht sich.
Auf den Spuren von Wilhelm und Catharina Sattler
Das Alte Gymnasium, stadtgeschichtliches Museum des Stadt Schweinfurt, verwahrt eine Reihe Exponate, die an Wilhelm und Catharina Sattler (1789–1861) erinnern: Farbproben und die Deckplatte des Grundsteins des Sattlerschen Familienanwesens in der Kirchgasse 25. Gemälde von Conrad Geiger, Catharinas Vater, darunter „Die Künstlerfamilie Geiger“. Im ersten Stock hängen die beiden Porträts von Wilhelm und Catharina Sattler, gemalt 1837 von Georg Friedrich Adolph Schöner. Weiteres Ausstellungsstück: Ein wuchtiger Tisch nach dem Vorbild eines Ratsherrentischs von Riemenschneider, auf dessen Platte der Stattlersche Stammbaum (das Paar hatte 14 Kinder) dargestellt ist – Zeichen für das wachsende Selbstbewusstsein bürgerlicher Familien. Druckplatten und -rollen aus der Tapetenfabrik geben einen Eindruck frühindustrieller Produktion. Ein Stück Originaltapete verwahrt der Historische Verein im Schrotturm.
Von der berühmten Kunstsammlung der Sattlers ist in Schweinfurt nichts mehr zu sehen. Als sie 1901 in Berlin versteigert wurde, bot die Stadt gar nicht erst mit. Würzburg bekam unter anderem für zwei Leuchterengel und eine Anna Selbdritt von Riemenschneider den Zuschlag. Der Rest wurde in alle Welt verstreut.
Literatur: In „Fürsten & Industrielle – Schloss Mainberg in acht Jahrhunderten“, herausgegeben von Thomas Horling und Uwe Müller (Historischer Verein, 2011), sind drei Kapitel dem Thema Sattler gewidmet. Und Band 160 der Schweinfurter Museumsschriften „Mit dem Paternoster zu den Industriepionieren – Schweinfurt wird Industriestadt“ (2008) bietet einen guten Einstieg in das Thema.