Ein Ei für 70 Milliarden Mark: 1923 stürzte die Hyperinflation die Menschen in schiere Armut, in ganz Unterfranken druckten Städte Notgeld. Die riesige Sammlung des Würzburger Heimatforschers Erwin Schmollinger zeigt, wie die Mark vernichtet wurde.
Wer wollte diese Zahlen noch begreifen? Am 29. November 1923 kostete das Pfund Mehl 40 Milliarden Mark, das Roggenbrot 24 Milliarden. Der Preis für ein Ei: 70 Milliarden Mark. Der Kohlenhändler verlangte für einen Zentner Briketts 1910 Milliarden, der Metzger für ein Pfund Speck 5,5 Billionen. Und wer dringend ein Paar Schuhe brauchte, musste an jenem Tag vor 100 Jahren zwischen 20 und 30 Billionen Mark zahlen. Die Hyperinflation tobte, das wirtschaftliche Chaos erschütterte die Gesellschaft in Deutschland zutiefst.
"Der helle Wahnsinn", sagt Erwin Schmollinger. Entgeistert wie fasziniert blickt der Würzburger Heimatforscher auf Scheine voller Nullen vor sich auf dem Tisch. Riesensummen! Millionen, Milliarden, am Ende waren es Billionen. Die Preise stiegen deutschlandweit. Nicht monatlich, nicht täglich - sondern stündlich.
"Wer Lohn bekommen hat, musste einkaufen", sagt Erwin Schmollinger. "Nicht morgen, sofort!" Papiergeld war wertlos geworden, die Zahlen darauf hatten kaum mehr Bedeutung. Wer am 29. November 1923 ein halbes Pfund Butter kaufen wollte, brauchte vier Billionen. Schmollinger schüttelt den Kopf: "Die Leute haben gelitten."
Der 80-Jährige ist pensionierter Schreibwarenhändler, hat die Geschichte der Gartenstadt Keesburg erforscht. Seit mehr als fünf Jahrzehnten beschäftigt er sich mit alten Banknoten. Und sagt: "Als Geldscheinsammler werden Sie automatisch konfrontiert mit der Inflation. Mindestens die Hälfte sind Inflationsscheine! Eine Schachtel dafür genügt irgendwann nicht mehr."
Der Würzburger hat Inflationsscheine schachtel- und albenweise. Reichsbanknoten jeglicher Art und höchster Sammlerqualität – vor allem auch Notgeld aus ganz Unterfranken. Unterhält man sich mit dem 80-Jährigen über den Wahnsinn Hyperinflation, über das Trauma-Jahr 1923, sagt er irgendwann, dass er vermutlich die größte Sammlung an unterfränkischem Krisengeld hat. Zumindest die größte bekannte. Er habe jedenfalls "keine größere mitgekriegt".
Gäbe es sie, hätte er es wohl: Seit inzwischen 49 Jahren organisiert und veranstaltet Erwin Schmollinger in Würzburg einmal im Jahr die große "Münz-, Geldscheine- und Ansichtskarten-Börse". In der Lengfelder Kürnachtalhalle kommen da 600 Sammlerinnen und Sammler von überallher zusammen, 60 Aussteller sind in der Regel da. In 49 Jahren hätte Kontaktmann und Ansprechpartner Erwin Schmollinger vermutlich eine größere unterfränkische Inflationsgeldsammlung mitbekommen.
Der Heimatforscher hat sich viele Gedanken gemacht über das Jahrhundertereignis von 1923, über Gründe und Folgen des Zahlenspuks. Über das surreale Ausmaß dieser Geldentwertung, die Millionen Menschen in finanzielle Not stürzte.
Um die immensen Staatsschulden zu begleichen, hatte die Regierung die Notenpressen angeworfen. Anfang 1923 wurden Tausender-Scheine zu Kleingeld. Die Reallöhne der arbeitenden Bevölkerung sanken, Preise stiegen und stiegen, Sparguthaben verloren in kürzester Zeit völlig ihren Wert. Am 14. November war der Dollar erstmals mehr als eine Billion Reichsmark wert – eine Zahl mit zwölf Nullen! "Eine unfassbare Dimension."
Im Würzburger Generalanzeiger vom 26. November 1928 – fünf Jahre nach der Erschütterung – hat Schmollinger in einem Artikel ein anschauliches Beispiel dafür gefunden: Wollte man eine Billion in Eine-Mark-Stücken abzählen, so hätte man in der Minute 100 Stück bewegen müssen – und das Tag und Nacht ununterbrochen 20.000 Jahre lang. "Selbst diese Zahl ist unermesslich, wenn man bedenkt, dass wir seit Christi Geburt erst 2000 Jahre hinter uns haben."
Die ungeheure Zunahme der papiernen Zahlungsmittel hätte die Folge gehabt, dass Ausführungen und Druck immer einfacher wurden. "Bei mancher Note sparte man ab März 1923 bereits den rückseitigen Bedruck", sagt der Sammler. 133 Druckereien und 30 Papierfabriken waren für die Reichsbank tätig – "doch selbst die schafften es nicht, genügend Noten zu fabrizieren". So gaben Länder, Gemeinden, Post, Bahn und sogar Privatunternehmen mehr und mehr Notgeld aus.
"Eine Notgeldflut", sagt Schmollinger und blättert in seinen Alben voller bestens erhaltener Scheine, die Raritäten geworden sind und wertvolle Sammlerstücke. "Das Chaos war groß!" Im September 1923 musste man beim Bäcker oder Metzger bereits mit Milliarden bezahlen. Alte Tausender- und Millionen-Scheine waren Altpapier und wurden mit Milliarden-Werten überdruckt.
In Unterfranken hätten sich 46 Städte, Gemeinden, Bezirke, Firmen und Geschäfte mit Notgeld als Zahlungsmittel über die Kriegs- und Krisenzeit von 1914 bis 1923 beholfen, sagt der Mann mit der riesigen Sammlung. "Die Stadt Aschaffenburg war mit ihren vielen Firmen und Fabriken absoluter Spitzenreiter bei der Emission: 145 verschiedenste Ausgaben und Werte." Auch in Miltenberg mit 82 Ausgaben, in Kitzingen mit rund 50, Schweinfurt mit 38 und nicht zuletzt Würzburg mit 64 Ausgaben war der Bedarf groß.
"Am Anfang der Notgeldperiode wurden die Scheine noch künstlerisch gestaltet, zum Beispiel von Heinz Schiestl", sagt Erwin Schmollinger und zeigt auf schöne unversehrte Exemplare. "Aber mit fortschreitender Inflation war offenbar dafür keine Zeit mehr." Wie die Reichsbank gestalteten auch die Gemeinden ihre Notgeldscheine immer einfacher und nur noch einseitig. Und auf nicht ausgegebene Scheine kam ein Überdruck - mit noch mehr Nullen.
Was die Hyperinflation bannte? Sammler Schmollinger zeigt auf seine Rentenmark-Scheine: Von der Regierung im November 1923 eingeführt – im Wechselverhältnis 1 Dollar : 4,2 Billionen Papiermark : 4,2 Rentenmark – fassten die Menschen in die neue Interimswährung sofort Vertrauen. "Als man die hatte, musste man nicht mehr rennen."