Heute um 23.30 Uhr (MESZ, 6.30 Uhr Ortszeit) ist es so weit. Dann geht die Würzburger Schwimmerin Leonie Beck zum zweiten Mal in ihrem noch jungen Leben bei den Olympischen Spielen an den Start. Die 24-Jährige will nicht wie 2016 in Rio im Becken, sondern über zehn Kilometer im Freiwasser antreten. Welche besonderen Tücken die Schwimmerinnen und Schwimmer im Odaiba Marine Park in Tokio erwarten und warum sogar Lebensgefahr besteht, weiß Leonie Becks Vater Alexander, der das deutsche Team als Mannschaftsarzt betreut.
Frage: Herr Beck, Sie sind als Mannschaftsarzt der deutschen Freiwasser-Schwimmer in Tokio vor Ort. Starten wird dort auch Ihre Tochter Leonie. Wie ist die Anreise gelaufen?
Alexander Beck: Wir haben eine Kurzanreise gemacht, damit sie vor Ort gar nicht groß in die Vorbereitung muss. Wir hatten ja die Maßgabe, dass wir erst fünf Tage vor dem Wettkampf ins Dorf dürfen. Also machen wir es so, wie auch bei den Weltcups. Das Konzept heißt: Fly in – Swim – Fly out. Ein bisschen müssen wir uns schon an die Zeitzone in Japan anpassen, aber nicht hundertprozentig.
In Tokio ist es sehr warm, die Luftfeuchtigkeit sehr hoch. Wie groß ist die Umstellung durch die klimatischen Bedingungen?
Beck: Die Umstellungen sind schon relativ krass. Wir reden da ja auch von einer Wassertemperatur über 28 Grad.
Was bedeutet das für die Schwimmerinnen, die über die 10-Kilometer-Distanz rund zwei Stunden unterwegs sind?
Beck: Das ist wie bei jedem Hochleistungssportler. Der Körper versucht, über seine Blutkühlung die Temperatur zu regulieren und schwitzt Flüssigkeit aus. Dafür braucht er dann eben auch genügend Flüssigkeit. Das ist nichts anderes, als wenn sie durch die Wüste marschieren.
Jetzt ist es während des Schwimmens schwierig mit der Aufnahme von Verpflegung. Wie viele Stationen wird es geben?
Beck: Es wird eine Verpflegungsstation geben und aktuell gehen wir von einer Runde über 1,43 Kilometer aus, die siebenmal absolviert werden muss. Das heißt, die Schwimmerinnen können sich sechsmal verpflegen.
Ist das ausreichend?
Beck: Wenn die Schwimmerinnen alle sechs Stationen bekommen, ist das schon okay. Aber da fliegt auch schon mal ein Becher weg oder man wird weggestoßen. Aber wenn man alle sechs Stationen nehmen kann und auch vernünftig trinkt, also nicht zu hektisch, dann ist das ausreichend. Wir haben ja Weltcups unter ähnlichen klimatischen Bedingungen – in Hongkong, Abu Dabi oder Doha zum Beispiel.
Trotzdem ist es ja nicht ganz ungefährlich, wenn bei diesen Temperaturen ein Schwimmer kollabiert. Es gab auch schon Todesfälle.
Beck: Ja, das ist so. 2010 ist der US-Amerikaner Francis Crippen in den Vereinigten Arabischen Emiraten gestorben. Als man am Schluss durchgezählt hat, fehlte einer. Dann sind die Schwimmer die Strecke nochmal abgeschwommen, weil die Rettung vor Ort nicht unbedingt die Beste war. Und dann haben sie ihn unten an einer Wendetonne liegen sehen.
Gibt es eine Obergrenze für die Wassertemperatur?
Beck: Ja, 32 Grad. Wahrscheinlich werden wir die in Tokio nicht erreichen. Aber es könnte grenzwertig werden.
Ihr Rat als Mediziner an die Schwimmerinnen ist also: Bitte nehmt unbedingt alle Verpflegungsstationen mit.
Beck: Genau. Diesmal ist das sehr wichtig. Man muss auch sehr konzentriert trinken, was nicht immer so einfach ist. Denn das findet ja mitten im Wettkampf statt, und das Ganze geht zwei Stunden.
In welchem Zustand sind die Schwimmerinnen nach einem Rennen unter diesen Bedingungen?
Beck: Platt, komplett platt.
Wie sieht Ihre Aufgabe während des Rennens aus?
Beck: Erst einmal bin ich für die Mannschaft als Mannschaftsarzt da. Das heißt, wenn einer raus kommt, kümmere ich mich um den – neben den lokalen Medizinern vor Ort. Bei diesem Rennen bin ich aber gleichzeitig auch der Verpfleger von Leonie.
Als Verpfleger reicht man den Schwimmerinnen und Schwimmern mit langen Stangen den Becher mit dem Energie-Trink ...
Beck: Ja, das habe ich früher schon häufiger gemacht mit Thomas Lurz, unserem ehemaligen Weltklasse-Schwimmer. Da geht es vor allem um das Timing. In dem Gewusel muss man erst einmal seinen Schwimmer finden. Und dann darf man nicht zu früh mit dem Becher runter gehen, damit kein anderer Schwimmer den Becher wegschlägt, denn dann ist es vorbei.
Was trauen Sie Ihrer Tochter zu?
Beck: An einem guten Tag alles. Im Freiwasser kann immer alles passieren. Im Gegensatz zu den 800 oder 1500 Metern im Becken. Da sind die Rollen relativ klar verteilt. Im Freiwasser ist das ein breites Feld mit zehn bis zwölf sehr guten Schwimmerinnen.
Welche Rolle spielt die Renntaktik?
Beck: Eine große natürlich. Man muss immer den Überblick behalten. Denn wenn ein oder zwei Schwimmerinnen sich absetzen können vom Feld, wird es immer sehr schwer, eine solche Lücke wieder zuzuschwimmen. Und wenn zwei weggeschwommen sind, kämpft die große Gruppe halt nur noch um Platz drei.