Als am Samstag gegen 14 Uhr die Drittliga-Fußballer des TSV 1860 München und des FC Würzburger Kickers den Rasen im Stadion an der Grünwalder Straße betraten, gingen im gut 360 Kilometer entfernten Carl-Benz-Stadion in Mannheim 22 Fußballer sowie die Schieds- und Linienrichter kurz vor dem Anpfiff der Begegnung dort rund um den Mittelkreis in die Knie.
Seit US-Footballer Colin Kaepernick von den San Francisco 49ers dies 2016 erstmals beim Abspielen der amerikanischen Nationalhymne vor einem Spiel tat, aus Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt, ist dieser halbe Kniefall zu einem Symbol geworden. Aktuell wurde es dieser Tage wieder nach dem unmenschlichen Tod des Afroamerikaners George Floyd, der starb, weil ihm ein weißer Polizist bei der Festnahme acht Minuten und 46 Sekunden lang sein Knie in den Nacken presste und ihn so umbrachte. Weltweit wird derzeit von Zigtausenden gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert.
In München versammelten sich am Samstagnachmittag 25 000 Menschen am Königsplatz zu einer solchen Demonstration - und zwei im Stadion an der Grünwalder Straße. Eine gute Stunde war gespielt, es war gegen 15.20 Uhr, als der in Kickers-Diensten stehende Deutsch-Italiener Fabio Kaufmann die Kugel zum zweiten Mal im Gehäuse der Sechziger versenkt hatte, eine kurze Jubel-Kurve drehte und dann niederkniete. Und seinen dunkelhäutigen Mitspieler Frank Ronstadt dazu animierte, es ihm gleichzutun. Sie knieten sich gegenüber. Und blickten zu Boden dabei.
Wären zahlende Zuschauer im Stadion gewesen, so wären bestimmt einige ergriffen gewesen, und mancher hätte sicher feuchte Augen bekommen in diesem Moment. Was nicht heißen soll, dass es ein paar der Augenzeugen vor Ort und am Fernseher nicht auch so erging.
"Wir müssen da alle an einem Strang ziehen. Auch wenn wir hier ,nur' in der Dritten Liga sind: Jedes kleine Kind, das das sieht, muss dafür sensibilisiert werden, dass Rassismus in unserer Gesellschaft ein Tabu sein muss", sagte Kaufmann zu seinem imponierenden Anti-Rassismus-Jubel nach dem 2:1-Siegtreffer, der damit auch die so unleidliche Frage beantwortet hat, ob politische Botschaften etwas auf Sportplätzen verloren haben. Der Deutsche Fußball-Bund hatte jüngst kundgetan, Derartiges ausdrücklich nicht zu bestrafen.
Und was bleibt sonst von diesem - zumindest zwischenzeitlich - ziemlich emotionalen Nachmittag? Sportlich, zum Beispiel? "An der Gesamtsituation verändert sich erstmal nix", glaubt Kaufmann, der in dieser Runde nach seinen Treffern beim 6:0-Kantersieg Anfang Februar in Großaspach bereits das zweite Mal zweimal getroffen hat und sich mit nun zehn Toren an Luca Pfeiffer (neun) als treffsicherste Rothose vorbeigeschoben hat.
Die Noten der Roten: Die Kickers-Spieler in der Einzelkritik
Dass sich nichts verändert hat, ist so natürlich nur die halbe Wahrheit, weil die Kickers nach dem Erfolg in Meppen (3:1)und dem Rückschlag gegen Magdeburg (0:1) mit dem Sieg beim direkten Konkurrenten in München selbstverständlich ein Ausrufezeichen in der engen Aufstiegskiste gesetzt haben. Gerade einmal drei Punkte ist ein direkter Zweitligaplatz entfernt, nur ein Pünktchen der Relegationsrang - und mit dem sind sie ja vor vier Jahren schon recht gut gefahren.
"Ganz losgelöst von der Tabelle", meinte Kaufmann, "in der spannenden Zeit nach der Corona-Pause, in der keiner so genau weiß, wo er steht, müssen auch mal dreckige Siege her, und ich glaube, das war heute so ein dreckiger Sieg." Wobei er dabei untertreibt, weil der Satz ein wenig suggeriert, die Kickers hätten sich den Erfolg irgendwie erschlichen. Das taten sie beileibe nicht - sondern verdienten sich ihren 14. Saisonerfolg mit einem vor allem in der zweiten Hälfte sehr erwachsenen Auftritt.
Auch wenn Trainer Michael Schiele direkt nach der Partie "nicht ganz so zufrieden war, weil wir einige Kleinigkeiten doch nicht so umgesetzt haben wie geplant" - "Jammern auf hohem Niveau", sagte er dazu -, relativierte er dies nach dem Videostudium der Partie am Sonntag dann auch für sich wieder etwas: "Wie wir vor allem in der zweiten Halbzeit gespielt haben . . . mit Disziplin, Organisation . . . das war schon sehr gut."
Nächster Kickers-Serienmord vor den Augen von Felix Magath
Und mit einem eher untypischen, defensiveren Ansatz. Schiele wechselte sein Personal gleich auf fünf Positionen - obwohl nach der Verletzung von Torwart Vincent Müller und der Gelbsperre von Albion Vrenezi nur zwei vakant waren. Der Belastung durch die nun permanenten Englischen Wochen war das Durchwürfeln geschuldet. Die Erkenntnis: Schiele kann sich auf sein gesamtes Personal ziemlich gut verlassen.
Vor den Augen des in München wohnhaften Felix Magath, Chef der neuen Fußballabteilung von Kickers-Anteilseigner Flyeralarm, der nach Schlusspfiff fluchtartig das Stadion verließ und deshalb nicht ansprechbar war, demonstrierten die Rothosen, dass sie ein sehr ernsthafter Aufstiegsanwärter geworden sind. Und inzwischen auch zum leidenschaftlichen Serienmörder: Am Samstag besiegten sie die 16 Spiele lang ungeschlagenen Löwen, im Februar hatten sie den 13 Mal unbezwungenen Zweitligaabsteiger FC Ingolstadt in die Schranken gewiesen und im vergangenen September die Erfolgsgeschichte von Aufsteiger Mannheim zerstört, der zu Hause in 29 Spielen nicht verloren hatte.
Betrachtet man die zwei jüngsten Auswärtsauftritte der Würzburger und dann das Restprogramm, könnten Anhänger der Rothosen durchaus versucht sein zu glauben: Die Aussichten sind beinahe schon zum Niederknien.
Ich stelle mir gerade vor, ich bin bei meinem Hausarzt und plötzlich fällt er auf die Knie - oder die Kassiererin bei Aldi krabbelt hinter ihrer Box hervor - oder der Lkw- Fahrer steigt mal kurz aus... usw., usf.
In seiner Freizeit darf jede/r gerne machen was er möchte, aber effektheischende Aktivitäten und Berufsausübung (auch im Zweit- oder Dritt- Job) gehören nicht zusammen!
Wäre ich nicht Schweinfurter, könnte ich bei dieser Szene, Kickers Fan werden. (Ironie)
Die Glut, gegen Rassismus darf nicht erlöschen! (ohne Ironie)