Das große Brimborium hat er damals nicht gemocht, als er als einer der besten deutschen Stürmer den Verteidigern auf den Fußballfeldern von Wembley bis Mexiko-City das Fürchten lehrte. Und er mag es heute nicht, wenn ein runder Geburtstag ansteht: Sigfried, genannt Siggi, Held feiert an diesem Sonntag, 7. August, seinen 80. Geburtstag zurückgezogen im Kreise seiner Familie. Nur kein großes Aufheben. "Ich mag das nicht so", sagt Siggi Held. Wichtiger ist ihm, dass er den Tag mit Menschen verbringt, die ihm nahe sind – mit seiner Ehefrau Christine, seinen Kindern und seinen Enkeln.
Held hat es als erster unterfränkischer Fußballspieler in ein Weltmeisterschafts-Endspiel geschafft. 1966 war das: England gegen Deutschland im Londoner Finale in Wembley. 2:4. Ein Spiel für die Geschichtsbücher. Er gehörte zum Europameisterkader 1972, er gewann mit Borussia Dortmund 1966 den Europapokal der Pokalsieger, und nun sitzt er auf der Terrasse des "Dortmunder Golfclubs".
Das Gelände liegt oberhalb der Stadt im Grünen, die Spielbank Hohensyburg ist ganz nah. Held präsentiert sich wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag so, wie er schon häufiger charakterisiert wurde: unsentimental, nüchtern – und mit einer Prise Humor, so trocken wie die Ascheplätze, auf denen sie früher kickten.
Auch mit 80 Jahren spielt Siggi Held noch gerne Golf – wenn er nicht verletzt ist
"Hallo Siggi, wie geht's?", fragen Männer, die auf der Terrasse des Clubhauses sitzen. Held plaudert kurz mit ihnen. Man merkt, der frühere Fußball-Star ist einer von ihnen, kein über allem schwebender Prominenter. Siggi Held kommt gerne hier auf das Gelände, auch wenn ihm aufgrund von Beschwerden in der rechten Hand das Golfspielen derzeit nicht möglich ist. "Fußball oder Tennis gehen ja nicht mehr", sagt Held. "Golf ist eine schöne Möglichkeit, um raus ins Grüne zu kommen." Er hofft, dass er bald auch wieder selbst den Schläger schwingen kann.
Siggi Held lebt heute mit Ehefrau Christine nahe des Golfplatzes in einem Dortmunder Vorort. Doch den Grundstein für seine sportliche Laufbahn hat er in Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) gelegt. Dorthin kam der 1942 geborene Bub unmittelbar nach Kriegsende, nachdem seine Familie und er das im Sudetenland gelegene Bruntal als Heimatvertriebene hatten verlassen müssen.
Der Zufall führte Siggi Held als Jungen in die "Düsseldorfer Siedlung"
"Zufall" sei es gewesen, dass seine Familie und er am Rande des Spessart gelandet seien, sagt Held, und erinnert sich: Am Würzburger Bahnhof seien die Flüchtlinge einfach weitergeleitet worden, weil in der sogenannten "Düsseldorfer Siedlung" in Marktheidenfeld Unterkünfte frei waren.
Die Siedlung, die im Bereich der heutigen Eichholzstraße nördlich der Innenstadt gelegen war, war während des Zweiten Weltkriegs für ausgebombte Familien aus dem Rheinland errichtet worden. Nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg waren dort zunächst Kriegsgefangene untergebracht. Anschließend kamen Heimatvertriebene aus dem Osten – wie die Helds.
Die Verhältnisse dort waren schwierig: In der Barackensiedlung lebten die Vertriebenen beengt, nicht alle Alteingesessene begrüßten die Flüchtlinge mit offenen Armen. "Die Lebensmittelversorgung war oft bescheiden, manchmal schlecht", schrieb der im Jahr 2020 verstorbene Michael Deubert, der ein Vierteljahrhundert Vorsitzender des "Historischen Vereins Marktheidenfeld und Umgebung" gewesen war, in einem Beitrag für diese Redaktion.
In Marktheidenfeld waren die Helds nach dem Krieg zunächst Fremde
"Wir waren zunächst Fremde, eher ungeliebt und skeptisch beäugt. Aber im Laufe der Jahre kamen wir in der neuen Gesellschaft an und lebten uns ein", beschrieb Siggi Held die Erinnerung an jene Jahre in einem Buch, das er kurz nach seinem 70. Geburtstag mit dem Journalisten Horst Wörner veröffentlicht hat. Helds Vater verkaufte als Bahnbeamter die Fahrkarten am Marktheidenfelder Bahnhof.
Doch Siggi Held ist keiner, der heute über die damaligen Verhältnisse klagt: "Die meisten Leute hatten ja nicht viel", stellt er trocken fest. Und unglücklich sei seine Jugend nicht gewesen. Er habe als Schüler so gut wie jeden Tag die Möglichkeit besessen, rauszugehen und das zu tun, was ihm am allermeisten Spaß machte: Fußball zu spielen. Wenn kein Ball vorhanden war, dann kickten sie notfalls auch einmal mit einer Blechdose. In einen Verein, in diesem Fall in den TV Marktheidenfeld, durfte er allerdings erst als Fünfzehnjähriger. "Die Eltern wollten, dass ich lerne. Außerdem hatte sie Angst, dass ich meine Schuhe kaputtmache."
Die Eltern durften anfangs vom Fußballspielen nichts erfahren
Das elterliche Fußball-Verbot hat ihn als Kind allerdings nicht aufgehalten. "Anfangs hat er heimlich gespielt. Wir haben dann seine verschwitzten Sachen mit nach Hause genommen und gewaschen, damit die Eltern nichts bemerkt haben", berichtete einmal sein bereits verstorbener Teamkollege von damals, Karlheinz Freund, in einem Beitrag für diese Redaktion.
Ein weiteres Indiz dafür, dass der Fußballsport im Nachkriegs-Deutschland nicht bei jedermann Wertschätzung genoss, ist jene Episode, die Siggi Held während seiner Bundeswehrzeit in Hammelburg erlebte. Da spielte er schon, nachdem in Marktheidenfeld sein außergewöhnliches sportliches Talent offenbar geworden war, für die Offenbacher Kickers in der damals zweitklassigen Regionalliga: "Ich wurde nicht fürs Training freigestellt, der Trainer kam einmal die Woche sogar nach Hammelburg. Ein Feldwebel hat einmal zu mir gesagt, da könnte ja auch einer vom Hasenzüchterverein kommen und wollte freigestellt werden."
Schließlich bewirkten die Offenbacher Kickers seine Versetzung nach Darmstadt – und mit dem Trainingsbesuch klappte es fortan besser. Held machte in Offenbach und in der Bundeswehr-Auswahl sportlich auf sich aufmerksam und wurde 1965 vom Bundesligisten Borussia Dortmund verpflichtet, wo er mit Lothar Emmerich (verstorben 2003) und Reinhard "Stan" Libuda (verstorben 1996) eine Offensivreihe bildete, die internationalen Ansprüchen gerecht wurde.
Raucht nicht. Trinkt nicht. Helds spartanischer Lebensstil beim BVB
"Er raucht nicht, trinkt nicht und spart. Siggi Held lebt spartanisch in einem Zimmer in Dortmund. Dieses einfache Leben garantiert das ursprüngliche Spiel Helds, seine Explosivität. Held ist ein wortkarger Mann. Viel lieber als er redet, hört er anderen zu. Den Franken kann und will er nicht verleugnen", schrieb der "Kicker" in dieser Zeit über den Offensivspieler. Eine Charakterisierung, der Held auch über 50 Jahre später nicht widerspricht. "Fußball war eine große Chance für mich", sagt er. Vieles hat er seinem Sport untergeordnet.
Doch seine Herangehensweise zahlte sich aus: 1966 wurde er Nationalspieler und erreichte im selben Jahr mit der deutschen Auswahl das WM-Endspiel gegen Gastgeber England. Eine Partie, die durch das "Wembley-Tor" legendär werden sollte: Denn in der elften Minute der Verlängerung bugsierte der Engländer Geoff Hurst den Ball beim Stand von 2:2 an die Unterkante der Latte. Der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst entschied nach Rücksprache mit seinem sowjetischen Linienrichter Tofik Bahramov auf Tor.
Das Wembley-Tor von 1966: Für Held ist das Thema abgehakt
Eine Entscheidung, über die bis heute diskutiert wird. "Ich habe es selber nicht gesehen, weil ich natürlich vorne stand. Aber wie der Ball rausgesprungen ist, kann der eigentlich nicht drin gewesen sein", sagt Held heute. Die Frage, ob er noch mit der Entscheidung hadere, beantwortet Siggi Held mit der ihm eigenen Nüchternheit: "Danach haben wir uns eine Zeit lang geärgert, dann kamen aber schon die nächsten sportlichen Aufgaben. Und es ist ja auch nicht sicher, ob wir das Spiel gewonnen hätten, wenn der Schiedsrichter anders entschieden hätte."
Die sportlichen Erfolge gingen mit wachsender Popularität einher. So bereiteten im Sommer 1966 die Marktheidenfelder den deutschen Vizeweltmeistern Siggi Held und Lothar Emmerich einen begeisternden Empfang, als die beiden im offenen Wagen bei einem Autokorso durch die Petzoldstraße fuhren.
Heimliche Doppel-Hochzeit in Marktheidenfeld
Ein anderer Auftritt der beiden Fußball-Stars in Marktheidenfeld fand indes im Geheimen statt. Die miteinander befreundeten Nationalspieler Held und Emmerich, deren Frauen beide aus Marktheidenfeld stammten, feierten auf dem örtlichen Standesamt an einem Mittwochabend im Januar 1967 eine Doppel-Hochzeit. Das geschah übrigens klammheimlich, weil Exklusivfotos von der Trauung an eine Illustrierte verkauft worden waren. Fußballer, die einige Jahre zuvor noch stiefkindlich behandelt worden waren, waren plötzlich zu Prominenten geworden.
Heute sind Helds Kontakte nach Marktheidenfeld, auch zum TVM, eher spärlich. Verbindungen halte er "in erster Linie zur Familie meiner Frau".
Helds aktive Fußball-Karriere währte noch bis 1981 und beinhaltet einen Europapokalsieg mit Borussia Dortmund 1966 und einen dritten Platz bei der WM 1970 in Mexiko. Eigentlich dürfte er sich auch Europameister nennen, auch wenn er 1972 bei der aus vier Mannschaften bestehenden Endrunde nicht dabei, weil er für die Offenbacher Kickers in der Bundesliga-Relegation spielen musste.
Denn im EM-Viertelfinale gegen England hatte Siggi Held zu jener DFB-Elf gehört, die mit 3:1 erstmals in Wembley gewann. Es gilt als eines der besten Spiele der deutschen Länderspielgeschichte, der Marktheidenfelder war an allen drei Toren beteiligt. Für die Weltmeisterschaft 1974 nominierte ihn Bundestrainer Helmut Schön jedoch nicht mehr.
Nachdem er mit 39 seine aktive Karriere beendet hatte, folgten Trainer-Engagements der verschiedensten Art – in den neuen Bundesländern, in Japan, Island und Thailand. "Da war nichts geplant. Die Entscheidungen habe ich immer aus der Situation heraus getroffen", so Siggi Held über seine Engagements auf der Trainerbank.
Ausgerechnet seine erste Trainerstelle hatte er 1981 übrigens beim Dortmunder Erzrivalen FC Schalke 04 angetreten. "Das ist wohl mein schwarzer Fleck in meiner Karriere", sagt er heute mit einem Augenzwinkern. "Das waren dann auch gleich mein erster Aufstieg und meine erste Entlassung", sagt Held im Rückblick.
Nach all der Weltenbummelei im Dienst des Fußballs ist Dortmund längst Helds Lebensmittelpunkt geworden: "Ich bin mit meiner Frau hier heimisch geworden. Das ist nicht mehr wie in den 1960er Jahren. Da gab es die Hochöfen und den Ruß, alles war schmutzig."
Zudem fühlt er sich dem BVB bis heute verbunden und besucht regelmäßig die Heimspiele. Als Fan-Beauftragter kümmert er sich auch als Senior noch mit um die Fanklubs der Schwarz-Gelben: "Es macht einfach Spaß", sagt Siggi Held. Ob es ihm etwas bedeute, dass Menschen auch über 40 Jahre nach dem Ende seiner aktiven Karriere mit ihm immer noch etwas anzufangen wissen? Bei den Leuten, die zu den Fanclub-Treffen kommen, antwortet Held, "ist sicher ein bisschen Nostalgie dabei".
Nostalgie indes ist keiner seiner Charakterzüge. "Früher war nicht alles besser", sagt er. "Wenn ich mir die Plätze und Stadien anschaue, die Trainingsmethoden. Wir haben oft immer bis an den Anschlag trainiert, obwohl das gar nicht so gut war."
Auch dass Fußballprofis heute weniger nahbar für die Anhänger seien, könne man den Sportlern nicht vorwerfen. "Wir sind nach Heimspielen oft essen gegangen und hatten da auch Kontakt zu den Fans", so Held. Oft sind sie als BVB-Profis in der "dritten Halbzeit" mit Lob oder Kritik konfrontiert worden. "Aber für die Spieler heute wäre das gar nicht mehr möglich. Das ist alles so groß geworden, die könnten sich gar nicht mehr auf ihre Aufgaben konzentrieren."
Es ist Zeit. Das Gespräch ist zu Ende. Es bleibt nur noch die Frage nach dem I: Ist denn Sigfried oder Siegfried korrekt? Seine Antwort kommt trocken: "In meinem Pass steht der Name mit einfachem I."
Stationen als Spieler: TV Marktheidenfeld (1957 – 1963), Kickers Offenbach (1963 – 1965), Borussia Dortmund (1965 – 1971), Kickers Offenbach (1971 – 1977), Borussia Dortmund (1977 – 1979), SC Preußen Münster (1979), Bayer Uerdingen (1979 – 1981).
Nationalmannschaft: 41 Spiele (5 Tore).
Stationen als Trainer: FC Schalke 04 (1981 – 1983), BV Lüttringhausen (1984), Nationalteam Island (1986 – 1989), Galatasaray Istanbul (1989 – 1990), FC Admira/Wacker (1991 – 1993), Dynamo Dresden (1993 – 1994), Gamba Osaka (1995), VfB Leipzig (1996 – 1998), Nationalteam Malta (2001 – 2003), Nationalteam Thailand (2004 – 2005).