Sie haben ihre alte Heimat nicht freiwillig verlassen und sie sind nicht freiwillig nach Marktheidenfeld gekommen. Aber viele von ihnen sind hier und in den Nachbarorten geblieben, über Jahrzehnte hinweg, haben im Land an Main und Spessart eine neue Heimat gefunden. Die Rede ist von den Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, die einst die sogenannte Düsseldorfer Siedlung in Marktheidenfeld bewohnt haben. An diese erinnert im Stadtbild nur noch der Name Düsseldorfer Straße. Mehr als fünf Jahrzehnte nach Auflösung des Lagers kommt es am 26. Oktober hier zu einem Treffen ehemaliger Bewohner.
Wenn man so will, waren die Heimatvertriebenen die dritte „Generation“ der Lagerbewohner: Errichtet wurde das Lager 1943 als Siedlung der Stadt Düsseldorf für „Evakuierte, Ausgebombte und Fliegergeschädigte“. Der Vertrag zwischen der Stadt Düsseldorf und der Marktgemeinde Marktheidenfeld sollte ab 1. Mai 1943 gelten. Die Stadt Düsseldorf pachtete das außerhalb der damaligen Bebauungsgrenzen von Marktheidenfeld liegende Gelände, ließ Wohn- und Gemeinschaftsbaracken einschließlich Schulbaracke errichten und verwaltete die Siedlung selbst. Düsseldorfer Siedlungen gab es in Unterfranken zum Beispiel auch in Amorbach, Miltenberg, Klingenberg, Ochsenfurt, Hammelburg, Kitzingen oder Fladungen.
Zwischendurch Gefangenenlager
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges nutzte die amerikanische Besatzungsmacht die Siedlung kurzfristig als Gefangenenlager. Dann kamen die Heimatvertriebenen, Menschen jedes Alters, zum Großteil mit Familie, und wurden dort eingewiesen.
Das Vertriebenen-Wohnlager war zunächst ein Massenlager. Dann wurden die Baracken so eingeteilt, dass für die 334 Bewohner pro Baracke vier Wohnungen mit je drei kleinen Räumen entstanden. Das Adressbuch von 1956 für den Landkreis Marktheidenfeld (Stand September 1955) nennt insgesamt 50 Namen von „Haushaltsvorständen und selbstständigen Alleinstehenden (Ledigen), die einen eigenen Haushalt haben“ mit der Adresse „Düsseldorfer Siedlung“. Dass die Begeisterung über die heimatvertriebenen „Neubürger“ sich auch bei den „Alteingesessenen“ in Grenzen hielt, ist nachvollziehbar.
Die Lebensmittelversorgung war oft bescheiden, manchmal schlecht. Wer einen kleinen Gemüsegarten hatte und ein paar Hühner oder Stallhasen, konnte sich glücklich schätzen. Noch galt die Reichsmark, für die es immer weniger zu kaufen gab.
Wohnraum war nach dem Krieg auch in Marktheidenfeld sehr knapp. Die große Bautätigkeit des Heimstättenwerkes sollte erst ein paar Jahre später einsetzen und für viele Heimatvertriebene und Flüchtlinge in Wohnblocks in Marktheidenfeld und auch in Nachbargemeinden Wohnraum zu sozialen Preisen bieten. Gleichzeitig gab es Baulandumlegungen der Stadt Marktheidenfeld, die Platz für viele Ein- und Zweifamilienhäuser schufen. Von 1949 bis 1968 hat das Heimstättenwerk allein in Marktheidenfeld 262 Wohneinheiten in Mietwohnungen gebaut, dazu kamen 97 Wohneinheiten im Bereich „Kleinsiedlungen und Eigenheim“.
Bis Anfang der 1960er Jahre wurde die ehemalige Düsseldorfer Siedlung genutzt. Für Freitag, 13. Januar 1961, lud Bürgermeister Ulrich Willer namens der Stadt Marktheidenfeld die verbliebenen 154 Bewohner der „Siedlung“ beziehungsweise die Haushaltsvorstände zu einer Versammlung im Nebenzimmer des Gasthauses „Krone“ ein. Auf der Tagesordnung stand die Frage, wer in eine Mietwohnung des Heimstättenwerkes ziehen, wer sich ein Reihenhaus oder ein Eigenheim errichten und wer wegen seiner schlechten finanziellen Verhältnisse zunächst weiter im Lager wohnen wolle.
Die Stadt Marktheidenfeld reagierte darauf mit einem „Sonderwohnungsbauprogramm zur Räumung von Wohnlagern und Barackenunterkünften“. 25 Mieter wollten Mietwohnungen, acht planten ein Reihenhaus, fünf ein Eigenheim. Ausdrücklich in ihrem „Behelfsheim“ bleiben wollten nur zwei Mietparteien.
Selbst wer als Kleinkind aus seiner Heimat vertrieben worden und in der „Düsseldorfer Siedlung“ in Marktheidenfeld untergekommen ist, zählt heute schon rund 70 Lebensjahre. Manche sind weggezogen und haben das Kapitel „Düsseldorfer Siedlung“ für sich abgeschlossen und den Kontakt zu Marktheidenfeld verloren oder abgebrochen. Trotzdem liegen für das Treffen am 26. Oktober fast 70 Anmeldungen vor. Geplant ist zwischen 17 und 18 Uhr ein kleiner Spaziergang zur ehemaligen „Düsseldorfer Siedlung“ und anschließend ein Treffen im Hotel „Zur schönen Aussicht“. Initiatoren des Treffens sind Fritz Grabner, Wolfgang Hanisch, Lothar Lorenz, Gerlinde Stefan und Gertrud Klein.
Nebenbei: Auch der spätere 41-malige Fußballnationalspieler Siegfried „Sigi“ Held ist über die Düsseldorfer Siedlung mit seinen Eltern nach Marktheidenfeld gekommen. Er wurde 1942 in Freudenthal, heute Bruntál im Nordosten der Tschechischen Republik im Mährisch-Schlesischen Bezirk, geboren. Wegen Verpflichtungen als Fanbeauftragter von Borussia Dortmund wird er zum Treffen nicht kommen können.
Heimatvertriebene
Die Vertreibung war eine Folge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und Kriegsverbrechen. Ab dem Jahr 1945, besonders 1946, sind rund zwölf Millionen Menschen deutscher Staats- oder Volkszugehörigkeit aus ihrer angestammten Heimat in den früheren deutschen Ostgebieten vertrieben und in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik angesiedelt worden.
In den beiden Jahren 1945 und 1946 betraf die Vertreibung der
Deutschen alleine aus der damaligen Tschechoslowakei bis zu drei Millionen Menschen. Die dortigen sudetendeutschen Deutschböhmen und Deutschmährer sowie die Sudetenschlesier wurden unter Androhung und unter Anwendung von Gewalt zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen.
In Bayern gab es im Jahr 1950 1 937 000 Heimatvertriebene, sie stellten damals rund 21 Prozent der bayerischen Wohnbevölkerung. Von den in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommenen Heimatvertriebenen lebten 16,2 Prozent in Bayern. Quelle: Wikipedia