
Wenn von Inflation die Rede ist, geht es in der Regel um eine Geldentwertung von ein paar Prozentpunkten. Doch ab Herbst 1922 sackte in Deutschland die Währung ins Bodenlose, bis die Entwicklung am 15. November 1923 mit der Einführung der Rentenmark beendet wurde. Die Inflation hatte auch im Landkreis Haßberge schwerwiegende Auswirkungen.
Mit der Geldentwertung stieg die Not und damit die Kriminalität. "Nichts ist mehr sicher", schrieb 1922 die Zeitung. "Von überall her werden jetzt Felddiebstähle gemeldet. Die Kartoffeln, die Rüben, das Obst, alles fällt in die Hände der Langfinger." In Altershausen wurden wiederholt ganze Getreidehaufen auf Äckern ausgedroschen und mitgenommen. Im Spätsommer organisierten die Hofheimer Bauern wegen der überhandnehmenden Felddiebstähle einen Selbstschutz. Die Stadt Zeil verhängte zwischen 21 und 4.30 Uhr eine Flursperre für alle Bürger. Im Steigerwald wurde mehrmals zum Trocknen aufgehängte Wäsche gestohlen.
Keine Butter für Haßfurter Kunden: Die Frankfurter zahlen mehr
Wegen der traurigen Verhältnisse appellierte der Würzburger Bischof, nicht im Gebet um Gottes Barmherzigkeit nachzulassen. Weil zu allem auch noch die Ernte bedroht war, fand abwechselnd in den Filialgemeinden Wülflingen, Wonfurt und Sailershausen im Juni 1923 eine 19-stündige "Ewige Anbetung" statt.
Im Spätsommer 1923 kamen täglich mit den Frühzügen fremde Aufkäufer mit Huckelkörben und Rucksäcken in Haßfurt an, um in die umliegenden Ortschaften auszuschwärmen. Sie boten im Umland für Grundnahrungsmittel Preise, die sich die Einheimischen nicht mehr leisten konnten. So fragte ein Haßfurter in einer Gemeinde des Umlandes nach Butter und bekam zur Antwort: "Die heben wir für die Frankfurter auf, die bezahlen mehr als ihr!"

Einmal wurden am Bahnhof 60 Aufkäufer gezählt. Die meisten hatten von thüringischen Behörden amtliche Erlaubnisscheine dabei, mit dem Vermerk: "Berechtigt zum Aufkauf in Bayern, in Thüringen ist der Aufkauf verboten."
Naturalien statt Geld: Vereinsmitgliedschaften für Bier und Getreide
Weil der Wert der Mark während der Inflationszeit oft von Tag zu Tag dahinschwand, benutzten die Menschen Naturalien als eine Art Ersatzwährung. So legte der Zeiler Gesangverein "Sängerkranz" fest, dass der Mitgliedsbeitrag stets den Gegenwert von einer Maß Bier beträgt. Der Beitrag des Zeiler Caritasvereins lag bei vier Pfund Getreide. Originell war die Festsetzung der Gebühr für die Haßfurter Kinderbewahranstalt: Für je ein Kind wurde pro Woche der Wert einer Brezel verlangt.
Auch das Bischöfliche Ordinariat Würzburg setzte den Wert von Messen in Weizen- und Mehlmengen fest. Ein Hofheimer Arzt berechnete einem Patienten aus Nassach "für ärztliche Bemühungen" 29 Goldmark, beziehungsweise 14 Pfund Butter oder ein Zentner Getreide und 225.000 Reichsmark.
Die Zeitung berichtet 1923, in Kronach hätten verschiedene Gäste mit den Wirten vereinbart, gegen eine gewisse Menge Gerste ein bestimmtes Quantum Bier einzutauschen. Statt der Geldscheine steckten sich die Bauern ein Säckchen Gerste in die Tasche, um zahlen zu können. Auch das Haßfurter Tagblatt bot seinen Abonnenten an, in der Geschäftsstelle statt Geld auch Naturalien wie Kartoffeln und Getreide entgegenzunehmen.
Vereine tagen dort, wo man nichts trinken muss
Originell war die Idee, mit der ein Haßfurter Kegelclub sich vor der galoppierenden Geldentwertung schützte. Mit den eingenommenen Beiträgen und Kegelgeldern kaufte der Verein umgehend wertbeständige Waren wie Schüssel, Töpfe, Seife oder Zündhölzer. Im Herbst verkaufte er dann die Artikel zum aktuellen Kurs, um Geld für das traditionelle Hasenessen flüssig zu machen.
Kirchliche Vereine in Zeil hielten Sitzungen und Versammlungen im Caritashaus ab. Hier herrschte kein Trinkzwang wie in den Gaststätten. Denn der war in Notjahren bei nicht gut situierten Vereinsmitgliedern oft ein Grund, die Versammlungen nicht zu besuchen. Manche Mitglieder erschienen nicht, weil sie dem Verein Beiträge schuldeten. In einigen Gemeinden im Eberner Umland mussten im Jahr 1923 Gastwirte wegen des hohen Bierpreises ihr Lokale schließen.
Sparer und Stiftungen als große Verlierer
Von der Inflation waren vor allem Sparer mit ihren Notgroschen betroffen. Doch auch viele Verstorbene – beziehungsweise ihre Seelen – zählten zu den Verlierern: Stiftungen, die von der Rendite ihrer Kapitalvermögen einem edlen Zweck dienen sollten, traf die Entwertung der in Jahrhunderten für religiöse oder soziale Zwecke bereitgestellten Kapitalvermögen mit voller Härte.
Allein in Zeil hatten in den zurückliegenden Jahrhunderten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Gelder für fromme Zwecke gestiftet. Damit verbunden war der Wunsch, dass an ihren Todestagen auf "ewige Zeiten" Heilige Messen gelesen und für ihre Seelen gebetet werden sollte. Die Stiftungen waren so ausgestattet, dass die Messen jeweils von den Zinsen bezahlt werden konnten, ohne dass das Kapital angetastet werden musste. Sämtliche gestiftete Gottesdienste wurden später mit päpstlicher Genehmigung auf jährlich 16 heilige Messen für alle Stifter reduziert.

Auch weltliche Stiftungen waren betroffen. Die einst in wertvollen Gulden oder Reichstalern eingezahlten Gelder waren nichts mehr wert, so wie die Vermächtnisse von Guttätern in Zeil und Ditterswind, von deren Zinsen Schuhe und Schulsachen für arme Kinder finanziert werden sollten.
Auf Erhaltung des Kirchenvermögens war Zeils Stadtpfarrer Dümler bedacht. Er verwendete nach dem Ende des Ersten Weltkrieges Stiftungsgelder, um in der Flurgemarkung "Pfarrerspflöcken" Reben und im "Schühlein" und in der "Haardt" Obstbäume zu pflanzen. Dadurch wollte der umsichtige Geistliche die Stiftungsgelder vor einer erneuten Entwertung retten.
Ein Waschkorb voller Geld, das am Ende kaum noch etwas wert ist
Gegen Ende der Inflation veranstalte die Brauereigaststätte Göller in Zeil ein üppiges Kirchweihfest. Viele Besucherinnen und Besucher hatten noch ein großes Taschentuch dabei. Nach der Schmauserei trugen auswärtige Gäste darin für die Familie Kuchen, Krapfen und Würste mit nach Hause. Nach den drei Kirchweihtagen besaßen die Göllers einen ganzen Waschkorb voller Geldscheine.
Eigentlich wollte der Gastwirt und Bierbrauer damit sofort nach Haßfurt ins Lagerhaus fahren, um für das Geld Braugerste einzukaufen. Doch er gönnte sich einen Tag Ruhe. Als er am Mittwoch in die Nachbarstadt fuhr, hatte das Inflationsgeld einen Großteil seines Wertes verloren.
Ähnlich ging es in Zeil einem Handwerksbetrieb. Franz Braunreuter aus Zell am Ebersberg erinnerte sich, dass sein Zeiler Tünchermeister 1923 das Innere der Zeiler Pfarrkirche strich. Als er mit dieser langwierigen Arbeit fertig war, hatte sein Meister wegen der galoppierenden Geldentwertung diese Arbeit fast umsonst gemacht.
Städte und Gemeinden drucken ihr eigenes Geld
Weil der Staat nicht mehr in der Lage war, das viele Papiergeld zu drucken, durften nicht nur der Staat, sondern sogar Städte und Gemeinden – wie Königsberg, Haßfurt, Hofheim und Eltmann – sogenanntes Notgeld drucken. Die Stadt Eltmann verpfändete dafür ihren umfangreichen städtischen Wald.

Dieser sollte anstelle des üblichen Goldes den Wert der "Eltmann-Mark" decken. Die Stadt Königsberg ließ am 20. Oktober 1923 noch einen Schein mit einem Nennwert von einer Billion Mark drucken. Am 15. November 1923 endete mit der Einführung der Rentenmark währungstechnisch die Inflation.
Aus Trossenfurt meldete die Zeitung 1923, dass mehrere betagte Rentner ihre eigenen Särge fertigten, um ihren Hinterbliebenen Beerdigungskosten zu ersparen. Die Stadt Ebern stellte bei jedem Todesfall den Hinterbliebenen einen Holzstamm aus dem Stadtwald zur Bestreitung der Beerdigungskosten zur Verfügung.
Nach der Währungsreform: Wie wird man wertloses Geld wieder los?
Nach der Währungsreform waren viele Menschen damit beschäftigt, die große Menge Papiergeld zu entsorgen. Manchmal sind mit den Scheinen Zimmer tapeziert worden. In Zeil versenkte ein Kaufmann die wertlosen Papierscheine in den damals noch vorhandenen Brunnen in der Brauhausgasse. In Ibind nagelte 1924 ein Hausbesitzer wertlose Münzstücke zur Verzierung an seinen Lattenzaun.
Gegen Ende der Inflation 1923 galten alle Geldscheine unter 100 Millionen in Kirchen nicht mehr als Almosenopfer. Auf dem Höhepunkt der Inflation flogen sie in der Pfarrgemeinde Mürsbach aus dem Klingelbeutel in den Papierkorb. Sechs Milliarden hatten erst den Wert von einem Pfennig. Der Pfarrer kommentierte: "Da wäre ja noch der berühmte Knopf wertvoller."