Erfolge, Enttäuschungen, Entbehrungen. Einiges hat Leonie Beck schon hinter sich, vieles liegt noch vor ihr. Läuft alles nach Plan, kann sich die Würzburgerin mit einer Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio 2020 endgültig einen Platz unter den besten Freiwasser-Schwimmerinnen der Welt sichern. Dass sie schon jetzt zur erweiterten Spitze gezählt werden darf, hat sie in der vergangenen Saison bewiesen. Mit dem zehnten Platz im Weltcup-Rennen in Abu Dhabi (zehn Kilometer, 2:00:35,9 Stunden) Ende 2018 hat die 21-Jährige die Qualifikation für die Weltmeisterschaft so gut wie in der Tasche. Am Wochenende in Doha gilt es, diese fix zu machen.
„Für mich stehen die Chancen ganz gut“, sagt Leonie Beck, die in Abu Dhabi als zweitbeste Deutsche hinter Finnia Wunram (2:00:28,4) ins Ziel gekommen war. Das ist von Bedeutung, weil sich für die Weltmeisterschaft, die vom 12. bis zum 28. Juli im südkoreanischen Gwangju ausgetragen wird, jeweils die zwei besten Frauen und Männer eines Landes qualifizieren – gemessen an den Ergebnissen von Abu Dhabi und Doha. Bei der WM könnte Leonie Beck mit einem Platz unter den ersten Zehn ihr Olympia-Ticket lösen. Für eine, die im vergangenen Sommer bei der Europameisterschaft im schottischen Glasgow zweimal Silber aus dem See geholt hat (einmal im Einzel, einmal mit der Mannschaft), sollte das kein Problem sein, möchte man meinen.
Doch ist es immer wieder der Kopf, der die begabte junge Schwimmerin ausbremst. "Leonie schwimmt Zeiten, mit denen kommt sie unter die Top Fünf in der Welt. Aber sie muss lernen, mit Drucksituationen umzugehen", sagt ihr Trainer Stefan Lurz vom SV Würzburg 05, der zugleich Bundestrainer für das deutsche Freiwasser-Team ist. Oft hat Leonie Beck bewiesen, dass sie das kann. Doch manchmal macht ihr die Aufregung noch immer einen Strich durch die Rechnung. Dann etwa, wenn sie vor einem Rennen so nervös ist, dass sie sich übergeben und in der Folge mit leerem Magen starten muss. Um das in den Griff zu bekommen, arbeitet die 21-Jährige seit einem halben Jahr mit einer Mental-Trainerin zusammen. Eine gute Entscheidung, wie ihr Coach findet: "Der Druck im Leistungssport ist brutal. Damit muss man erstmal umgehen können."
Neben der psychischen Herausforderung hat es auch die Strecke bei den Weltcups in sich. Ihre Silbermedaille gewann Beck bei der EM, bei der man die Strecke frei wählen darf, über die fünf Kilometer, bei den Olympischen Spielen, bei der WM und deshalb auch in Doha gilt es zehn Kilometer zu absolvieren „Das ist eine komplett andere Herausforderung. Da gibt es Verpflegung und es kommt auf die Taktik an“, erklärt die gebürtige Augsburgerin, die gleich zu Beginn ihrer Karriere im Freiwasser gemerkt hat, welch große Rolle die Erfahrung spielt. „Sie ist das A und O. Man profitiert von jedem Rennen, weiß immer besser, wie man sich verpflegt, wie man um die Boje schwimmt oder wie man den Zielsprint macht.“
Zudem sollte man nicht zart besaitet sein, will man es im Freiwasser zu etwas bringen. Tritte und Rempeleien sind bei den Rennen an der Tagesordnung – vor allem in den hinteren Reihen. „Wenn man da ist, ist es echt nicht schön“, sagt Leonie Beck, der vergangenes Jahr beim Weltcup in China eine Kontrahentin den Ellenbogen auf die Schwimmbrille geschlagen hat, so dass sie kurz anhalten musste. Allerdings kam sie mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davon, konnte das Rennen beenden und sogar Platz zwei erreichen.
Die Härte, die äußeren Bedingungen und die Länge der Strecke (bis zu zehn Kilometer) machen den Schwimmsport im Freiwasser zu einer anderen Art Herausforderung, als der im Becken, wo der längste Wettbewerb eine Strecke von 1800 Metern umfasst. Warum also kehrte Leonie Beck ihrer ursprünglichen Disziplin den Rücken? „Ich habe mich immer für die höchsten Wettkämpfe qualifiziert, für die WM, die EM, Olympia, aber es ist nie gelaufen. Nach Rio habe ich mich gefragt, wie es weitergeht, ob ich aufhören soll“, erklärt Leonie Beck. Bei den Olympischen Spielen 2016scheiterte sie – wohl auch aufgrund eines Virusinfekts – über die 800 Meter Freistil und war mit 20 Sekunden Rückstand auf ihre Bestzeit hinter den Erwartungen – vor allem ihren eigenen – zurückgeblieben.
Die Niederlage beschäftigte sie lange, veränderte sie. Aus einer fröhlichen, aufgeschlossenen jungen Frau wurde zeitweise eine stille, in sich gekehrte Grüblerin. Heute weiß sie, dass ihre Entscheidung fürs Freiwasser die richtige war. Trotz der zähen ersten Rennen: "Ich wusste zunächst nicht, wie ich mich verhalten sollte am Start, an der Boje oder generell." Doch mehr und mehr fuchst sich Leonie Beck in die neue Sportart hinein, holt 2018 nicht nur zweimal Silber in Glasgow, sondern beendet den Weltcup vergangenes Jahr auf Rang vier in der Gesamtwertung.
Und der Weg der Würzburgerin, die gerade ihre Bachelor-Arbeit im Studiengang Medien und Kommunikation schreibt, ist noch nicht zu Ende. Bei der 21-Jährigen trifft großes Talent auf absoluten Trainingsfleiß. "Ich kann viel und hart trainieren. Meine Schmerzgrenze hab ich über die Jahre sehr weit hochgeschraubt", sagt Leonie Beck. Je nachdem, in welcher Trainingsphase sie sich befindet, schwimmt sie zwischen 70 und 100 Kilometer in der Woche und glänzt dabei des Öfteren mit außerordentlich guten Trainingszeiten. Ihr Trainer bestätigt: "So etwas findet man sehr selten.“
Über diejenigen, die sagen, dass nur die Schwimmer ins Freiwasser gehen, die es im Becken nicht geschafft haben, kann Leonie Beck nur lachen: „Die Leute, die das behaupten, unterschätzen die Situation total. Die haben keine Ahnung, wie hart Freiwasser ist.“ Wenn die 21-Jährige ihr Können kontinuierlich in den Wettkämpfen abrufen kann, sollte weder der WM- noch der Olympia-Qualifikation etwas im Weg stehen. Doch letztendlich, das weiß sie und sagt sie oft, "ist alles Kopfsache“.