Es gehört zum guten Ton in der Basketball-Bundesliga und ist unumstößliches Ritual zu Beginn der Analyse des Gesehenen vor Journalisten, dass der Trainer der unterlegenen Mannschaft dem siegreichen Kollegen zum Erfolg auch öffentlich gratuliert. Dass der Gewinner den Verlierer beglückwünscht, hat großen Seltenheitswert. Aber ist genau so geschehen am späteren Freitagabend nach dem 92:88 (42:55, 84:84)-Erfolg nach Verlängerung von Würzburgs Elitebasketballern gegen die Merlins aus Crailsheim in dem unwirtlichen Kabuff der s.Oliver Arena, wo die Coaches nach einer Begegnung ihre Sicht auf die Dinge erklären.
Denis Wucherer gratulierte seinem aus Finnland stammenden Kollegen Tuomas Iisalo - wie der Baskets-Trainer ein ehemaliger Nationalspieler mit EM-Erfahrung - gleich doppelt: "Erstens zu diesem wunderbaren Deutsch, das Du in so kurzer Zeit gelernt hast. Da können sich andere Coaches eine dicke Scheibe von abschneiden." Und zum anderen zu "dieser wunderbaren ersten Halbzeit, die ihr gespielt habt. Wenn ich nicht Coach des Gegners gewesen wäre, hätte ich das sehr genossen."
Da Wucherer aber eben als hauptverantwortlicher Trainer auf der Baskets-Gehaltsliste steht, hatte er sich mächtig geärgert. Und war stinksauer, vor allem auf seine erste Fünf. Skyler Bowlin, Cameron Wells, Junior Etou, Victor Rudd und Luke Fischer müssten unten beim Duschen eigentlich kurz vor einem Tinnitus gestanden haben, so kräftig, wie ihre Ohren geklingelt haben müssen. Auch als eine "Frage der Einstellung der Starting Five" umschrieb Wucherer die desaströse Anfangsphase der Partie. "Die erste Fünf hat nicht funktioniert. Keiner. So wie heute geht das nicht", sagte der 46-Jährige und ließ schon durchblicken, dass nächsten Freitag in Vechta (27. Dezember, 19 Uhr) die Anfangsformation anders aussehen wird. Weil: "Dort müssen wir natürlich viel, viel besser ins Spiel kommen."
Bereits zweieinhalb Minuten nach dem Sprungball sah sich Wucherer zur ersten Auszeit genötigt. Da stand's 0:10. 44 Sekunden später schon 0:14. Die ersten fünf Angriffe der Würzburger blieben allesamt ohne Korberfolg, und als nach nicht einmal fünfeinhalb Minuten der einstige Würzburger Maurice Stuckey seinen zweiten Dreier am Stück versenkt hatte, nahm Wucherer bei 20 Punkten Rückstand (5:25) schon die zweite Auszeit.
Dass am Ende für die Baskets Weihnachten zumindest sportlich-stimmungsmäßig nicht versaut ist, lag an einer enormen Leistungssteigerung nach der Pause, als ihnen im dritten Viertel (26:15) eine nicht mehr wirklich zu erwartende Aufholjagd gelang. "Da waren Einstellung und Defensive dann so, wie's sein muss, wenn du so vorgeführt worden bist", meinte Wucherer. Das am Ende von den Baskets mit 50:28 gewonnene Rebound-Duell sahen beide Trainer natürlich als mitspielentscheidend an.
Und dass die Würzburger nun also nach der vierten ganz haarigen Partie dieser Runde (in den drei zuvor gegen Frankfurt und Ludwigsburg sowie in Bamberg hatten sie nur zu Hause gegen die Schwaben den Kürzeren gezogen) feiern durften, hatte einmal mehr unglaublich viel mit ihrem Kapitän zu tun: Cameron Wells war mit 25 Punkten - so viele warf er noch nicht in dieser Saison - mal wieder Würzburgs Treffsicherster (und kommt nun auf 17,1 Zähler pro Spiel im Schnitt). Wucherer gönnte ihm in den 45 Minuten am Freitag gerade einmal sechs Minuten und 22 Sekunden zum Verschnaufen auf der Bank.
Der 31-jährige Texaner, ganz offensichtlich in der Form seines Lebens, wandelte am Freitag auf einem ganz schmalen Grat: Wer so oft in wichtigen Phasen und Situationen die Verantwortung übernimmt wie Wells, kann auch ganz schnell zum Deppen werden. 20,6 Sekunden vor Ultimo schien er dies auch zu sein, als er beim Stand von 82:83 den siegbringenden Angriff initiieren wollte, sich am genauso quirlig wie giftig verteidigenden DeWayne Russell beim Ballvortrag aber die Zähne ausbiss - und aus Versehen in die eigene Hälfte zurückdribbelte. Ballbesitz Crailsheim. Exakt 19 Sekunden später erzwang Wells mit einem nahezu artistischen Korbleger zum 84:84 die Verlängerung. Also doch wieder Held statt Depp, sozusagen!
Ein Sonderlob von Wucherer bekam diesmal aber nicht sein Spielmacher, sondern Victor Rudd, den er nicht nur 35 Minuten aufs Parkett geschickt hatte, sondern auch "besonders hervorheben" mochte. Nicht nur wegen seiner sieben Rebounds und acht Assists, vor allem wegen seiner "großen Präsenz in der Defensive". Der nächste Schritt sei nun, dass der 28-jährige Euroleague-erfahrene Amerikaner, der seinen nach seiner Nachverpflichtung offensichtlichen konditionellen Rückstand inzwischen aufgearbeitet hat, auch in der Offensive effektiver wird und auch zweistellig trifft. Erste Gelegenheit dazu hat er nächsten Freitag in Vechta, wohin die Baskets am Mittag des zweiten Weihnachtsfeiertags aufbrechen werden.