Die Wartenden sitzen am Bahnhof in Burglauer (Lkr. Rhön-Grabfeld) nicht in einer Bahnhofshalle, sondern in einem Buswartehäuschen. Die Brotzeit für die Fahrt gibt es vom Edeka-Markt um die Ecke statt vom Bahnhofskiosk. Nach dem richtigen Gleis müssen Fahrgäste nicht lange suchen: Es existiert nur ein einziges. Statt ständiger Lautsprecher-Beschallung à la "Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt" kräht nur ein Hahn in der Nähe.
Wartehäuschen, Schilder, Anzeigetafel, ach, da ist ja ein Gleis! Nur wer es weiß oder genau hinsieht, erkennt, dass sich an der Ecke Riedweg/Bahnhofstraße in Burglauer ein Bahn-Haltepunkt befindet. Viel zu unscheinbar wirkt das Areal, um sofort als Bahnhof identifizierbar zu sein. Bahnhofs-untypisch ist auch die Geräuschkulisse.
Fahrgäste, die den Bahnhof betreten, hören erst einmal nichts. Kein Stimmengewirr. Keine im Minutentakt zischenden Züge. Keine ständigen Durchsagen. Dafür läuten alle 15 Minuten die Glocken der Kirche St. Peter und Paul, die vom Bahnhof aus gut zu sehen und zu hören ist.
Ein früher Wintermorgen am Bahnsteig: Die Sonne über Burglauer ist noch nicht aufgegangen. Die rot blinkenden Windräder bei Windheim (Lkr. Bad Kissingen) und die Lichter der Autos auf der nahen B 19 durchbrechen die Dunkelheit. Als es hell wird, öffnet sich der Blick auf den Höhberg mit seinem Gipfelkreuz. Die Burgläurer nennen ihn "Hückel". Er diente früher als Fußballplatz und ist ein beliebtes Ziel für Spaziergänge.
Gemeinde Burglauer möchte den Bahnhof unbedingt erhalten
Es klingt ungewöhnlich, dass Burglauer mit seinen 1800 Einwohnerinnen und Einwohnern noch über einen aktiven Bahnhof verfügt. Auch deshalb, weil der Bahn-Haltepunkt in Münnerstadt nur vier Kilometer entfernt ist. Und trotzdem gibt es den Bahnhof bis heute. Die Bahn richtete ihn 1949 ein, nachdem die Gemeinde zugesichert hatte, alle Kosten zu übernehmen.
"Unser Bahnhof wird gut genutzt, auch von Bürgern aus dem Umkreis wie Niederlauer oder Reichenbach. Er ist zusammen mit unserer Autobahnauffahrt und dem gut getakteten Busverkehr wichtig für unsere Infrastruktur. Deshalb möchten wir ihn unbedingt erhalten", sagt Bürgermeister Marco Heinickel. Während der 50-Jährige spricht, prasselt der Regen von der offenbar beschädigten Dachrinne des Wartehäuschens. Es ist etwas düster darin.
Bauhofmitarbeiter sind nun "Bahnsteigpflegekräfte"
"Für das Dach frag' ich mal den Edgar. Und der Julian soll wegen einer Lampe schauen", überlegt Heinickel laut, während er auf die tropfende Dachrinne am dunklen Wartehäuschen blickt. So ist das in Burglauer: Die Bürgerinnen und Bürger packen mit an. Auch bei kleinen Reparaturen am Bahnhof. Die Gemeinde selbst tut laut Heinickel ebenfalls viel für ihren Bahnhof.
Zusammen mit der Bahn werden derzeit über das Projekt "Bike and Ride" 18 Fahrradstellplätze geschaffen. Um den Bahnsteig im Winter räumen zu dürfen, absolvierten die Bauhofmitarbeiter auf Gemeindekosten ein spezielles Seminar. Seit der bestandenen Abschlussprüfung dürfen sie sich "Bahnsteigpflegekräfte" nennen.
Rhön-Grabfeld hat bei 80.000 Einwohnern nur drei Bahnhöfe
Im Landkreis Rhön-Grabfeld gibt es bei rund 80.000 Einwohnern nur drei Bahnhöfe: Burglauer, Bad Neustadt und Mellrichstadt. Von den 112 Bahnstationen in Unterfranken befinden sich nach Auskunft der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) lediglich 21 in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern, also nicht einmal ein Viertel. Bayernweit sind es 115 von 1065 Stationen.
Morgens hält ein Regionalexpress der Deutschen Bahn in Burglauer, die restlichen Verbindungen werden von der Erfurter Bahn abgedeckt. Am Vormittag fahren die Züge im Halbstunden-, später im Stunden-Takt in Richtung Schweinfurt oder Meiningen, mit Stopps in Bad Neustadt und Mellrichstadt.
An einem Wochentag halten laut der Bayerischen Eisenbahngesellschaft 37 Züge im Bahnhof von Burglauer, samstags 33 und an Sonn- und Feiertagen 31. Bus- und Zugfahrplan seien abgestimmt, sodass sich beides ergänze und der Bahnhof nicht überflüssig werde, so Bürgermeister Marco Heinickel.
"Kaufmanns Michele" statt Bahnhofskiosk in Burglauer
Er kann sich noch daran erinnern, dass es früher in Burglauer einen Wartesaal mit Ticketverkauf gab. "Ich sehe es noch vor mir. Es war ein Ofen drin und Holzbänke. Außerdem gab es ein Fenster, aus dem die Karten verkauft wurden." Dafür waren zunächst Anna und Ludwig Erhard zuständig. Er ist vielen in Burglauer als "Bünd Lubber" ein Begriff. 1985 übernahmen Rosa und Ferdinand "Ferd" Schmitt für einige Jahre den Fahrkartenverkauf. Später wurde ein Fahrkartenautomat installiert, der 2008 abgebaut wurde.
2006 erwarb Tobias Mangold das Bahnhofsgebäude von der Gemeinde und baute es um. Aus dem Warteraum wurden Küche und Abstellkammer. Ein Bahnhofskiosk musste nicht weichen: Es gab nie einen. Dafür haben die Fahrgäste das "Kaufmanns Michele". Der Laden mit diesem Dorfnamen hieß früher "Gemischtwaren Then" und firmiert heute als "Edeka Kraus". Der Markt mit Wurst- und Backwarenverkauf liegt gerade mal 200 Meter vom Bahnhof entfernt.
17-Jährige aus Burglauer: Nachmittags fehlen Verbindungen
Nicht nur einen Kiosk, sondern auch Menschenmassen sucht man vergeblich am Burgläurer Bahnhof. In jeden der Züge steigen an diesem Morgen etwa drei Personen, manchmal mehr oder auch einmal gar keiner. Das passt zu den Fahrgastzahlen, die die BEG angibt: 70 Ein- und Aussteiger wurden in der ersten Jahreshälfte 2022 an einem durchschnittlichen Werktag in der Schulzeit gezählt.
Die meisten der Wartenden nutzen den Zug für den Weg zur Arbeit. "Ich fahre nach Bad Neustadt und von dort mit dem Stadtbus zu meiner Ausbildungsstelle", erzählt eine 17-Jährige aus Burglauer. Das klappe gut. Problematisch werde mitunter die Heimfahrt von der Berufsschule in Schweinfurt: "Es wäre schön, wenn es nachmittags noch mehr Zug- oder Busfahrten geben würde."
Lukas Then: Lieber mit dem Zug als mit dem Auto nach Schweinfurt
Der 29-jährige Lukas Then pendelt regelmäßig mit dem Zug zu ZF nach Schweinfurt. Ist das nicht zeitaufwändiger als mit dem Pkw? "Nein, mit dem Auto braucht man 20 Minuten. Mit Zug und Fußweg dauert es eine halbe Stunde", sagt Then, der auch Feuerwehrkommandant in Burglauer ist.
Wie sieht es mit den Kosten aus? "Mit Monats- oder Wochenkarten komme ich im Monat auf 160 bis 180 Euro. Das finde ich in Ordnung. In der Zeit müsste ich mindestens zweimal tanken, dazu käme der Verschleiß des Autos", rechnet Then vor. Mit den Verbindungen ist er zufrieden. "Für uns Burgläurer ist der Bahnhof super. Viele nutzen den Zug sogar, um ein zweites Familien-Auto zu ersetzen", sagt Then.
Christoph Hochrein: Pendeln ersetzt ein zweites Auto
So wie Christoph Hochrein (28). "Wenn meine Frau das Auto hat, fahre ich mit dem Zug", erzählt er, während er auf die Bahn nach Bad Neustadt wartet. Die Verbindungen ließen sich gut mit dem Arbeitsbeginn um 9 Uhr takten, auch wenn der Zug meistens fünf Minuten zu spät komme. "Ich mache das gerne, es hat sich in meine Routine eingependelt. Mir würde sicher Bewegung fehlen, wenn ich nicht mit dem Zug fahren und zur Arbeit laufen würde."
Ein Burglauer ohne den "Boohof", wie die Einheimischen ihn nennen? Das mögen sich viele im Ort nicht vorstellen. So war es auch 1978, als die Bahn den Haltepunkt schloss. Damit wollten sich die Einwohner nicht abfinden. Wie aus damaligen Zeitungsartikeln hervorgeht, kam es zu Protesten.
Bürger demonstrierten 1978 in Burglauer für ihren Bahnhof
Die Jugendblaskapelle spielte einen Trauermarsch und Bahnhofsvorsteher Bünd Lubber legte einen Kranz am Bahnsteig nieder. Jugendliche hatten ihn aus einem Container am Friedhof geholt. Mit Transparenten wie "Ein Bahnhof ist zum Halten da!" oder "Ist das der gute Zug der Bahn?" demonstrierten die Bürger für ihren Haltepunkt. Auf einer Unterschriftenliste sprachen sich 700 der damals 1200 Einwohner für den Erhalt aus. Und setzten sich durch: Seit Sommer 1979 halten wieder Züge in Burglauer – bis heute.
Doch wie sieht die Zukunft des Bahnhofs aus? Solche Entscheidungen würden gemeinsam mit der Bayerischen Eisenbahngesellschaft getroffen, heißt es auf Anfrage von der Deutschen Bahn. "Hierbei werden die laufenden Betriebskosten bzw. gegebenenfalls anfallende Investitionskosten in Relation mit den Reisendenzahlen gesetzt und hieraus eine wirtschaftliche Entscheidung getroffen", schreibt eine Bahn-Sprecherin. Derzeit seien keine Schließungspläne bekannt. "Es gibt keine Pläne, den Haltepunkt in Burglauer zu schließen", bestätigt auch die Bayerische Eisenbahngesellschaft.
In Frankreich mehr es dagegen Spaß mit der Bahn zu fahren.
Bitte weiter so.
Die Strecke Gemünden - Bad Kissingen hat auch noch Potential.
Alles Gute,
Da kann man sich gleich vorstellen wie ein Betrieb der Steigerwaldbahn aussehen könnte!
Ich hoffe es können weitere Haltepunkte gerettet und mehr Strecken reaktiviert werden.