In Würzburg seit Dienstag 13 Fälle, in Berlin seit Donnerstag elf: Die als hochansteckend geltende Omikron-Variante des Coronavirus, fällt gerade nicht nur über die Welt her, sondern damit natürlich offenbar auch über die Basketball-Bundesliga. Erstaunlich, dass es bis Freitag noch keinen positiven Fall in Bayreuth gab: Die Oberfranken waren am Sonntag bei s.Oliver Würzburg zu Gast. Beide Mannschaften wollten aufgrund der unsicheren Situation mit Symptomen zeigenden Beteiligten sowie zwar positiven Schnell-, aber negativen PCR-Tests (die als genauer gelten) nicht spielen. Die Liga zwang sie dennoch dazu. Eine aktuelle Bestandsaufnahme mit Raoul Korner, dem Cheftrainer von medi Bayreuth, der bei seiner Einschätzung der Lage kein Blatt vor dem Mund nimmt. Wir baten den 47-jährigen gebürtigen Wiener, der auch Nationaltrainer seines Heimatlandes sowie studierter Jurist ist, am Telefon um seine Sicht auf die Dinge in dieser Woche. Seine Antworten:
Brot und Spiele. Korner hatte bereits am Sonntag beim live übertragenden Internetportal die Situation mit seinem schönen Vergleich auf den Punkt gebracht: Er sagte, mehr oder weniger wörtlich: The Show must go on. Die Gladiatoren werden in den Ring geworfen. Und er sprach von einem sehr mulmigen Gefühl bei allen Beteiligten. Woher das rührte:
"Ich wurde bereits am Vorabend, also am Samstag, darüber informiert, dass das Spiel unter Beobachtung stand und dass es wohl einen positiven Schnelltest gibt und einige Würzburger Spieler Symptome zeigen. Und da bin ich eigentlich davon ausgegangen: Das Ganze klingt stark nach einer Spielverschiebung. Am Sonntag hieß es dann: Alle PCR-Tests sind negativ. Aber es gab bereits sehr früh Hinweise darauf, dass mit denen möglicherweise etwas nicht stimmen könnte, weil wir von Würzburger Seite auch gehört haben, dass es Zweifel an der Korrektheit des Abstrichs gab. Uns wurde gesagt, dass einige Würzburger meinten, sie seien in der Vergangenheit schon intensiver, also tiefer abgestrichen worden, und nicht nur im vorderen Nasenbereich, um es mal vorsichtig auszudrücken. Unser mulmiges Gefühl speiste sich letztlich aus der Zusammenwirkung aller Faktoren und Informationen, die wir hatten. Und als dann auch noch Akteure mit Symptomen in der Halle und am Werk waren, da schwante uns natürlich nichts Gutes."
Die Liga zwang unter Hinweis auf ihre Statuten und die negativen PCR-Tests beide Vereine dazu, anzutreten und lehnte den Antrag auf Spielverlegung ab.
"Natürlich gibt es die Prämisse, den Spielplan einzuhalten. Das verstehe ich auch. Aber wenn man in so eine unübersichtliche Situation kommt, die so viele Fragen aufwirft . . . Dass die Liga da nicht auf Nummer sicher gegangen ist, zum Wohle der Gesundheit aller Beteiligten, das konnte ich schon am Sonntag nicht nachvollziehen, und das kann ich auch heute noch nicht. Es geht ja nicht nur um die Spieler und die Trainer, es geht auch um die Menschen am Anschreibetisch, um die Schiedsrichter, um freiwillige Helfer in der Halle. Es darf jetzt auch nicht darum gehen, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben."
In ihrer absatzweise rätselhaften Stellungnahme "zum Infektionsgeschehen in Würzburg" hat die Bundesliga explizit betont, den Würzburger Klub auch schriftlich darauf hingewiesen zu haben, "dass aus medizinischer Sicht eine Teilnahme symptomatischer bzw. erkrankter Spieler am Spielbetrieb eine grundlegende Gefährdung aller Beteiligter, aber insbesondere des symptomatischen Akteurs, darstellt und daher untersagt ist". Schönes Beispiel von: So schiebe ich den Schwarzen Peter weiter und flüchte aus meiner Verantwortung.
"Ich fand dieses Statement der Liga auch extrem schwach. Sich ausschließlich auf die Regelkonformität zu berufen, halte ich in so einer Situation für sehr sehr schwierig. Damit spricht man sich zwar von Schuld frei, wälzt die Verantwortung aber gleichzeitig ab. Und Sie können mir glauben: Als Trainer kennt man den Unterschied zwischen Verantwortung und Schuld sehr sehr gut. Sportlich sind wir Trainer immer für alles verantwortlich, auch wenn uns manchmal keine Schuld trifft. Fragen Sie mal bei Denis Wucherer nach, der musste das kürzlich am eigenen Leib erfahren. Das ist unser täglich Brot. Die Liga hat sich zwar nichts zuschulden kommen lassen, aber sie ist ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden, im Einzelfall von dem strikten Regelwerk abzugehen und zum Wohle der Gesundheit aller Beteiligten zu entscheiden."
Bislang, Stand Freitagmittag, gab es noch keinen positiven Fall in Bayreuth. Wenn dann auch noch in Hamburg, wo Berlin inzwischen gespielt hat, es zu keinen Corona-Fällen kommen sollte, könnte die Liga freilich auch sagen: Siehste, da hätte eine Spielverlegung am Sonntag auch nicht viel geholfen oder verändert.
"Stimmt. Nur: So eine Argumentation ist meiner Meinung nach nicht zulässig. Weil man eine Entscheidung nicht vom Ergebnis her beurteilen darf. Ich kann auch nicht das Studiengeld meiner Kinder nehmen, ins Casino tragen, alles auf Rot setzen, das Geld mit Glück verdoppeln und dann sagen: Ja, was soll's, war doch richtig. So funktioniert das nicht. Ich muss Chancen und Risiken abwägen. Und dieses Chancen-Risiko-Verhältnis sprach am Sonntag bestimmt nicht für eine Austragung des Spiels. Dennoch: Man muss eine solche Situation natürlich auch immer von beiden Seiten beleuchten. Ich verstehe auch die Liga, die sagt: Wir dürfen die aktuelle Corona-Situation jetzt nicht als einfachen Vorwand dafür missbrauchen lassen, dass Teams, die Verletzungssorgen oder sonstige personelle Probleme haben, diese Situation ausnutzen. Auch das soll schon vorgekommen sein in den letzten Wochen, hat aber in unseren Vorbehalten absolut keine Rolle gespielt."
Das Regelwerk ist infolge der Dynamik dieser Pandemie veraltet. Als diese Statuten von allen Bundesligavereinen vor einem halben, dreiviertel Jahr unterschrieben wurden, war Omikron nicht mehr als einer von 24 Buchstaben im griechischen Alphabet.
"Meine Kritik ist ja nicht, dass es diese Regeln gibt. Meine Kritik ist auch nicht, dass die Liga diese vor sechs Monaten beschlossen hat, als von Omikron noch nicht die Rede war. Meine Kritik besteht darin, dass sie nicht die Flexibilität bewiesen hat, in einer derart dynamischen Zeit, und einer so unübersichtlichen Situation wie am Sonntag, einmal vom Standard abzuweichen und das Wohl aller Beteiligten in den Vordergrund zu rücken und über das Regelwerk zu stellen."