Die Tabelle spricht auch nach dem 2:1-Überraschungserfolg in Hannover und vor dem Franken-Duell am Sonntag (13.30 Uhr) gegen den 1. FC Nürnberg eine eindeutige Sprache: Die Würzburger Kickers stehen noch immer abgeschlagen am Tabellenende der Zweiten Fußball-Bundesliga. Aber so trostlos wie noch nach dem 0:1 in Sandhausen ist die Stimmung nicht mehr. Der dritte Trainerwechsel der Saison scheint einen Effekt zu haben.
Dabei gab es doch genügend Gründe, am Sinn dieser Maßnahme zu zweifeln. Für die letzten neun Spiele dieser Saison Bernhard Trares noch abzulösen und durch den als Chefcoach im Profigeschäft unerfahrenen Ralf Santelli zu ersetzen, das erschien - zumal am Ende einer zweiwöchigen Länderspiel-Pause - als hilfloser Aktionismus. Nach Spiel zwei unter dem Neuen, kann man aber feststellen: Er hat neues Leben in die Mannschaft gebracht. "Das ist ja das, was man sich von einem Trainerwechsel erhofft: neue Impulse. Der Trainer jetzt, der Ralf, bringt sehr gute Impulse mit", sagte Tobias Kraulich nach dem Spiel in Hannover.
Logisch, dass dem 22-Jährigen die Neuerungen gefallen. Bei Santellis Vorgängern war Kraulich ohne Einsatzchance. Der neue Coach zauberte ihn schon in Sandhausen aus dem Hut. In Hannover zeigte der offenbar bislang unterschätze Innenverteidiger eine blitzsaubere Leistung. Dass an seiner Seite dabei mit Lars Dietz ein Mann agierte, der zuletzt ebenso nie und nimmer für die Startelf infrage gekommen war, passte da gut dazu. Es fällt schwer in dieser Saison, in der es so viele Wechselspiele gab, ein Innenverteidiger-Paar zu finden, das seine Sache besser gemacht hätte als die beiden am Donnerstagabend.
Es sind aber nicht nur die personellen Veränderungen, die ins Auge fallen. Der Hauptunterschied zwischen Santelli und seinem Vorgänger Trares: Der Deutsch-Italiener nimmt deutlich aktiver Einfluss auf das Spielgeschehen. "Es war der Wille von der Mannschaft da: Hilf uns! Das schadet nur meiner Stimme", sagte der Trainer am Tag nach der Partie. Permanent hatte er Anweisungen gegeben, "weil es die jetzige Phase so fordert". In Hannover rückte er auch nach etwa 20 Minuten von seinem favorisierten 4-3-3-System ab, "weil wir in manchen Situationen immer einen Schritt zu spät waren". Sein Vorgänger Trares hatte über Wochen an der Mittelfeldraute festgehalten. Waren die Kickers über Wochen nur über schnell vorgetragene Angriffe nach Ballverlusten des Gegners gefährlich geworden, ergriffen sie diesmal nach dem Rückstand selbst die Initiative. Vor dem entscheidenden 2:1 von Rajiv van la Parra waren die Kickers gleich viermal im generischen Strafraum vor einem Hannoveraner an den Ball gekommen. Bislang waren die Rothosen das Zweitliga-Team mit den wenigsten Ballkontakten im gegnerischen Strafraum. Plötzlich tauchten die Kickers-Spieler vermehrt dort auf, wo es am Ende entscheidend ist: vor den Toren. Die Raumaufteilung wirkte deutlich verbessert.
"Ich möchte nicht den Eindruck erwecken: Da sitzt Ralf Santelli, der glaubt, er hat den Löffel mit Weisheit gefressen", sagte der Kickers-Coach in der Online-Presserunde am Freitag und klang dabei fast entschuldigend: "Wenn man zu viel redet, ist man schnell der Oberlehrer." Dabei könnte man schon den Eindruck gewinnen, der 52-Jährige, der vor rund 20 Jahren unter anderem auch in Hannover als Torwarttrainer unter Ralf Rangnick arbeitete, habe mit ein paar einfachen Kniffen eine fast schon abgeschriebene Mannschaft wiederbelebt. Er nimmt sogar das Wort "Spaß" in den Mund, obgleich die Kickers ja immer noch am Abgrund wandeln. Aber im neu eröffneten Zirkus Santelli ist für solche Gedanken kein Platz. Die Spieler, so das Credo des Trainers, sollen überhaupt nicht daran denken, wie es gerade steht, im Spiel und in der Tabelle.
Am Sonntag nun geht es im 100. Zweitliga-Spiel der Kickers-Geschichte gegen den 1. FC Nürnberg. Eine Begegnung mit besonderem Reiz für Santelli, der sich freilich keine Illusionen darüber macht, dass nicht jeder im international besetzten Kader diesen Charakter des Spiels auch spürt: "Solche Derbys setzen nur bedingt etwas frei." Mit einem Sieg könnte sein Team immerhin die Spannung im Abstiegskampf ein bisschen behalten. Seine Aufgabe bei den Kickers definiert der neue Coach sowieso anders: "Egal, was am Ende heraus kommt. Wenn man in ein paar Wochen sagt: Es war klasse, wie wir Würzburg in der Außendarstellung repräsentiert haben, haben wir alle einen guten Job gemacht."