
So gelöst, so befreit hatte man Gordon Herbert zuvor noch nicht gesehen. Wenige Momente nach dem größten Erfolgs des deutschen Basketballs herzte der 64-Jährige seinen Anführer und Kapitän Dennis Schröder, lachte über das ganze Gesicht, war kaum zu bändigen in seinen Emotionen. Mit 83:77 (47:47) hatte die deutsche Nationalmannschaft in einem denkwürdigen Finale Serbien besiegt und damit Deutschland zum ersten Weltmeister-Titel im Basketball geführt.
Der Kanadier, sonst stets die Ruhe selbst und kaum aus der Reserve zu locken, ist der Vater dieses wohl nur von größten Optimisten für möglich gehaltenen Erfolgs. Wie groß die Anspannung bei Herbert aber tatsächlich war, zeigte sich ein paar Minuten später, als er völlig fertig in den Katakomben der riesigen "Mall of Asia Arena" in Manila an die Wand gelehnt kauerte, die Hände vors Gesicht schlug und schwer nach Atem rang. In diesem Moment schien ihm klar zu werden, welch unfassbare Leistung seine Mannschaft in den vergangenen gut zwei Wochen bei den Titelkämpfen in Japan und auf den Philippinen erbracht hatte.
Herbert startete Trainer-Karriere in Deutschland in Würzburg
Seine Trainer-Karriere in Deutschland startete Herbert in Würzburg. Vor mehr als 20 Jahren trainierte er in der Saison 2000/01 den damaligen Bundesligist DJK s.Oliver und führte die "X-Rays" damals sensationell auf Platz fünf nach der Hauptrunde. "Der damalige Manager Wolfgang Malisch hat mir die Chance gegeben, in Würzburg zu coachen. Diese Stadt war und ist ein großartiger Basketball-Standort, und ich bin heute noch sehr dankbar für das, was Würzburg mir als Trainer ermöglicht hat", sagte Herbert am Tag seiner Ernennung zum Bundestrainer im Gespräch mit dieser Zeitung.
In einem früheren Interview hatte er die Zeit in der Domstadt als "positiven Wendepunkt meiner Trainer-Karriere" bezeichnet. Würzburg lehrte Herbert auch, in kritischen Situationen Haltung zu bewahren und nicht vor vermeintlich großen Namen zu kuschen. Als damals Dirk-Nowitzki-Mentor und X-Rays-Individualcoach Holger Geschwindner trotz der sportlichen Erfolge des Klubs live im Deutschen Sportfernsehen (DSF) drohte, die Eigengewächse mangels Einsatzzeit abzuziehen und bestehende Verträge ihm "wurscht" seien, konterte Herbert kühl: "Kritik zu äußern ist sein gutes Recht. Es ist eine Frage des Stils, dies zu tun."
Tür für Maximilian Kleber war offen
Smart im Ton, hart in der Sache. Auch in diesem Sommer meisterte Herbert eine ähnliche Situation, als er die respektlosen Äußerungen Schröders gegenüber Würzburgs NBA-Profi Maxi Kleber ("Er hat kein game") handhaben musste. Man darf getrost davon ausgehen, dass Herbert intern deutliche Worte in Richtung seines Alphatiers im Team gefunden haben dürfte. Herbert hatte in der Vergangenheit immer seine Wertschätzung für Kleber geäußert, seine sportlichen und menschlichen Qualitäten betont. Nach außen moderierte Herbert den Disput nach einem persönlichen Gespräch mit Schröder und Kleber diplomatisch weg.
"Ich habe ihm die Tür für eine Rückkehr offen gelassen. Aber Maxi hat entschieden, dass er nicht zurückkommen will. Das respektiere und verstehe ich", sagte der Coach. Dass er Schröder in einer Auszeit des Zwischenrunden-Spiels gegen Slowenien nach einem Disput aufforderte, den Mund zu halten und Platz zu nehmen und nach dessen Weigerung ihn anschließend für einige Minuten auf die Ersatzbank beorderte, zeigte, dass Herbert trotz aller Allüren Schröders der Chef im Ring war.
Gordon Herbert lässt die Kritiker verstummen
Diese, angesichts des Turnierverlaufs nur als Randnotiz in den Annalen eingehende Anekdote, steht stellvertretend für die Tugenden, die Herbert seine ganze Trainerkarriere verkörpert: prinzipientreu, geradlinig, verlässlich, authentisch, nie die Bodenhaftung verlierend. Der in Pentiction in British Columbia geborenen Kanadier, der seit 1985 mit der Finnen Sari verheiratet ist und auch die finnische Staatsbürgerschaft besitzt, hatte nach seinem Jahr in Würzburg seine erfolgreichste Zeit in Frankfurt, wo er insgesamt zehn Jahre tätig war. 2004 führte er die Skyliners zur deutschen Meisterschaft und 2016 zum Gewinn des Fiba EuropeCup-Wettbewerbs.
Gastspiele in Griechenland oder auch bei Alba Berlin gestalten sich nicht wie erhofft, 2020/21 coachte er des russischen Klub Awtodor Saratow und musste sich wegen anhaltender Rückenprobleme mehrerer Operationen unterziehen. Herbert schien auf der Zielgerade – und rückte im Sommer 2021 schlagartig wieder ins Rampenlicht. Überraschend zauberte der Deutsche Basketball-Bund Herbert als Nachfolger von Hendrik Rödl als Bundestrainer aus dem Hut. "Ich freue mich auf die Aufgabe, es ist eine große Ehre für mich. Es geht darum, Medaillen zu gewinnen. Bei der EM, bei der WM, bei Olympia. Egal bei welchem Turnier", sagte er damals.
Selbstbewusste Aussagen, für die Gordon Herbert damals von nicht wenigen Experten belächelt wurde. Nach EM-Bronze letztes Jahr und dem WM-Titel dürften die Kritiker für alle Zeit verstummt sein. Es ist die Krönung einer gut zwei Jahrzehnte langen Trainertätigkeit, die einst in Würzburg so richtig Fahrt aufgenommen hat.