Trotz des anhaltenden Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine hat der Weltfechtverband FIE im März entschieden, dass russische und belarussische Fechterinnen und Fechter ab Anfang Mai wieder zu internationalen Wettkämpfen zugelassen sind. Damit folgte die FIE einer Empfehlung des IOC zum Start der Qualifikationswettbewerbe für die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
Die Würzburger Florett-Europameisterin Leonie Ebert hatte die Entscheidung damals als "bedauerlich, aber nicht überraschend" kritisiert, auch, weil die FIE bis Kriegsbeginn vom russischen Oligarchen Alisher Usmanov geleitet worden war und dieser im Hintergrund weiter die Fäden zieht.
In Folge des FIE-Beschlusses gab der Deutsche Fechter-Bund (DFeB) den Weltcup in Tauberbischofsheim, der Anfang Mai hätte stattfinden sollen und der erste Wettkampf der Olympia-Qualifikation gewesen wäre, an die FIE zurück. Der DFeB begründete die Rückgabe mit vielen offenen Fragen, unter anderem zur Visa-Vergabe an russische und belarussische Athletinnen und Athleten. Stattdessen fand der Weltcup im bulgarischen Plovdiv statt, wo Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus einreisen dürfen.
Trotzdem traten diese nicht an. Auch nicht beim Florett-Grand-Prix in Shanghai am vergangenen Wochenende, den die frühere Tauberbischofsheimerin Anne Sauer (heute DFV Düsseldorf) gewann und bei dem Ebert Platz zehn belegte.
Warum nicht? Fragen und Antworten zu einer komplexen Situation und viel Chaos.
Warum waren die russischen und belarussischen Fechterinnen und Fechter bei den Wettkämpfen in Plovdiv und Shanghai trotz Rückkehr-Erlaubnis nicht am Start?
Die FIE hat zwar grundsätzlich entschieden, dass die Fechterinnen und Fechter aus Russland und Belarus bei internationalen Wettkämpfen wieder antreten dürfen – allerdings nur unter gewissen Bedingungen. So bleiben Angehörige des Militärs ausgeschlossen. Darüber hinaus verlangt das IOC von den Athletinnen und Athleten strikte Neutralität sowie den Nachweis, den Krieg nicht aktiv zu unterstützen. Weil Top-Fechterinnen und -Fechter aus den beiden Ländern diese Bedingungen nicht erfüllten, durften sie bei den Turnieren in Plovdiv und Shanghai nicht starten.
Stanislaw Posdnjakowa, der Chef des russischen National Olympische Komitees (NOK), nannte die Bedingungen eine Farce. "Unsere Fechter werden nur teilnehmen, wenn gleiche Bedingungen mit den Sportlern anderer Länder herrschen, ohne ausgedachte oder illegale Parameter und andere künstliche Hindernisse", wurde Posdnjakowa von der Deutschen Presse-Agentur zitiert.
Eine Frage, die alle Athletinnen und Athleten beschäftigt, weil aktuell noch nicht klar ist, ob oder wann die Athletinnen und Athletin aus Russland und Belarus wieder starten. So steht im Raum, dass die Olympia-Qualifikation im Falle ihrer Rückkehr neu begonnen wird oder die Ergebnisse der ersten beiden Wettbewerbe in Plovdiv und Shanghai annulliert werden.
Diese Ungewissheit kritisiert Lea Krüger, Mitglied des Präsidiums beim Verband Athleten Deutschland und selbst Säbel-Fechterin, im Gespräch mit dieser Redaktion: "Wir hangeln uns von Wochenende zu Wochenende, müssen oft spontan reagieren und sind alle davon genervt. Der Fokus auf den Sport geht verloren", erklärt Krüger.
Im Florettfechten der Frauen, wo auch Ebert und Sauer auf die Qualifikation zu den Spielen in Paris hoffen, sind vor allem zwei Athletinnen aus Russland relevant: Die Olympia-Zweite Inna Deriglasowa und die -Dritte Larissa Korobeinikowa können sich bisher nicht für Olympia qualifizieren.
Welche Auswirkungen hat das auf die laufende Saison von Leonie Ebert und Co.?
Bei den Fechtwettbewerben in Paris 2024 gibt es für Sportlerinnen und Sportler je nach Disziplin nur eine bestimmte Anzahl an Startplätzen, damit alle Kontinente repräsentiert sind. Fehlen die russischen und belarussischen Fechterinnen und Fechter, dürfte das für Ebert und Co. ein Vorteil sein.
Kurios wird es aber, wenn es um die Entscheidungen zur aktuellen Europameisterschaft geht. Diese sollte eigentlich im Rahmen der European Games Ende Juni in Polen stattfinden. Weil Polen aber keine Visa für Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus vergeben wird, zählt nur der Teamwettbewerb für die Olympia-Qualifikation, bei dem das russische Team gemäß IOC-Vorgaben sowieso ausgeschlossen ist.
Wer im Einzel Olympia-Qualifikationspunkte erwerben will, muss laut Krüger bei einer zweiten Europameisterschaft antreten, die zusätzlich "in den ohnehin schon engen Wettkampfkalender gequetscht" werden soll.
Was sagen Athleten Deutschland und der Deutsche Fechter-Bund zur Situation?
Krüger betonte erneut, dass sie die Wiederzulassung nicht unterstützt, ergänzt aber: "Jeder Ausschluss muss mit Vorsicht passieren, denn auch die Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus haben Träume." Besonders ärgert es sie, dass das IOC die Verantwortung wieder an die Fachverbände abgeschoben habe. Die FIE habe keinen Plan, wie die Vorgaben des IOC umgesetzt werden sollen. Außerdem kritisiert Krüger, dass sämtliche Vorgänge fernab der Öffentlichkeit stattfinden.
Eine Anfrage dieser Redaktion mit der Bitte um Aufklärung an den Deutschen Fechter-Bund blieb bis Mittwochnachmittag unbeantwortet.
War die Absage des Weltcups in Tauberbischofsheim im Nachhinein nötig und welche Folgen hatte sie für den Verein?
"Es ist immer schade, wenn ein Heim-Weltcup ausfällt, besonders weil er zum Start der Olympia-Qualifikation sicher Rückenwind gegeben hätte", sagt Krüger. Die allermeisten im Fechterinnen und Fechter hätten die Absage aber unterstützt, weil sie auch ein Ausdruck des Protests gewesen sei. Auch Klaus-Dieter Rupp, Präsident des ausrichtenden FC Tauberbischofsheim, zeigt sich weiter solidarisch mit den ukrainischen Sportlerinnen und Sportlern und möchte auch weiterhin keine Fechterinnen und Fechter aus Russland und Belarus in Tauberbischofsheim sehen.
Trotzdem hätte Rupp den Weltcup nicht zurückgegeben, sondern gewartet, bis die FIE dem DFeB das Event entzogen hätte. Denn nun fehle dem Verein ein mittlerer fünfstelliger Betrag durch Sponsorengelder, die an den Weltcup gebunden sind, und sonstigen Einnahmen bei der zweitägigen Veranstaltung.