
Er kurvt mit weit von sich gestreckten Armen über den Rasen, als wolle er abheben: Michael Dellinger schießt Sekunden vor der Pause den 1:0-Siegtreffer für den FC Schweinfurt 05. Tor Nummer elf für den Mann, der früh in der Saison noch zur anvisierten Torausbeute gesagt hat: "Zweistellig wäre schön." Aber deswegen sei er "noch lange nicht am Ziel", sagt der 31-Jährige nach dem Erfolg über den FV Illertissen.
Die Nullfünfer haben ihren Vorsprung in der Regionalliga Bayern dank eines für sie perfekten Spieltags mit Punktverlusten der Bayern (0:3 in Vilzing), der Kickers (0:0 gegen Aschaffenburg) und der Bayreuther (1:3 in Fürth) weiter ausgebaut. Hobby-Mathematiker Dellinger sagt: "Ich rechne die ganze Zeit schon, was geht. Rauf. Und runter. Und rauf." Der Zweite Bayreuth hat, bei noch zehn Spieltagen, schon sieben Punkte Rückstand, München und Illertissen liegen acht Punkte zurück, Würzburg gar elf.
Während im Verein trotz des gelungenen Jahresauftakts mit sieben Zählern aus drei Partien immer noch Understatement angesagt ist, beugt sich Dellinger weiter aus dem Fenster: "Es stimmt, wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Aber wenn wir das tun, läuft es von allein." Was ihn nach dem frustrierenden 1:1 in Fürth so selbstbewusst macht? "Wir haben wieder die FC-DNA auf den Platz gebracht."
Jetzt ist sein Trainer Victor Kleinhenz nicht der größte Freund des gepflegten "Was-wäre-wenn". Ein dezentes Schmunzeln ringt ihm Dellingers Mathe-Faible an diesem Abend, an dem sich die Nullfünfer mit Ballbesitz und Beharrlichkeit einen sonderbar defensiven Verfolger zurecht gelegt hatten, doch ab: "Mike kann gerne rechnen. Von mir aus auch nachts. Solange er seine Leistung bringt."
Das Fürth-Spiel im Nachhinein ein Schlüsselerlebnis
Zwei Chancen trotz annähernd null Platz, davon eine genutzt – Stürmer-Effizienz. Was Dellinger Glücksgefühle beschert: "Ich erfahre Wertschätzung. Jeder gönnt es mir nach der langen Verletzungspause." Beinahe ein Jahr hatte er bei seinem Ex-Klub in Aubstadt nach zwei Achillessehnenrissen pausieren müssen. Im Mai 2022 hatte es beim Aufwärmen zum Landespokal-Finale just in Illertissen ratsch gemacht. Ein paar Wochen später auf einem Kindergeburtstag, als er einer Biene ausgewichen war. Wieder OP.
Für den FC 05 gleicht der Sieg vom Freitagabend einem Seelentröster und Mutmacher in einem. Nächste Woche geht es zu Schlusslicht Türkgücü München. Nicht nur, dass solch vermeintlich einfache Spiele diffizil genug sind, wäre bei einem aufs Punkteminimum geschrumpften Vorsprung mächtig Druck dazu gekommen. Stattdessen habe man, sagte Kleinhenz, "die Handbremse gelöst. Wir haben gezeigt, welcher Fußball uns stark gemacht hat." Ein ausgewogener Mix aus eleganten Ballstafetten und rigoroser Abwehrarbeit. "Eine brutale Reaktion."
Lerneffekt nach dem Fürth-Spiel
Kleinhenz wird gefallen haben, wie seine Mannschaft nach 65 Minuten Spielkontrolle und 20 Minuten Ergebnisverwaltung die aus heiterem Himmel kommende Schlussoffensive der Gäste weg verteidigt hat. "Wir haben viele gute Entscheidungen getroffen." Eine davon: Nach einer guten Stunde für Dellinger gekommen, bildete Fabio Bozesan zusammen mit dem kurz darauf eingewechselten Kristian Böhnlein einen offensiven Doppelblock. Womit sich, eine Führung im Rücken, der Spielaufbau des Gegners kraftsparend stören lässt.
Überhaupt war ein Lerneffekt zum Fürth-Spiel erkennbar. "Für Viele stellt sich das im Nachhinein als Schlüsselerlebnis dar", sagt Kleinhenz. Die Qualität des 2:1 bei den kleinen Bayern habe man in Fürth reproduzieren wollen – und war kläglich gescheitert. Jetzt laute das Ziel fürs Türkgücü-Spiel, die Besonnenheit vom 1:0 über Illertissen zu recyclen. "Wir müssen zeigen, ob wir zu dieser Entwicklung fähig sind."
Unbekümmerter Auftritt von U19-Talent Valentin Schmitt
Gut getan hat dem FC 05 der Kniff, mit dem 18-jährigen Valentin Schmitt ein "belebendes Element" (Kleinhenz) zu bringen. "Frech, mutig, quirlig" habe das Talent auf der Zehn gespielt, lobte der Trainer. Schmitt ging ungewöhnliche Weg und fand kleine Lücken im Defensiv-Gespinst der Gäste, scheute sich nicht vor Abschlüssen aus kaum erfolgversprechenden Positionen. Ob er das über die Jokerrolle hinaus hinbekommt? Kleinhenz: "Ja."
Dass er nicht nur Schmitt in einem Spitzenspiel von Beginn an bringt, sondern auch den 19-jährigen Lauris Bausenwein mitten in die gefährliche Schlussphase hinein, steht für die Konsequenz des eingeschlagenen Schweinfurter Wegs. "Es geht darum, junge Spieler, die in die Startelf drängen, im Training immer wieder genau zu beobachten" – und festgefahrene Aufstellungsmuster aufzubrechen.
Dass trotz des vermeintlich soliden Vorsprungs noch nichts erreicht sei, betonen alle Protagonisten des FC 05 gebetsmühlenartig. Eine kleine Belohnung gibt es für Leistung und Sieg an diesem Abend trotzdem: Nachdem das Spieler-Buffet im VIP-Zelt flugs verputzt ist, hält am Eingang noch ein Lieferwägelchen – hereingetragen wird ein Stapel Pizza-Kartons.