Als sich die frenetisch feiernde Mannschaft nach minutenlangen Sprechchören und enthusiastischen Siegeshymnen doch noch aus dem Presseraum hinter dem Stadion zurückgezogen hatte, saß da ein von Bier- und Sektduschen pitschnasser Michael Schiele und musste erstmal tief durchatmen. "Leck mich am Arsch, puh", entfleuchte es dem zustimmend nickenden Kickers-Trainer auf die Frage, ob es seine Rothosen denn nur mit Drama könnten.
Welch wilder Cocktail aus Emotionen und Gedanken dem 42-Jährigen in diesem Moment durch den Kopf schoss, lässt sich wohl nicht einmal erahnen. Kapitän Sebastian Schuppan hatte Schiele in der dritten Minute der Nachspielzeit mit seinem verwandelten Handelfmeter zum 2:2 gegen den Halleschen FC zum Aufstiegstrainer gemacht. Ein Punkt genügte, um den FC Ingolstadt, der beim TSV 1860 München antrat, auf Distanz zu halten.
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"Schuppi hat heute das Drehbuch beendet", sagte Schiele, inzwischen nicht weniger nass, aber emotional doch wieder geordneter. Der Strafstoß des scheidenden Rothosen-Kapitäns in der dritten Minute der Nachspielzeit als finaler Akt des 97-Minuten-Dramas. Ein Schuss, der entschied zwischen Tabellenplatz zwei und vier, zwischen höchsten Glücksgefühlen und der dann wohl auch psychisch extrem schweren Relegation gegen den 1. FC Nürnberg. Es nahm ein gutes Ende, das Drama vom Dallenberg. Die Chronologie des Aufstiegsspiels.
13.30 Uhr: Die Ausgangslage
Dem FWK genügt ein Punkt, um direkt aufzusteigen. Der FC Ingolstadt muss beim TSV 1860 München gewinnen und auf eine Niederlage der Kickers hoffen, um sich so einen direkten Aufstiegsplatz zu sichern. Noch 30 Minuten bis zum Spielbeginn.
13.40 Uhr: Verwunderung auf der Pressetribüne
Stirnrunzeln bei den Journalisten, die soeben die Aufstellungen beider Teams erhalten haben. Hansen, Schuppan und Hägele beginnen. Wieso stellt Schiele plötzlich auf Dreierkette um, ausgerechnet im entscheidenden Spiel? Die Erklärung gab es erst hinterher: Der Trainer wollte möglichst erfahrene, möglichst kopfballstarke Spieler aufbieten. Noch 20 Minuten bis zum Spielbeginn.
14 Uhr: Anpfiff
Im Stadion an der Grünwalder Straße pfeift Schiedsrichter Markus Schmidt das Spiel Ingolstadt gegen die Löwen, Amtskollege Martin Petersen leitet die Begegnung des FWK gegen Halle an.
14.01 Uhr: Teufelskerl Vincent Müller
Mit der linken Faust wehrt Rothosen-Torwart Vincent Müller einen Schuss des durchgebrochenen Mathias Fetsch zur Ecke ab - zehn Sekunden nach Spielbeginn. Ein langer Ball hatte alle drei Innenverteidiger eiskalt erwischt. Das war verdammt knapp.
14.18 Uhr: Hägele verpasst die Führung
Freistoß Würzburg, Kopfball Hägele - zu zentral, Tom Müller hält den Ball fest. Das hätte sie sein können, die wichtige Führung. Auch in München steht es noch 0:0, die Kickers sind aktuell auf einem direkten Aufstiegsplatz.
14.36 Uhr: Sohm schockt die Rothosen
Hägele verliert den von ihm schlecht geführten Zweikampf an der Grundlinie gegen Shcherbakovski. Der lässt auch noch Hemmerich alt aussehen und serviert für Sohm - Führung für Halle. Blick nach München: Noch ist nichts passiert, keine Tore im Grünwalder Stadion. Trotz Rückstandes sind die Kickers auf Aufstiegskurs.
14.42 Uhr: Ausgleich Pfeiffer
Eckball Hemmerich von der rechten Seite, Sané gewinnt sein Kopfballduell und der 1,96 Meter große Pfeiffer macht's ganz elegant: Drehung, Schuss mit dem linken Schlappen, Tor, 1:1. Jetzt sieht es wieder besser aus für die Rothosen.
14.46 Uhr: Halbzeit
Stand jetzt sind die Kickers zwar durch, beruhigend ist die Vorstellung bislang aber nicht. Blick nach München, also auf das Smartphone: weiterhin torlos. Na gut.
15.05 Uhr: Schlechte Nachrichten aus München
Die Hiobsbotschaft kommt als Pushmeldung auf dem Smartphone. Vorlage Kaya, Tor Beister. Ingolstadt führt bei den Münchner Löwen. Jetzt darf nichts mehr schiefgehen am Dallenberg, sonst müssen die Kickers in die Relegation.
15.09 Uhr: Noch schlechtere Nachrichten aus Würzburg
Hallo, hier ist Würzburg. Wir melden uns vom Abgrund. So zumindest die Gefühlslage in der Flyeralarm-Arena: Eckstoß Hemmerich von rechts, Pfeiffer geht auf den zweiten Ball - und hat einen Blackout. Sein Pass zurück - ob Torwart oder Verteidiger Adressat war, bleibt unklar - wird zur perfekten Vorlage für Guttau. Und der nutzt sie, Halle führt erneut. Das würde aktuell die Relegation gegen den Club bedeuten, für den FCI das Ticket zum direkten Aufstieg.
15.19 Uhr: Schiele stellt wieder um
Mit Kwadwo, Baumann und Ronstadt hat Schiele inzwischen drei Neue gebracht und auch wieder auf Viererkette umgestellt. Trotzdem fehlen die entscheidenden Aktionen. Und Ingolstadt? Führt immer noch 1:0.
15.36 Uhr: Ingolstadt in Überzahl
Wieder eine Nachricht via Smartphone, wieder keine gute aus Sicht der Würzburger. Münchens Herbert Paul, sieben Minuten zuvor eingewechselt, fliegt mit Rot vom Platz, Überzahl Ingolstadt. Die Hoffnung, dass die Löwen die Partie noch drehen, schwindet.
15.38 Uhr: Entscheidung im Grünwalder
Das war's. Eckert Ayensa trifft acht Minuten vor Ende der regulären Spielzeit für Ingolstadt zum 2:0. Jetzt müssen es die Rothosen selbst richten. Sprich: Ein Tor muss her.
15.48 Uhr: Abpfiff in München
In München ist Schluss, der FC Ingolstadt gewinnt 2:0. Trainer Thomas Oral hält seine Jungs vom Feiern ab, weil die Partie am Dallenberg noch nicht beendet ist. Der gesamte Kader der Oberbayern hängt gebannt vor dem Handy.
15.49 Uhr: Freistoß Würzburg
Gute, sehr gute Freistoßposition für die Kickers. 25 Meter vor dem gegnerischen Tor, ziemlich zentral. Herrmann legt sich die Kugel zurecht, und dem hatten schon in Köln nur wenige Zentimeter bei seinem letzten Freistoß gefehlt. Macht's der Linksfuß direkt?
15.51 Uhr: Handspiel Halle
Macht er nicht! Herrmann schlenzt den Ball an den Fünfmeterraum, wo ihn Guttau mit dem Kopf verfehlt und ihn unglücklich an den Arm bekommt - Schiedsrichter Petersen zeigt auf den Punkt. Ein Kann-Elfmeter. Schiele plädiert später auf ausgleichende Gerechtigkeit: "Wie viele Scheißelfmeter wir in dieser Saison schon gegen uns bekommen haben ..." FCI-Trainer Tomas Oral sagt im "Donaukurier": "Das ist natürlich kein Elfmeter, den man in so einer Situation gibt, gerade wenn so viel auf dem Spiel steht."
15.52 Uhr: Elfmeter Würzburg
Die dritte Minute der Nachspielzeit. Sebastian Schuppan übernimmt die Verantwortung. Der Kapitän tritt an, schnauft einmal durch und schickt die Kugel rechts in die Maschen. "Ich habe eigentlich immer nach links oder in die Mitte geschossen. Dieses Mal dachte ich mir, jetzt schieß' ich einfach nach rechts", sagt der Torschütze dazu.
15.55 Uhr: Aufstieg Würzburg
Petersen pfeift ab, der Aufstieg ist fix. In Würzburg hält es niemanden mehr auf seinem Platz, in München versinken die Ingolstadter in eben diesen. Am "Dalle" rennen, springen, purzeln die Rothosen mit ihrem Trainer über den Rasen. Es war ein verdammt spannendes Drehbuch, das Sebastian Schuppan soeben beendet hat.