
Neulich, am Freitagabend, im Presseraum der Turnhalle im Süden der Stadt vor dem Heimspiel von Basketball-Bundesligist Würzburg Baskets gegen Vechta, das sich Bundestrainer Gordon Herbert angeschaut hat: Der Kanadier, der die Nationalmannschaft im Sommer mit dem WM-Titelgewinn zum größten Erfolg der Verbandsgeschichte geführt hatte, kam auf Vermittlung des ehemaligen X-Rays-Managers Wolfgang Malisch zurück an den Ort, wo seine Trainerkarriere in Deutschland vor 23 Jahren begann. Ein Gespräch über eine außergewöhnliche Mannschaft, den Vor-WM-Zoff zwischen Dennis Schröder und Maximilian Kleber und einen möglichen Basketball-Boom in Deutschland.
Gordon Herbert (lacht): Natürlich erkenne ich ihn wieder, aber nein, verändert hat sich hier tatsächlich nichts.
Herbert: Nicht wirklich. Es hat langsam angefangen, als ich jetzt zurück nach Deutschland gekommen bin. Aber wirklich verstanden habe ich noch nicht, was wir da erreicht haben. Das kommt schon noch. Hoffentlich, bevor sie mich beerdigen (er lacht).
Herbert (grinst): Na ja, ich habe einen Stuhl gesucht. Aber da war keiner. Also habe ich mich auf den Boden gesetzt. Da ist natürlich sehr viel abgefallen, und ich habe versucht, mich etwas zu sammeln und zu verstehen, was da gerade passiert ist. Das ganze Turnier ging ja bumm, bumm, bumm. Ein Spiel jagte das andere. Und plötzlich war das alles vorbei. Das muss man erst einmal kapieren.

Herbert (grinst): Ja, aber das Bier war nicht besonders gut. Deutsches Bier ist viel besser.
Herbert: Nun, ich denke, es hat niemand erwartet, auch nicht der Verband, dass wir das Turnier gewinnen würden. Als wir zurückgekommen sind, waren wir am Vormittag eineinhalb Stunden in Frankfurt, und da waren viele Leute, die uns empfangen und gefeiert haben. Die Antwort ist schwierig. Ich kann mich nicht auf den Handball beziehen, aber ich verstehe, was Sie meinen. Ich denke, die Menschen haben gemerkt, dass wir wirklich eine Mannschaft waren. Wir haben zusammen gespielt, zusammen gekämpft und uns umeinander gekümmert. Wissen Sie, Fußball ist so stark hier in diesem Land . . .

Herbert: Es wird interessant sein zu beobachten, wohin sich die Bundesliga in ein, zwei, drei Jahren entwickelt. Der Basketball in Deutschland ist in Europa die Nummer eins in der Infrastruktur. Vielleicht nicht die Nummer eins, was die Qualität der Liga oder der Spieler angeht, aber was hinter der Liga und den Vereinen steht, die ganze Organisation, das ist absolut top. Ich denke, die Liga ist gewachsen, und jetzt hat sie die große Chance, den nächsten Schritt zu gehen. Mehr Kinder gehen in die Vereine, es spielen mehr Menschen Basketball in Deutschland als jemals zuvor. Das ist eine Chance, um etwas aufzubauen.

Herbert: Vielleicht, das wird man sehen. Aber das Wichtige ist ja auch, dass der Basketball verstärkt ins Fernsehen kommt, um den Sport und die Mannschaft in die Öffentlichkeit zu bringen. Und vielleicht helfen ja auch unsere Spiele in Deutschland vor den Olympischen Spielen im nächsten Jahr, den Boom etwas anzuheizen.
Herbert: Ja, wir haben auch noch andere Auszeichnungen als den Bambi bekommen, und ich bin demnächst bei Markus Lanz eingeladen zum Jahresrückblick im ZDF. Öffentlichkeit ist schon wichtig. Ja, wir sind Weltmeister geworden, das ist nett. Aber für mich war noch viel entscheidender als dieses Ziel zu erreichen, wie wir das erreicht haben. Und wie die Spieler sich verhalten haben. Wie wir als Mannschaft aufgetreten sind, und wie wir das Land repräsentiert haben.

Herbert: Ganz grundsätzlich: Konflikte können auch helfen, um näher zusammenzurücken. Beispiel: das WM-Spiel gegen Slowenien. Was ist da im ersten Viertel passiert? Das war ein ganz entscheidender Moment für uns . . .
Zur Erklärung: In einer Auszeit sind Herbert und Schröder heftig aneinandergeraten. "Setz Dich hin!", schrie Herbert in Richtung Schröder und packte diesen anschließend auch am Arm. Schröder blieb stehen und konterte so: "Rede nicht so mit mir." Herbert ließ den Spielführer nach der hitzigen Auszeit zunächst auf der Bank. Auf die Frage damals, wie er den Konflikt mit Schröder geregelt habe, antwortete Herbert: "Ich habe ihn ausgewechselt." Heute sagt er dazu: "Das war das einzige Mal in zwei Jahren, dass ich laut wurde. Ich schreie nie rum, nicht mal im Training."
Herbert: . . . wir lagen mit zwölf oder 14 Punkten zurück. Wenn wir kein gutes Team gewesen wären, hätten wir das Spiel mit 20 oder 30 verloren. Wir haben mit 29 Punkten Vorsprung gewonnen. Das war ein absoluter Wendepunkt für die gesamte Mannschaft. Das hat bewiesen, wie stark wir als Team schon waren. Und es machte uns noch stärker. Was diese Mannschaft für mich so außergewöhnlich macht: Die Spieler sorgen füreinander, passen aufeinander auf. Und zweitens: Wir haben hohe Standards, und darum kümmern sich auch die Spieler untereinander. Sie erinnern sich gegenseitig daran, das muss nicht immer nur ich sein. Das regelt das Team auch untereinander. Das ist enorm wichtig.
Herbert: Schauen Sie: Als ich den Job als Bundestrainer übernommen habe, ging es um zwei Sachen. Erstens eine Vision: eine Medaille zu gewinnen. Haben Sie mir geglaubt, dass wir das bei der Heim-Europameisterschaft 2022 dann gleich schaffen? Bestimmt nicht! Aber wir haben Bronze gewonnen. Die Menschen hatten ja nicht wirklich verstanden, dass ich unser Medaillenziel ja nicht für die Öffentlichkeit ausgerufen habe. Ich habe eigentlich zu meinen Spielern gesprochen. Ich wollte, dass die Spieler sich damit identifizieren. Es ging nicht darum, wo wir standen, sondern wohin wir gehen wollten. Und das Zweite war: Ich wollte eine Drei-Jahres-Übereinkunft, dass jeder dabei ist und mitzieht. Und nicht im Sommer eine Pause macht, weil EM, WM und Olympia anstanden beziehungsweise Paris eben noch ansteht. Als Nationalmannschaft hast du immer nur eine kurze Zeit gemeinsam, da kannst du nicht jeden Sommer ein neues Team zusammenstellen. Da braucht man eine feste Gruppe und einen Korpsgeist. Und diese Spieler haben sich für drei Jahre dazu verpflichtet.
Herbert: Das stimmt. Er konnte nicht kommen. Was in diesem Sommer passiert ist, war natürlich unglücklich. Aber es war halt so.
Herbert: Ich glaube nicht, dass Maxi zurückkommen will. Er ist nicht der Typ, der das Team negativ beeinflussen oder ablenken will. Das würde ihn auch in eine schwierige Situation bringen, und er will die Mannschaft bestimmt nicht aus dem Gleichgewicht bringen. So ist er als Typ nicht.

Herbert (er lacht): Diese Olympischen Spiele mit wahrscheinlich Nikola Jokic für Serbien, LeBron James und Stephen Curry für die Vereinigten Staaten, Victor Wembanyama für Frankreich – das hätte das Potenzial dafür, dass der Basketball das Spektakel der gesamten Spiele wird. Und es wäre eine große Nummer für den Basketball auf der ganzen Welt. Aber wir müssen die Vorrunde in Lille spielen, dürfen nicht in Paris spielen, sondern fast schon in Belgien (er lacht). Es wäre für uns auch schöner im Olympischen Dorf zu sein und nicht in einem Hotel in Lille. Ich habe 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles gespielt, da waren wir im Olympischen Dorf. Das war eine ganz großartige Erfahrung, andere Sportler und Topstars aus der ganzen Welt zu treffen, ihre Wettkämpfe zu sehen und sich mit ihnen unterhalten zu können.
Herbert: Darüber habe ich mit den Spielern noch nicht gesprochen. Für mich ist klar: Wir müssen darüber reden, was wir erreichen wollen. Aber das tue ich nicht vor Januar. Weil ich den Spielern und dem ganzen Stuff ermöglichen will, zu genießen und zu reflektieren, was wir bei der WM erreicht haben. Für mich war das ein Lebensmoment, ein ganz besonderer Augenblick. Sie sollen nicht gleich wieder den Druck spüren. Das gehen wir 2024 an. Sehen Sie, mein Motto ist: Der Druck darf das Vergnügen der Reise nicht überlagern. Das hatten wir jetzt für zwei Jahre. Und das wollen wir auch im dritten Jahr.
Herbert: Ohh . . . Ich würde bestimmt nicht heute hier sitzen, wenn Wolfgang (Anmerk. d. Red.: Malisch) mir damals, 2000, nicht die Möglichkeit gegeben hätte, in der Bundesliga zu coachen, und dafür bin ich sehr dankbar. Es war meine erste Zeit in Deutschland, ich war ein junger Trainer. Und darum geht's manchmal in diesem Job eben auch: Wo bekommt man die Gelegenheit anzufangen.