Die Gesellschaft altert – das ist nicht neu. Doch wird Wissenschaftlern zufolge insbesondere die Zahl der Hochbetagten kräftig ansteigen, also die Generation 80 plus – in Zukunft stellt sie vielleicht ein Siebtel der Bevölkerung. Auch in Unterfranken leben immer mehr 80-, 90- und zunehmend auch 100-Jährige. "Viel mehr Menschen erreichen ein hohes Alter bei kaum eingeschränkter Gesundheit", sagt Michael Schwab, Chefarzt und Ärztlicher Direktor des Geriatriezentrums Bürgerspital in Würzburg. Was erwartet Hochbetagte? Ilse Herling, 83 Jahre, und Eberhard Buschmann, 88 Jahre, erzählen, wie das Leben im neunten Lebensjahrzehnt aussieht und wie sie ihren Alltag zuhause meistern. Michael Schwab kommentiert das Gespräch aus Sicht des Altersmediziners.
Ilse Herling: Ab 80 Jahre bemerkt man körperliche Veränderungen. Ich bin zum Beispiel von einem Tag auf den anderen die Treppe nicht mehr so hinauf gekommen und hatte plötzlich Probleme mit dem Laufen. Irgendwie ist in den Beinen plötzlich weniger Kraft da. Dabei war ich über 25 Jahre im Seniorentanz und habe mich immer viel bewegt. Nun gehe ich die Treppen rückwärts runter, das habe ich damals auch bei meiner Mutter so gesehen. Und ich benutze einen Stock, damit fühle ich mich sicherer.
Dr. Michael Schwab: Man unterschätzt, dass bestimmte körperliche Abläufe sehr kompliziert sind. Treppensteigen ist zum Beispiel ein sehr komplizierter Prozess. Mit dem Alter ist die Abstimmung der Systeme untereinander nicht mehr optimal. Deshalb ist es manchmal leichter eine Treppe rückwärts hinunter zu gehen. Bewegung, egal welcher Art, ist im Alter trotz allem sehr wichtig.
Eberhard Buschmann: Mit Ende 80 ist man nicht mehr so flott, hat schon einige Krankheiten hinter sich und einige Ersatzteile im Körper. Aber im Kopf fühle ich mich noch jung. Die Liebe zur Musik, Malerei und Literatur hält meinen Kopf fit. Als meine Frau vor drei Jahren starb, war ich erst einmal allein zu Hause. Nach einer Halsoperation und einer Reha im Bürgerspital lernte ich die Therapie "Tut gut" kennen. Sie hat mir so gut getan, dass ich mein Keyboard kommen ließ und die ehrenamtlich tätigen Damen unterstützte. Seit dieser Zeit bin ich jeden Dienstag dabei und spiele für die Patienten Volksmusik, aber auch Tanzmusik und Schlager der Nachkriegszeit. Und das tut mir immer noch gut.
Herling: Bis auf ein paar Einschränkungen fühle ich mich eigentlich wie immer und denke nicht groß über die Jahreszahl nach.
Schwab: Viele Menschen der Generation der 65- bis 85-Jährigen geben ihr gefühltes Alter deutlich geringer an als ihr tatsächliches – und zwar um rund 7,5 Jahre. Auffällig ist, dass diese Wahrnehmung übergreifend auch bei den 80- bis 85-Jährigen zu beobachten ist. Jeder zweite Befragte dieser Altersgruppe fühlt sich – allen Altersbeschwerden zum Trotz – jünger als es seinem kalendarischen Alter entspricht.
Herling: Ich höre mir um 6 Uhr die Tageslosung im Radio an, dann stehe ich auf – im Sommer wie im Winter. Anschließend frühstücke ich und lese ausgiebig die Tageszeitung, manchmal ein bis zwei Stunden. Am Vormittag mache ich Besorgungen in der Stadt, ich fahre noch selbst Auto. Gegen 12 Uhr koche ich mir ein einfaches Mittagessen und schalte dazu das ARD-Mittagsbuffet im Fernsehen ein. Am Nachmittag treffe ich oft andere Frauen zum Kaffeeklatsch. Einmal in der Woche gehe ich zum Singen im Valentin-Becker-Chor in Würzburg.
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Schwab: Frau Herling meistert das Leben im Alter sehr klug, sehr besonnen, sehr beobachtend. Sie macht genau das, was ihr gut tut. Die Mehrheit der älteren Generation führt laut Generali-Studie ein abwechslungsreiches und aktives Leben. So sind 58 Prozent der 65- bis 85-Jährigen heute noch mit dem eigenen Auto unterwegs. Bei den 80- bis 85-Jährigen ist der Anteil der Autofahrer sogar um mehr als das Zehnfache angestiegen. 38 Prozent dieser Altersklasse nutzen heute noch den eigenen Pkw.
Buschmann: Gegen 7.30 Uhr stehe ich auf, lasse Kater Fanki ins Haus und versorge ihn, auch mit Streicheleinheiten. Dann mache ich Fuß- und Beingymnastik. Es folgen Körperpflege und Frühstück mit dem Lesen der Zeitung. Anschließend nach Bedarf Hausarbeit, Arztbesuche, Besorgungen, dabei treffe ich auch andere Höchberger. Mittags esse ich zu Hause mit meiner ältesten Tochter. Sie lebt seit einem Jahr mit im Haus. Jeden Dienstag spiele ich Keyboard im Bürgerspital, am Abend besuche ich den Singkreis Höchberg. Dann bin ich aktiv im Seniorenkreis, Kirchenchor und im Kammerchor Höchberg. Zwischendurch übe ich zwei Stunden pro Tag Klavier.
Herling: Ja, die gibt es natürlich auch. Ich kann nicht mehr so schnell und so lange laufen. Daher kann ich keine Busfahrten oder gar Wanderungen mehr mitmachen. Das ist einfach zu viel Lauferei. Oder zum Beispiel Kiliani, da werde ich wohl nicht wieder hingehen.
Buschmann: Mein Berufsinstrument war das Fagott. Als ich 65 Jahre alt wurde, fühlte ich mich nicht mehr konkurrenzfähig und habe mich von meinem Lieblingsinstrument verabschiedet. Meine musikalische Laufbahn war noch nicht zu Ende, denn ich habe noch das Klavierspiel. Früher war ich mit meiner Musik sehr viel auf Reisen, sogar in Asien und Neuseeland. Es war eine tolle Zeit. Heute ist das Tempo ein bisschen langsamer geworden. Ich spiele weniger Stücke und muss öfter üben. Aber Musik ist meine Passion.
Schwab: Gelungenes Altern hat mit Selektion, Optimierung und Kompensation zu tun. Man muss nicht mehr überall dabei sein, sondern man sucht sich Dinge aus, die einem wichtig sind, die einem gefallen und zu einem passen. Es ist wichtig und toll, dass Herr Buschmann weiter Musik macht und das mit Begeisterung. Ein Musterbeispiel für gelungenes Altern. Man weiß, dass Klavierspielen das Gehirn besser anregt, als jedes Medikament, das es bisher gibt. Es gibt zwei Berufsgruppen, die bei altersmedizinischen Untersuchungen herausstechen: Musiker, weil sie meist eine feine Koordination der Hände haben, und Gärtner, die über eine enorme Handkraft verfügen. Musik ist ein wunderbarer Jungbrunnen.
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Herling: Ich bin zufrieden mit meinem Leben und mit meinen Kindern und Enkeln. Ich erlebe das Alter auch als einen gewissen Zustand des Glücks. Meine Tochter ist Tierärztin in Dortmund. Mein Sohn ist Pfarrer, er hat drei große Töchter. Eine meiner Enkelinnen hat zweieinhalb Jahre während ihres Studiums bei mir gewohnt, das war sehr schön.
Buschmann: Es gibt zwei Abschnitte meines Lebens im Alter, einmal die Zeit nach meiner Pensionierung, als ich mit meiner Frau noch etwas unternehmen konnte und die Zeit danach, als ich allein war. Allein, aber nicht einsam. Denn zum einen habe ich meine Familie und zum anderen habe ich in Höchberg viele Menschen durch das neue Miteinander besser kennen gelernt, ihre Hilfsbereitschaft und ihre Zuwendung. Auch für meine ehrenamtliche Arbeit mit den Chören erfahre ich viel Wertschätzung.
Herling: Ich habe nie richtig Sport gemacht (lacht).
Buschmann: Die Musik ist mein Sport (lacht auch). Aber ich bin ein Bewegungstyp. Mit der Familie waren wir viel wandern, ich bin geschwommen und habe jedes Jahr die Leistungen des Sportabzeichen erbracht. Früher habe ich Handball und Fußball gespielt. Aber das ist sehr lange her. Heute mache ich zu Hause gymnastische Übungen mit Hanteln und Theraband.
Schwab: Es geht nicht nur darum Sport zu treiben, sondern viel wichtiger ist es, immer in Bewegung – und auch geistig beweglich – zu bleiben. Frau Herling war zum Beispiel über 100 Mal bei der Landesgartenschau in Würzburg. Sie ist dort auf dem Gelände fast täglich spazieren gegangen. Ich empfehle immer, Bewegung in den normalen Tagesablauf einzuplanen –Treppensteigen, Spazieren gehen, mal zum Bäcker laufen, nicht immer das Auto benutzen. Auch Herr Buschmann ist sehr agil. Er läuft zu allen seinen Terminen und er geht generell gerne spazieren.
Herling: Je älter ich werde, desto weniger Lust habe ich zu kochen. Aber ich koche mir jeden Mittag etwas Frisches, und wenn es nur zwei Kartoffeln mit ein bisschen Quark sind.
Buschmann: Mittlerweile kocht meine große Tochter für mich mit. Vorher habe ich oft Tiefkühlmenüs gegessen, das ging auch.
Schwab: Frau Herling und Herr Buschmann haben eine Wertschätzung fürs Essen. Ich vermute, dass sie sich fast automatisch frisch, gesund und regional ernähren.
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Herling: Bei unseren Kaffeekränzchen machen wir immer aus, dass wir über alles reden, nur nicht über Krankheiten. Und das ist auch gut so. Nur manchen Leuten fällt das extrem schwer.
Schwab: Bis zu 30 Prozent der Hochbetagten sagten in einer Umfrage auch, dass sie häufig sehr starke Schmerzen haben. Belastende Probleme bei Hochbetagten sind auch Depressionen, schlechtes Hören oder Sehen. Gerade bei diesen Einschränkungen kann und muss konsequent gehandelt und behandelt werden. Viele Menschen haben kein Hörgerät oder eines, das nicht richtig eingestellt ist. Das muss sich ändern.
Herling: So richtig denke ich nicht über den Tod nach. Ich habe eine Patientenverfügung und habe bestimmte Dinge, auch das Erbe, geregelt. Mein Sohn ist Pfarrer, der wird mich bestimmt schön beerdigen.
Buschmann: Man denkt schon darüber nach. Man wünscht sich, dass man nicht so leiden muss, wie man das schon bei anderen erlebt hat.